V iel, viel bedeutsamer ist, dass es darum geht, dieses Wahlrecht überhaupt zu bekommen, es zu behalten und ihm Gewicht zu verleihen. Jedes einzelne dieser Rechte ist in Gefahr, während das Jahr 2012 beginnt und ein weiterer Wahlkampf um das Amt des Präsidenten losgeht. Aber das ist nichts Neues.
Immerhin ist Demokratie nichts, wenn sie nicht eine ständige Belästigung für die Machthaber darstellt. Sie besagt, dass die Politik jeden angeht, und dass die Anliegen sogar der finanziell und sozial an den Rand gedrängten Bürger gleichrangig stehen neben denen der höchsten Elite.
In der Tat ist niemand in einer Demokratie an den Rand gedrängt – dazu stehen wir als Nation, glauben es aber nicht. Und deshalb sind Bürger die ganze Zeit über an den Rand gedrängt.
„Sogar 2008, als es die höchste Wahlbeteiligung seit vier Jahrzehnten gab“, schrieb Ari Berman letzten September in Rolling Stone, „gingen weniger als zwei Drittel der Wahlberechtigten zu den Urnen. Gemäß einer Untersuchung des MIT wurde 9 Millionen Stimmberechtigten die Möglichkeit verwehrt, ihre Stimmen abzugeben aufgrund von Problemen mit ihrer Registrierung … lange Schlangen vor den Wahllokalen … Ungewissheit über das zuständige Wahllokal … oder Fehlen eines gültigen Ausweises.“
Berman weist in dieser Abhandlung auf zwei ernste Probleme hin. Das geringere der beiden, obwohl immer noch äusserst bedenklich, ist der Mogelfaktor: der Aufbau von Hindernissen für ungeschützte Wähler oder der unverblümte Ausschluss bestimmter Wählergruppen durch legale, halblegale oder gänzlich illegale Maßnahmen.
Der Mogelfaktor kann sich auch auf die tatsächliche Manipulation von Wahlergebnissen beziehen, etwas, was mit elektronischen Wahlmaschinen unheimlich leicht gemacht werden kann – Beweise für weit verbreitete Unregelmäßigkeiten beflecken noch immer zum Beispiel George Bushs Wiederwahl 2004.
Dieses Jahr sind die Demokratieverhinderer wieder mit voller Kraft am Werk. Die NAACP (National Association for the Advancement of Colored People – Nationale Organisation für die Förderung farbiger Menschen) hat einen Bericht herausgebracht unter dem Titel: „Verteidigung der Demokratie: gegen die modernen Beeinträchtigungen des Wahlrechts in Amerika“, welches, wie Harvey Wasserman und Bob Fitrakis berichteten, „sich gegen die neuen Jim Crow-Taktiken (rassistische Maßnahmen der Diskriminierung) richtet, die von vierzehn Staaten erlassen worden sind und den Zweck verfolgen, Minderheiten im Jahr 2012 von Wahlen abzuhalten.“
Die Organisation hat die UNO ersucht, das zu untersuchen.
Die berüchtigtste dieser Taktiken war die Verbreitung von Gesetzen, üblicherweise erlassen in Bundesstaaten mit von den Republikanern dominierten gesetzgebenden Körperschaften, die von den Wahlberechtigten im Wahllokal einen Ausweis mit Foto verlangten, angeblich um „Wahlbetrug“ zu verhindern – ein künstlich aufgebauschtes Problem, erfunden von Funktionären der Republikanischen Partei wie Karl Rove, um Gesetze zu rechtfertigen, welche die Wahlbeteiligung von typisch demokratischen Wählerschichten einschränkten.
Diese Wählerschichten – Afroamerikaner, Latinos, die Armen, die Alten – sind viel weniger wahrscheinlich im Besitz eines Personalausweises wie etwa eines Führerscheins als Mittelklasse-Weisse. Um einen staatlichen Ausweis von der Abteilung für Kraftfahrzeuge zu bekommen, sind lange Wartezeiten und, möglicherweise, den Erwerb eines Geburtsscheins erforderlich, was mit einer neuzeitlichen Wahlsteuer verglichen wurde.
Weitere gesetzliche Hindernisse bilden bürokratische Hürden, mit denen die Registrierung der verkompliziert wird, was, wie Berman berichtete, die League of Women Voters (Liga der Frauen-Wählerinnen) dazu brachte, ihre Registrierungsbemühungen in Florida einzustellen, und Rock the Vote, die 2008 bis zu 2,5 Millionen Wähler erfasst haben, das selbe zu tun; auch die Ausschliessung von ehemaligen Straftätern, unter denen sich aufgrund verschiedener historischer Bedingungen unverhältnismäßig viele Afroamerikaner oder Latinos befinden. (Viele Menschen gleichen Namens wie ehemalige Straftäter wurden in einer Reihe von Staaten bei Wahlen in letzter Zeit aus den Wählerverzeichnissen gestrichen.)
Jenseits des Mogelfaktors – dem Ausschluss bestimmter Wähler oder der Manipulation der Ergebnisse – wird die amerikanische Demokratie ausgehöhlt durch einen Vorgang, der meiner Meinung nach noch viel heimtückischer ist: die langsame, stetige Aneignung von Macht durch nicht gewählte besondere Interessen und die Privatisierung der Gemeinsamkeiten. Dieser Prozess läuft, ganz egal, wer gewählt wird, weil die gewählte Macht ihm untergeordnet ist.
Ich habe noch immer schillernde Erinnerungen an Menschenschlangen rund um Häuserblocks vor Wahllokalen in Chicago am Wahltag 2008, als die Obama-Kampagne Hoffnung und Aussichten in nahezu unvorstellbarem Ausmaß mobilisierte. Wie allerdings Berman ausführte, repräsentierte das weniger als zwei Drittel der Wähler, obwohl es das beste Ergebnis war, welches das Land in vier Jahrzehnten hervorgebracht hat.
Neben den 9 Millionen Menschen, die 2008 zu wählen versuchten und aus verschiedenen Gründen nicht konnten, haben über 40 Millionen Menschen gar nicht versucht zu wählen.
Das ist kein Problem von „Faulheit.” Es ist eher wie eine pragmatische Hoffnungslosigkeit. Die Medien geben ihr bestes, um den Wahlprozess zu trivialisieren und ein Pferderennen daraus zu machen. Und die militärisch-industrielle Wirtschaft mit ihren Organisationen wie ALEC (American Legislative Exchange Council – amerikanischer Rat zum Austausch mit Gesetzgebern), dem rund 2.000 Gesetzgeber der Staatsparlamente und hunderte von Firmen (z.B. Koch Industries, Wal.Mart, Pfizer, AT&T) angehören, gestaltet ruhig die Gesetzgebung und übt politische Macht aus im Interesse des Geldes.
Die gute Nachricht ist, dass, während wir aufs Neue unser Wahlrecht zurückfordern, wir auf organisierte, geheime, nicht gewählte Macht stoßen und unsere eigene wiedererlangen.
Wirkliche Demokratie wird repräsentiert durch aktive Bürger, und besonders spektakulär im Jahr 2011, durch die Occupy-Bewegung, welche gezeigt hat, dass „Wählen“ etwas ist, was wir tagtäglich mit unseren Handlungen in die Tat umsetzen.