Der Sturz des Regimes ist kein Sprint

Die philosophische und politische Debatte in Stadt und Land tragen

- von Stephan Steins  -

D er gemeinsame Grundkonsens der Demokratiebewegung lautet: Sofortige Rücknahme aller Einschränkungen der Grundrechte! So weit, so gut.
Diskussionsbedarf besteht allerdings bereits bei zwei zentralen Herausforderungen, mit welchen die konstituierende Grund-position unmittelbar korrespondiert:
1. Wie kann diese Forderung durchgesetzt werden?
2. Was geschieht eigentlich danach?

Mitunter grassieren derzeit die Illusionen, dass eine oder mehrere grosse Demonstrationen alleine schon die vollständige Rücknahme der Grundrechtseinschränkungen bewirken oder gar das antidemokratische Regime stürzen werden. Diese volunta-ristischen Annahmen sind falsch.
Allenfalls tauschen die Herrschenden etwas Personal aus und/oder rudern temporär etwas zurück, betreiben kosmetisches Marketing.

Um nicht missinterpretiert zu werden: Die Massenproteste der Demokratiebewegung sind wichtig und richtig und bedeuten eine historische Zäsur für das Selbstverständnis der BRD. Die Rote Fahne Gruppe hat selbst neben wenigen anderen die Proteste im März in Berlin angestoßen und betrachtet die aktuelle Entwicklung als bedeutenden politischen Erfolg ihrer Arbeit.

Es ist die originäre Aufgabe der Philosophie, aufzuklären und weiterführende Debatten anzustoßen. Es wäre schade, wenn die derzeit aufgewendete Energie wirkungslos verpufft und in einer historischen Situation der gesellschaftlichen Politisierung diese Debatten nicht geführt werden.
Es würden dann frustrierte Menschen zurück bleiben, die nicht wissen, warum trotz ihres Engagements alles beim Alten geblieben ist und ohne Perspektive für die Zukunft.

Blicken wir nach Frankreich: Trotz monatelanger Massenproteste, die sogar durch Generalstreiks begleitet wurden – wovon wir in Deutschland noch weit entfernt sind – sitzt das imperiale Regime Macron weiterhin fest im Sattel. Es gab kleinere Korrekturen an der Rentenpolitik, zeitliche Streckungen des Sozialabbaus und das wars´ dann auch schon.
Was den Protesten in Frankreich fehlte, war eine konkrete Perspektive zum Sturz der herrschenden Ordnung und zur Errichtung der Volksmacht.

Nehmen wir mal hypothetisch an, Protestierer schaffen es tatsächlich in den Reichstag und bis zum Rednerpult; was dann?
Es existieren kein Programm, keine Gegenregierung, keine organisierte Unterstützung in den Betrieben, keine Strukturen in der Fläche und kein Rückhalt in den bewaffneten Organen.
Randale und Revolution sind nun einmal nicht dasselbe.

Auch hinkt der Vergleich mit 1989 in der DDR. Erstens ist es wenig realistisch anzunehmen, dass die Machthaber in der BRD ähnlich friedvoll abtreten werden, wie seinerzeit die marode SED. Bei allen Defiziten des sog. Realsozialismus lag diesem doch ein grundlegend humaneres Menschenbild zugrunde, als dem massenmordenden Imperialismus.

Grundrechte-Demonstration
BERLIN Samstag 29. August 2020
10:30 Uhr Brandenburger Tor / Unter den Linden

Die Opposition in der DDR formierte sich zu “Runden Tischen” und strebte zunächst eine reformierte, freie und eigenständige DDR an, bis sie durch die geballte ökonomische und mediale Übermacht der BRD und des NATO-Imperialismus überrollt wurde.
Das heisst; das entstandene Machtvakuum wurde durch eine andere Macht ausgefüllt, nicht jedoch durch die Volksmacht ersetzt.

Was dieser Tage objektiv sichtbar wird, ist der Faulungsprozess der Querfront von Merkel bis Kipping. Das sind jedoch lediglich die gedungenen Sekretäre der Macht, nicht die Macht selbst.

Neben der Frage von Demokratie und Grundrechten, mithin der Verteidigung der bürgerlich-demokratischen Republik der Europäischen Aufklärung gegen den Imperialismus, wird auch die soziale Frage im weiteren Verlauf und im Zuge der Eskalation der kapitalistischen Krise an Bedeutung gewinnen.
Im Hinblick auf diese Entwicklung haben wir im Mai unser Aktionsprogramm unter dem Titel „Frieden, Freiheit, Brot“ vorgestellt, wobei „Brot“ eine Chiffre für die soziale Frage ist. [1]

Unsere Konklusion der aktuellen Entwicklung lautet; philoso-phische und politische Konzepte zu diskutieren und für diese politisch zu streiten, muss wieder zur gesellschaftlichen Normalität werden. Der gesellschaftliche Diskurs muss konkrete Inhalte verhandeln und vor Ort systematisch organisiert werden.
Ferner kann aus dem Sommer der Demokratiebewegung nur dann ein historischer Umbruch erwachsen, wenn die Perspektiven des Sturzes der herrschenden Ordnung und der Errichtung der Volksmacht zentrale Gegenstände des gesell-schaftlichen Diskurses werden.
Um diese Perspektiven auf den Weg zu bringen, schlagen wir den Aufbau von Arbeiter- und Volksräten in allen Städten vor.

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