Wolfgang Harich Biographie

Prof. Dr. Wolfgang Harich, Philosoph 1923 – 1995

Prof. Harich gehörte im Jahr 1992 als prominentes Mitglied der alten KPD (Kommunistische Partei Deutschlands) zu den Initiatoren der Wiederherausgabe der Zeitung Die Rote Fahne, die durch das ZK der KPD (Initiative) beschlossen wurde.

1923, 09. Dezember
Wolfgang Harich wird in Königsberg/Ostpreussen als Sohn des Literaturhistorikers und Schriftstellers Walther Harich geboren.

1930 – 1942
Harich besucht Grundschule und Gymnasium in Neuruppin und Berlin.

1942 – 43
Ende 1942 wird Harich zum Wehrdienst eingezogen und 1943 unter dem Vorwurf unerlaubter Entfernung von der Truppe zu einer Haftstrafe verurteilt.

1944
Harich desertiert und engagiert sich in den kommunistischen “Widerstandsgruppen Berlin Ernst”.

1945
Im Februar Eintritt in die KPD (Kommunistische Partei Deutschlands).

Im Mai wird Harich von Wolfgang Leonhard im Auftrag der Gruppe Ulbricht mit der Organisation der Kulturarbeit in Berlin-Wilmersdorf und anderen Stadtteilen der Westsektoren betraut.
Durch die Vorbereitung der Gründung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands entsteht eine enge Zusammenarbeit mit Johannes R. Becher und anderen aus der Emigration zurückkehrenden Kulturschaffenden.

Wolfgang Harich

Wolfgang Harich in seiner Berliner Wohnung (um 1947) - Photo Eva Kemlein

1946 – 1951
Harich studiert Philosophie und Literatur an der Humboldt Universität zu Berlin und promoviert mit einer Arbeit über Johann Gottfried Herder (1744-1803) 1951 zum Dr. phil.

Er knüpft Beziehungen zu Bertolt Brecht, Ernst Bloch und Georg Lukács.
Harich arbeitet als Literatur- und Theaterkritiker zunächst beim französisch lizenzierten Kurier und später – als seine Arbeitsmöglichkeiten in den Westsektoren behindert werden – bei der sowjetamtlichen Täglichen Rundschau und der Neuen Welt.
Er ist befreundet mit den Schauspielern Paul Wegener und Victor de Kowa sowie dem Theaterkritiker Friedrich Luft.

1946
Harich hält an der pädagogischen Fakultät der Humboldt Universität zu Berlin Einführungsvorlesungen in den dialektischen und historischen Materialismus.

1951 – 1956
Harich lehrt an der Humboldt Universität Geschichte der Philosophie und wird als Professor an die Philosophische Fakultät berufen, wo er als exzellenter Hochschullehrer gilt.

Neben seiner Tätigkeit als Hochschullehrer arbeitet er im Aufbau-Verlag zunächst als Lektor, ab 1954 als Cheflektor.
Harich freundet sich mit den Schriftstellern Gerhard Zwerenz und Erich Loest an.

1953 – 1954
Harich gründet zusammen mit Ernst Bloch und anderen die Deutsche Zeitschrift für Philosophie.

Auszeichnung mit dem Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste der DDR.
Nach 17. Juni 1953 kritisiert Harich offen die dogmatische Kultur- und Medienpolitik der Partei.
Er muss die Universität verlassen und wird 1954 Cheflektor des von Walter Janka geführten Aufbau-Verlages.

