M ario Draghi ist ein vollendeter Zyniker. Deswegen wurde er auch zum Präsidenten der EZB gemacht. Gegen ihn war sein Vorgänger Trichet fast schon ein Lämmchen. Im Interview mit dem Wallstreet Journal vom 24. Februar 2012 – es schaffte es sogar, wenn auch verzerrt, in die Krone – meinte er auf die Frage nach dem europäischen Sozialmodell, „das Europa definiert hat“ (der Journalist): „Aber das gibt es doch ohnehin nicht mehr….“
Und zu Griechenland bemerkt er: „Die Zahl derer, die den Bankrott oder den Austritt aus dem Euro wollen, scheint nicht zu überwiegen.“ Und er hat (noch) recht. Und das ist das Problem. Denn die Menschen haben Angst.
Doch der Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone hat schon begonnen. Aber er läuft unter den für das Land schlechtesten Bedingungen ab, weil man dies nicht zugibt.
Überlassen wir die juristischen Probleme den Advokaten. Hier soll es um Politik und Wirtschaft gehen.
Die politischen Spitzen Europas und Griechenlands haben in ihrer unglaublichen Verblendung und Hirnlosigkeit ihr eigenes Mantra ernst genommen: „irrevocably“ – unwiderruflich. Für Eventualitäten ist kein Weg vorgesehen.
Das bedeutet unter den Umständen eine Beinahe-Katastrophe. Zwar ist der Primärsaldo (also die Staatsbilanz vor dem Schuldendienst) schon positiv: Die griechische Politik könnte sich und ihre Verpflichtungen gegenüber der eigenen Bevölkerung also, ohne Schuldendienst, gut selbst erhalten.
Das ist in Spanien z. B. nicht der Fall: Das Land hat einen hohen negativen Primärsaldo – und eine eben gewählte konservative Regierung, welche die Politik der Sozialdemokraten fortsetzt. Das Sperrkonto bei der Griechen-„Hilfe“ ist kein Zufall: Ebenso gut könnten die “Helfer” das Geld direkt von Frankfurt und Wien an die Banken überweisen.
Aber das würde die Verteufelung der Griechen gegenüber der eigenen Bevölkerung schwerer machen.
Es gibt bereits eine enorme Kapitalflucht, und sie wird sich nochmals akzentuieren. Kapitalverkehrskontrollen und damit verbunden Personenkontrollen an den Grenzen wären eine absolute Notwendigkeit. Es darf sie nicht geben. Das griechische Bankensystem ist gefährdet, und mit ihm – diesmal stimmt es ausnahmsweise – das Geldsystem insgesamt.
Zumindest für eine Übergangszeit wäre also ein allgemeiner Haftungsverbund der Banken dringlich. Aber auch das würde wieder Kapitalverkehrskontrollen voraussetzen. Schliesslich wird in den ersten Wochen der Drachmen-Kurs – nennen wir es einmal so – weit unter jeden vernünftigen Wert abtauchen. In dieser Zeit wird der Aussenhandel nahezu zum Erliegen kommen. Zumindest vorübergehend wären also auch Warenverkehrskontrollen nötig; ebenso auch eine Bewirtschaftung der Energieeinfuhr und -verteilung.
Die Hauptfrage ist: Wen wird der kaum vermeidbare nochmalige starke Rückgang der Wirtschaftsleistung treffen? Das grösste Risiko ist politischer Natur. Eine neue eigene Währung würde Griechenland wieder konkurrenzfähig machen.
Ein Rachefeldzug der EU ist wahrscheinlich. Schliesslich sollen die anderen Austritts-Kandidaten bei der Stange gehalten werden, Portugal und Spanien.
„Eine Abwertung würde Griechenland zweifellos Luft schaffen … [und] die griechische Wettbewerbsfähigkeit deutlich stärken.“ Und das würde die EU „durch Zölle zu kompensieren versuchen“. (NZZ, 20. 2. 2012)
Die Faktengrundlage dieser Überlegungen besteht vorwiegend aus Studien von Banken (Citi-Group; UBS, mit ganz anderem Tenor; auch einzelne nicht österreichische Zeitungen). Die österreichische Journalistik ist eine reine Katastrophe und weder fähig, noch willens, sinnvolle Informationen zu liefern.
