E ine Jobcenter-Mitarbeiterin lehnt sich gegen das System auf: Öffentlich fordert Inge Hannemann die Abschaffung der Sanktionen gegen Hartz IV-Opfer. Hartz IV ist für Hannemann der Gipfel der Seelenlosigkeit.
Der Widerstand gegen das Hartz IV-Unrecht, gegen existenzvernichtende Sanktionen, Zwangsarbeit und Sklavenjobs kostete die mutige 44-Jährige Frau ihren Job.
Am Montagmorgen kommt Inge Hannemann zurück aus ihrem Urlaub ins Büro. Noch bevor sie zur Arbeit geht, versucht sie, sich online in das System einzuloggen, aber das funktioniert nicht. Sie hat es sich schon gedacht. In wenigen Minuten hat sie ein Gespräch mit der Geschäftsführung.
Das Gespräch bestätigt, was sie bereits von Kollegen gehört hat: Sie soll, nach staatlichem Druck, von der Arbeit im Jobcenter in Hamburg-Altona freigestellt werden. Ihren Schlüssel muss sie abgeben, nur in Begleitung eines Hausmeisters darf sie noch ihr Büro betreten.
Seit Mittwoch ist Inge Hannemann nur noch Ex-Mitarbeiterin des Jobcenters Altona in Hamburg. Sie selbst habe die schriftliche Kündigung durch ihren Arbeitgeber noch nicht in Händen, sagt sie den Medien.
An ihrer Arbeitsstelle im Jobcenter weigerte sie sich, Sanktionen gegen Hartz IV-Empfänger zu verhängen, ihnen die Leistungen noch weiter zu kürzen. Verletzt ein Hartz IV-Opfer seine sog. “Mitwirkungspflicht”, wird es bestraft. So steht es in der BRD im Sozialgesetzbuch II.
Versäumt jemand bspw. einen Termin beim Jobcenter, können seine Leistungen um zehn Prozent gekürzt werden. Will er oder sie eine vorgeschriebene Arbeitsstelle nicht annehmen, kann das Jobcenter die Leistungen um 30 Prozent kürzen, beim zweiten Mal sogar um 60 Prozent.
Über die offizielle Vorgehensweise hinaus sind auch nicht wenige Fälle bekannt, wonach Behörden die sog. “Mitwirkungspflicht” dazu missbrauchen, rechtlich zustehende Leistungen in rechtswidriger Weise zu versagen.
Das wird dadurch erreicht, dass Antragstellern die Beibringung von Dokumenten befohlen wird, die diese gar nicht vorlegen können, weil es sich um Dokumente Dritter handelt. Das kann bspw. der Hauptmietvertrag eines Vermieters sein, bei dem Antragsteller zur Untermiete wohnen.
Verweigern die Hauptmieter in einem solchen Fall die Herausgabe ihrer Dokumente, – wozu sie aus datenrechtlichen Gründen auch gar nicht verpflichtet sind, denn sie stehen ja als eigenständige juristische Personen mit den Hartz IV-Behörden in keinerlei Verbindung – so wird dies als Verletzung der “Mitwirkungspflicht” zur Ablehnung des Leistungsantrags missbraucht.
Dagegen können die Opfer dieser Willkür zwar theoretisch gerichtlich vorgehen, die Hartz IV-Behörden zögern auf diese Weise jedoch die Gewährung und Auszahlung von Leistungen mindestens über Monate, wenn nicht über ein Jahr hinaus. Kommt es dann zur Gerichtsverhandlung, wird bspw. argumentiert, dass die Antragsteller ja noch leben und daher gar kein Leistungsanspruch bestünde.
Zusammen mit ähnlichen Schikanen erreichen die Hartz IV-Behörden dadurch in den meisten Fällen, dass Antragsteller keine Leistungen erhalten und mitunter in die Überlebenskriminalität oder den Tod getrieben werden. Damit haben sich für das Regime dann die Probleme final erledigt und die Statistik wurde auch noch geschönt.