1956
Veröffentlichung der Schrift Heinrich Heine und das Schulgeheimnis der deutschen Philosophie.

Harich bekennt sich bis zu seinem Tod zum Marxismus und steht deshalb der Politik von DDR und SED kritisch gegenüber. Als Mittelpunkt einer Oppositionsgruppe innerhalb der SED vertritt er einen „menschlichen Sozialismus“ in Abgrenzung von Kapitalismus und bürokratischem Zentralismus der DDR.
Nach dem XX. Parteitag der KPdSU entsteht, beeinflusst durch Georg Lukács und Ernst Bloch, der Kreis der Gleichgesinnten, eine informelle Gruppe marxistischer Intellektueller, die parteiintern Reformen einfordert.
Harich wird beauftragt, die Diskussionsergebnisse als Plattform für den besonderen deutschen Weg zum Sozialismus zusammenzufassen, die in Auszügen auf Umwegen im Westen publiziert wird.
Ein Exemplar der Plattform, in welcher u.a. die Entmachtung Ulbrichts und die deutsche Wiedervereinigung als neutraler, entmilitarisierter Staat gefordert wird, übergibt Harich dem sowjetischen Botschafter in Berlin.
Er informiert auch Rudolf Augstein und Mitarbeiter des Ostbüros der SPD vom Inhalt der Plattform.
Unmittelbar darauf – am 29. November 1956, kurz nach dem “Ungarn-Aufstand” – wird Harich verhaftet.

1957
In einem Schauprozess wird Harich im März wegen „Bildung einer konspirativen staatsfeindlichen Gruppe“ zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, mit ihm und in weiteren Prozessen erhalten auch Bernhard Steinberger und Manfred Hertwig, sowie Walter Janka, Gustav Just, Richard Wolf und Heinz Zöger mehrjährige Zuchthausstrafen.

1964
Harich fällt im Dezember unter eine Amnestie und wird aus der Haft entlassen, er wird in den Akademie Verlag Berlin versetzt.

1965
Als freischaffender Wissenschaftler und Lektor ist Harich mit der Herausgabe der Feuerbach-Gesamtausgabe betraut und widmet sich der Jean-Paul-Forschung.

Harich heiratet die Chansonette Gisela May.

1968
Veröffentlichung der Schrift Jean Pauls Kritik des philosophischen Egoismus.

1971
Veröffentlichung der Schrift Zur Kritik der revolutionären Ungeduld – Eine Abrechnung mit dem alten und neuen Anarchismus.

1972
Harich wendet sich zunehmend der ökologisch fundierten Zukunftsforschung zu.

1975
Harich muss sich einer Herzoperation unterziehen. 1979 wird er aufgrund seiner Herzbeschwerden in den Ruhestand versetzt.

Veröffentlichung der Schrift Kommunismus ohne Wachstum? Babeuf und der Club of Rome.

1979 – 1981
Harich erhält ein Langzeitvisum und reist nach Österreich, Spanien, die BRD und die Schweiz.
In der BRD engagiert er sich in der Umwelt- und Friedensbewegung.

1981
Harich kehrt in die DDR zurück und beschäftigt sich mit philosophischen Arbeiten über Nicolai Hartmann (1882-1950), Friedrich Nietzsche und Georg Lukács.

1989 – 1990
Harich kritisiert die Annexion der DDR. Er verweigert im Prozess der BRD gegen Bürger der DDR eine diese belastende Zeugenaussage über die Umstände seiner Verhaftung im Jahre 1956.
Harich spricht der BRD das Recht ab, in Siegerjustiz über Menschen aus der DDR und deren dortigem Wirken zu urteilen.

Prof. Dr. Wolfgang Harich

Prof. Dr. Wolfgang Harich

1990
Das Oberste Gericht der DDR rehabilitiert Harich am 30. März von den Anklagepunkten des Jahres 1957.

1990 – 91
Harich beginnt einen Widerrufprozess gegen seinen früheren oppositionellen Mitstreiter Walter Janka (1914-1994).

In Folge des SED-Schauprozesses 1957 war es zu Kontroversen über Harichs Rolle als Zeuge im Prozess gegen Janka gekommen. Janka hatte diese Auseinandersetzungen in seinem Buch Schwierigkeiten mit der Wahrheit 1989 dargestellt. Das Verfahren endet mit einem Vergleich. Janka muss die Aussage unterlassen, Harich sei als Kronzeuge gegen Janka aufgetreten.
Harich erhält für ein Semester einen Lehrauftrag an der Philosophischen Fakultät der FU Berlin.