Griechenland, Portugal, Spanien, und auf seine Weise Irland wurden zu Versuchs-Kaninchen der EU: Was akzeptiert die Bevölkerung gerade noch? In Irland, Spanien und Portugal hat sie bisher auf von der EU gewünschte Weise reagiert. In Griechenland ist es anders.
Die Prognosen lauten auf einen linken Wahlsieg (von drei unterschiedlichen Parteien); überdies scheint ein bewaffneter, terroristischer Widerstand im Entstehen zu sein. Die EU-Politik verliert das Interesse, insbesondere Deutschland.
Der deutsche Innenminister hat bereits den Austritt empfohlen (Welt, 27.02.2012).
„Eine Weigerung der EZB, die griechischen Banken weiter im €-System zu finanzieren, wäre eine deutliche Aufforderung an das Land, es zu verlassen“ (Citigroup-Studie vom 06.02. 2012). Genau das aber ist am 01. März passiert.
Man will den anderen Ländern zeigen, was “droht”. Während nämlich die politische Klasse „compliance“ zeigt – compliance heisst Willfährigkeit – , ist es mit der Bevölkerung anders.
Aber das ist jetzt bereits egal: Die ausländischen Banken haben ihre Aussenstände gegenüber Griechenland in den letzten 1 ½ Jahren um gut 60 % vermindert. Die sind aus dem Schneider. Die einzige Position, die massiv angestiegen ist, sind die Aussenstände der Staaten und der Zentralbanken, also kurz: der Bevölkerungen. Denn die EZB und die anderen Zentralbanken haben den Privaten ihre faulen Kredite zum grösseren Teil mit Handkuss abgenommen.
Und das betrifft auch Österreich: Die neuerlichen Ausgaben für die Volksbank – wir werden darauf in einem anderen Artikel zurückkommen – machen 700 Mill. € aus. Das sind in Summe ziemlich genau die angekündigten Kürzungen bei den laufenden Pensionen.
Der Schieder’sche Sprech, man werde dies „gegenfinanzieren“, ist ein besonders plumper Versuch, die Menschen für dumm zu verkaufen. Die Frage ist: Werden sie es sich gefallen lassen? Wird die „compliance“, die Willfährigkeit gegenüber politischer Klasse und EU ausreichen?
Die Banken sind der Ansicht: Ja. Denn die Strategie ist: Jetzt sollen sich die Griechen erwürgen. Wir konzentrieren uns auf Spanien und Portugal. Und das ist für sie wohl auch notwendig. Denn die Herren Bank-Analysten könnten sich irren. Auch Spanier und Portugiesen könnten aufbegehren, auch wenn derzeit noch wenig Bewegung erkennbar ist.
Dann gibt es auch noch die Seite der EU insgesamt. Es fand seit zwei Jahren eine erkennbare nationale Entflechtung im Finanzwesen statt. Die Banken trauen einander nicht, verständlich.
Und die halbe Billion für das „Langfristprogramm zur Finanzierung der Wirtschaft“ (langfristig ist übrigens ein Witz – es geht um 3 Jahre) von Ende Dezember ist in der Produktion nie angekommen. Die Banken haben die Milliarden genommen und sie dazu benützt, ihre ganz kurzfristigen Verbindlichkeiten abzubauen.
Den Rest legten sie aufs Konto bei der EZB und nehmen lieber einen geringfügigen Zinsverlust in Kauf, als das Risiko neuer Kreditvergabe einzugehen.
Das postparlamentarisch/ postdemokratische System der EU hat mit der Euro-Krise einen mächtigen Schritt vorwärts gemacht. Die alten Formen auf nationaler Ebene bleiben erhalten. Aber die politischen Inhalte werden anderswo entschieden.
Das parlamentarische System hat sich an der Haushalts-Kompetenz entwickelt. Die wandert jetzt tendenziell nach Brüssel. Und wenn es trotzdem kracht, dann richtet man Notstands-Regierungen ein, wie in Griechenland und Italien. Ihre Legalität erhalten sie von Parteien-Vertretern, die längst keine Legitimität mehr haben.
Das breite europäische Zentrum, wie immer die Parteien im Einzelnen auch heissen mögen, hat einen mächtigen Schritt in der System-Transformation gemacht. Und die Nutznießer freuen sich, nicht nur in Europa, und kaufen mit zweistelligen Wachstumsraten Luxus-Produkte, hauptsächlich aus Europa.
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