„Der Leistungsträger als Sozialschmarotzer, so sieht es das System, so sehen es viele Jobcenter-Mitarbeiter“, sagt Hannemann. Menschen, die man mit mehr oder weniger grossem Druck systemkompatibel zu machen habe.
„Die Kollegen und Kolleginnen befinden sich selbst in einer Zwangslage“, ist sie überzeugt.
Inge Hannemann hatte da eine andere Methode als die Kollegenschaft. Für sie stand positive Motivation im Vordergrund. Den entsprechenden Spielraum gab es in der Praxis sehr wohl.
„Hatte jemand keine Krankmeldung, konnte man ihn sanktionieren, das dauert rund zehn Minuten“, sagt sie. „Ich konnte ihn aber auch noch einmal losschicken oder selbst beim Arzt anrufen, das dauert auch zehn Minuten.“
Auch beim Nichtverhängen von Sanktionen hielt sie sich streng an arbeitsrechtliche Vorschriften. Denn eigentlich gibt es für Arbeitsvermittler wie Hannemann zwar keinen Ermessensspielraum, doch wenn Begründungen für eine Absage vorliegen, muss nicht sanktioniert werden.
Inge Hannemann wollte es mit Menschen zu tun haben und nicht mit Fällen. „Meine Quoten habe ich mit dieser Methode erfüllt“, sagt die gelernte Speditionskauffrau und studierte Journalistin. Sie telephonierte, sie traf sich mit Menschen, sie hörte sich Schicksale und Hintergründe an und lieferte die Begründungen praktisch selbst mit. „Ich arbeite eben anders als andere.“
Kollegen will sie nicht kritisieren, sie hat das grosse Ganze im Visier. Das System an sich trägt für die Hamburgerin so etwas wie einen Konstruktionsfehler in sich.
Gerhard Schröders Agenda 2010 ist für Hannemann so etwas wie der Anfang vom Ende der Menschlichkeit, Hartz IV der Gipfel eines gewissermaßen seelenlosen Systems.
„Die Arbeitsmarktreformen haben zu mehr Beschäftigung und zu weniger Arbeitslosigkeit geführt“, jubelte jüngst das Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Das Hartz-IV-System verstoße gegen das Grundgesetz, hält Hannemann dagegen.
Ganz abgesehen von den entwürdigenden Bedingungen, die es für Arbeitslose bringe: „Die Sanktionen stellen für viele Menschen eine existenzielle Bedrohung dar. Man kann die Leistungen bis hin zu Obdachlosigkeit und Hunger herunterkürzen.“
Seit 2005, dem Jahr, in dem die Hartz-IV-Gesetze in Kraft traten, arbeitete Hannemann in der Hamburger Sozialverwaltung. Anfangs hat ihr die Arbeit auch ganz gut gefallen. Doch mit der Einführung der Sanktionen, mit dem steigenden wirtschaftlichen Druck, der auf den Jobcentern lastet, kamen ihr die Entwicklungen am Arbeitsmarkt und im Jobcenter zunehmend fehlgeleitet vor.
Arbeitssuchende mit sinnlosen Weiterbildungsmaßnahmen beschäftigen, massenhaft Stellen bei Leiharbeitsfirmen vermitteln, das wachsende Prekariat: Hannemann gefiel vieles nicht, was sie sah und sie hielt mit ihrer Meinung keineswegs hinter dem Berg. Seit zwei Jahren betreibt sie einen Internet-Blog und informiert über Rechte und Hintergründe in Hartz IV-Fragen. Später gründete sie den Blog altonabloggt. Was sich da findet, ist massive Kritik an den Jobcentern und Behörden.
Gegen ihre Entlassung will sich Inge Hannemann selbstverständlich juristisch wehren. Mundtot lässt sie sich nicht machen: „Es ist anstrengend, aber es bewegt sich was.“
Auch für den Fall, dass mit der Abschaffung des Hartz IV-Systems das Unmögliche möglich werde, hat Hannemann eine Idee: „Ich sympathisiere mit dem unbedingten Grundeinkommen.“