1992
Harich wird Mitglied des ZK der KPD (Initiative) (Zentrales KoordinationsKomitee der KPD Initiative).
Zusammen mit dem Publizisten Stephan Steins (geb. 1960) erarbeitet Harich ein Konzept zur Rekonstitution der gesamtdeutschen KPD. Harich schlägt vor, die verschiedenen KPD BasisGruppen und Initiativen durch den 16. Parteitag der KPD, in Folge auf den 15. Parteitag der KPD vom 19./20. April 1946, zu einer gesamtdeutschen KPD zusammenzuführen.

Dieser Ansatz fliesst in das von Steins im selben Jahr publizierte Berliner Manifest ein. Diese Politik scheitert später am Widerstand der Stalinisten im ZK.
Auf Betreiben Harichs wird Steins auf der ZK Tagung vom 16. Mai zum Projektleiter, Herausgeber und Chefredakteur der Zeitung Die Rote Fahne gewählt und die Titelrechte auf Steins übertragen, woraufhin Die Rote Fahne ab August wieder erscheint.
Gründung der Alternativen Enquetekommission Deutsche Zeitgeschichte mit dem Ziel, die, wie Harich formuliert „falsch laufende“, Beschäftigung mit der DDR Vergangenheit zu korrigieren.

1993
Im Mai 1993 erregt Dr. Wolfgang Harich Aufsehen mit einem Artikel in der Roten Fahne:
→ Kommunistische Parteien brauchen kein Fraktionsverbot

Harich greift so nachhaltig in die Debatte der KPD (Initiative) um sozialistische Demokratie ein, erregt aber zugleich den Widerspruch von Stalinisten, es findet eine Polarisierung statt, die überfällige Klärungsprozesse beflügelt.
Harich wird als Belastungszeuge beim BRD Amtsgericht Berlin-Tiergarten zwangsvorgeführt. Er soll unter anderem über die Verhältnisse im DDR Aufbau-Verlag berichten. Harich weigert sich erneut auszusagen und wird zur Zahlung von Ordnungsgeld verurteilt.
Harich veröffentlicht die Schrift Keine Schwierigkeiten mit der Wahrheit als Erwiderung auf die Memoiren von Walter Janka.

1994
Veröffentlichung der Schrift Nietzsche und seine Brüder.

Aufgrund der Anti-Stasi-Repressionskampagne der BRD gegen die PDS ruft Harich zur Solidarität mit der PDS auf und stellt in diesem Zusammenhang einen Mitgliedsantrag, den er allerdings nicht vollzieht.

1995 15. März
Dr. Wolfgang Harich, der unter einer schweren Herzerkrankung leidet, stirbt in Berlin.

SCHRIFTEN

• Rudolf Haym und sein Herderbuch. Beiträge zur kritischen Aneignung des literaturwissenschaftlichen Erbes, Aufbau-Verlag, Berlin 1955
• Jean Pauls Kritik des philosophischen Egoismus. Belegt durch Texte und Briefstellen Jean Pauls im Anhang, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1968
• Zur Kritik der revolutionären Ungeduld. Eine Abrechnung mit dem alten und dem neuen Anarchismus, Edition Etcetera, Basel 1971
• Jean Pauls Revolutionsdichtung. Versuch einer neuen Deutung seiner heroischen Romane, Akademie-Verlag, Berlin 1974
• Kommunismus ohne Wachstum? Babeuf und der »Club of Rome«. Sechs Interviews mit Freimut Duve und Briefe an ihn, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1975
→ Berliner Manifest, wissenschaftliche Mitarbeit, Die Rote Fahne, Berlin 1992
• Keine Schwierigkeiten mit der Wahrheit. Zur nationalkommunistischen Opposition 1956 in der DDR, Dietz Verlag, Berlin 1993
• Nietzsche und seine Brüder, Kiro, Schwedt 1994
• Ahnenpass. Versuch einer Autobiographie, Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 1999
• Nicolai Hartmann. Leben, Werk, Wirkung, Königshausen und Neumann, Würzburg 2000
• Nicolai Hartmann – Grösse und Grenzen. Versuch einer marxistischen Selbstverständigung, Königshausen und Neumann, Würzburg 2004


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