E s ist etwas faul im germanischen Kulturkreis, wenn eine Meldung wie „Satireblatt druckt neue Karikaturen“ eigens eine Überschrift rechtfertigt.
Zunehmend, nicht seit Wochen, sondern seit Jahren, unternehmen jedoch Ideologen verschiedener Richtungen und Regionen des Globus Anstrengungen, Einfluss auf die Grundwerte der Europäischen Aufklärung zu nehmen. Vorgeblich religiös motivierte Kräfte zwingen uns eine Debatte auf, fordern die Einschränkung des Grundrechts auf demokratische Artikulation und reklamieren Sonderrechte jenseits unserer Rechts- und Kulturnormen.
Die so bedrohten Grundrechte und kulturellen Freiräume wurden in Jahrhunderten durch Sozialisten und andere Demokraten teils blutig erkämpft. Auch Religionskritik in Wort und Bild hat befördert, uns von der Herrschaft des Klerus emanzipieren und befreien zu können.
Im Nachgang der Aufklärung ermöglichten die mehr oder weniger demokratischen Republiken die friedliche Koexistenz verschiedener Religionen im von der Religion getrennten, säkularisierten Staat.
Erst dieser demokratische, emanzipatorische Grundkonsens und der streitbare gesellschaftliche Diskurs waren es, welche die Religionsfreiheit sicher stellten – jenseits der Doktrin einer einzelnen herrschenden Religionsinterpretation und der diese repräsentierenden Machtelite.
Das französische Satire-Magazin Charlie Hebdo tut in der aktuellen Situation genau das Richtige: durch die Publikation kritischer Karikaturen verteidigt die Zeitung unser aller Recht auf kulturelle Selbstbestimmung.
Völlig inakzeptabel ist es, wenn diese demokratische Artikulation durch Gewalttäter bedroht wird und die Redakteure von Charlie Hebdo jetzt vor Anschlägen geschützt werden müssen, die französische Polizei verstärkte die Sicherheitsmaßnahmen vor dem Redaktionsgebäude.
Diese Situation verdeutlicht vor allem Eines: Europa muss sich von jenen Gästen verabschieden, die unser Selbstbestimmungsrecht angreifen und diese Leute nach Hause schicken.
Nach nur einem Tag ist die Charlie Hebdo-Ausgabe mit den religionskritischen Karikaturen ausverkauft. Diese werden jedoch nochmal nachgedruckt und sollen am morgigen Freitag wieder erhältlich sein.
Frankreich hat unterdessen aus Furcht vor muslimischer Gewalt seine Auslandsschulen, diplomatischen Vertretungen und kulturellen Einrichtungen in vielen Ländern des islamischen Kulturraums geschlossen.
Aussenminister Laurent Fabius sagte, in Frankreich herrsche Pressefreiheit, die es allgemein zu respektieren gelte.
In der ägyptischen Hauptstadt Kairo forderte der Vorsitzende der Arabischen Liga, Nabil Elaraby, alle Muslime auf, die Gewalt sofort einzustellen. Elaraby sagte, er verstehe, dass der antiislamische Hetzfilm (The Innocence of Muslims) starke Reaktionen auslöse, weil er viele Muslime in ihrem innersten Verständnis der Religion treffe, dies rechtfertige aber nicht Angriffe auf Botschaften und andere Gewaltakte.
Hingegen warf der Verband der Muslime in Frankreich dem Satire-Magazin Charlie Hebdo “Verantwortungslosigkeit” vor. Es sei „sehr gefährlich derart Öl ins Feuer zu giessen“.
Genau hier liegt das Problem: die grösste Organisation ausländischer Muslime in Frankreich sieht in unserem demokratischen Grundrecht auf freie Meinungsäusserung „Verantwortungslosigkeit“.
Nach dieser muslimischen Lesart des französischen Verbands sind also nicht wir, auf unserem eigenen Grund und Boden, die Opfer ideologisch-religiös motivierter Gewalt, sondern die von aussen einwandernden Muslime müssen vor der „Verantwortungslosigkeit“ von Demokraten geschützt werden.
Unsere Solidarität gilt den mutigen Redakteuren der Zeitung Charlie Hebdo.
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→ Islam-Film: Verbotsforderung ist Angriff auf Demokratie, 18.09.2012