Guantánamo, mein Albtraum

Am Mittwoch, den 11. Januar jährt sich zum 10. Mal die Eröffnung des Guantánamo-Lagers - von Lakhdar Boumediene

- von RF  -

I ch habe in diesem Lager sieben dieser zehn Jahre ohne Rechtfertigung noch  Anklagegrund verbracht. Die ganze Zeit sind meine Töchter ohne mich gewachsen. Sie waren noch Babys als ich verhaftet wurde und nie durften sie mich besuchen oder am Telephon sprechen. Die meisten Briefe, die sie mir geschrieben, sind zurückgeschickt worden als „nicht lieferbar“ und aus den wenigen, die ich trotzdem erhalten, war so viel gestrichen worden, dass keine Spur von Liebe und Unterstützung mehr daraus zu lesen war.

Einige US-amerikanische Politiker behaupten, die Häftlinge in Guantánamo seien Terroristen, aber nie bin ich einer gewesen. Wäre ich nah meiner Entführung vor Gericht gestellt worden, so wäre das Leben meiner Kinder nicht verheert worden und meine Familie hätte die Armut nicht gekannt.

Erst nachdem der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten der Regierung befohlen hat, seine Verfahren vor einen Bundesbezirksrichter zu bringen, bin ich im Stande gewesen, meine Ehre wieder herzustellen und meine Familie wieder zu finden.

Ich hab Algerien 1990 verlassen um im Ausland zu arbeiten. 1997 zog ich mit meiner Familie nach Bosnien; mein Arbeitgeber, die Rothalbmondgesellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate hatte mich dorthin geschickt. Ich bin in der Amtsstelle von Sarajevo als Leiter der humanitären Hilfe für Kinder, die bei den Balkankonflikten Angehörige verloren hatten tätig gewesen und bin 1998 bosnischer Staatsbürger geworden.
Das Leben war schön, aber nach dem 11.9 ist alles anders geworden.

Als ich den 19. Oktober 2001 am Vormittag auf meinem Arbeitsplatz ankam, wartete ein Offizier des Geheimdienstes auf mich und bat mich, mitzukommen: ich sollte einige Fragen beantworten. Das hab ich ganz freiwillig getan- aber später wurde mir mitgeteilt, dass ich nicht mehr nach Hause durfte.

Die USA hatten meine Verhaftung und die von fünf weiteren Männern verlangt. Bei den Tagesnachrichten hiess es, dass die Vereinigten Staaten den Verdacht hegten, ich sei an einem Komplott beteiligt und beabsichtigte, das US-Botschaftsgebäude in Sarajevo in die Luft zu sprengen.  Dabei hatte ich keine einzige Sekunde einen solchen Plan genährt.

Es war von vornherein ganz klar, dass es sich um einen Irrtum handelte. Der Oberste Gerichtshof von Bosnien, der hinsichtlich dieser Anklage Untersuchungen geführt hat, kam zum Schluss, dass ich vollkommen unbelastet war und sprach mich mangels Beweisen frei.
Aber bei meiner Befreiung wurde ich zusammen mit den fünf anderen von US-amerikanischen Agenten entführt. Wie Tiere gefesselt wurden wir nach Guantánamo, dem US- Marinestützpunkt in Cuba per Flugzeug transportiert. Dort traf ich am 20. Januar 2002 ein.

Damals hatte ich noch Vertrauen in die US-amerikanische Justiz. Ich glaubte fest, dass meine Entführer ihren Irrtum einsehen und mich befreien würden. Als ich jedoch meinen Verhörern die gewünschten Antworten nicht gab – und wie konnte ich anders, da ich doch nichts verbrochen hatte? – wurden sie immer gewalttätiger. Man liess mich mehrere Tage lang  nicht schlafen. Ich musste in schmerzhaften Stellungen stundenlang verharren.
Davon will ich nicht mehr reden, nur vergessen.

Ich hab zwei Jahre lang einen Hungerstreik gemacht, weil keiner mir sagen wollte, warum ich verhaftet war. Zweimal am Tag steckten meine Entführer einen Schlauch in meine Nase, der durch die Kehle bis in den Magen reichte und  schleusten damit Nahrung in meinen Körper. Das war total unausstehlich doch protestierte ich weiter, weil ich ja unschuldig war.

Im Jahre 2008 gelangte mein Gesuch um ein legales Verfahren bis zum Obersten Gerichtshof der USA. In einem Beschluss, der meinen Namen trägt erklärte der Oberste Gerichtshof, dass „Gesetze und Verfassung selbst Ausnahmezeiten überdauern müssen und auch in solchen Zeiten weiter gelten. Dazu sind sie da.“

Der Gerichtshof hat also geschätzt, dass Häftlinge wie ich das Recht haben, vor Gericht gestellt zu werden, ganz gleich, welche Anklage gegen sie liegt Der Oberste Gerichtshof hat also eine grundlegende Wahrheit anerkannt: Auch die Regierung kann Irrtümer begehen.
Ebenfalls liess sie verlauten, dass „ein Irrtum zur Verhaftung von Menschen führen konnte für die Dauer von Feindseligkeiten, die eine Generation oder mehr dauern können und folglich war die Gefahr zu gross, um ignoriert zu werden.“

Lakhdar Boumediene

Lakhdar Boumediene

Fünf Monate später hat der Richter Richard J. Leon vom Bundesbezirksgericht in Washington alle Motive untersucht, die meiner Verhaftung zu Grunde lagen, einschliesslich der geheim gehaltenen Informationen, die ich nie gelesen oder gehört habe.
Die Regierung hat ihre Behauptung zurückgenommen, dass ich einen Bombenanschlag auf das US-Botschaftsgebäude  plante, noch bevor der Richter sie anhören konnte. Nach der Anhörung hat der Richter meine Freisprechung sowie die der vier anderen beordert, die in Bosnien verhaftet worden waren.

Nie werde ich den Augenblick vergessen, wo ich zusammen mit den vier anderen Männern in einem widerlichen Zimmer in Guantánamo sass und aus einem Lautsprecher mit  dumpfem Klang anhörte, wie der  Richter Leon in einem Washingtoner Gerichtszimmer seinen Entschluss vorlas. Er forderte die Regierung auf, keine Berufung einzulegen, denn „sieben Jahre Frist, bis unser Rechtssystem eine Antwort auf eine so wichtige Frage gibt, ist nach meiner Einschätzung mehr als zu lang“. Am 15 Mai 2009 wurde ich endlich befreit.

Heute lebe ich in der Provence mit meiner Frau und meinen Kindern. Die französische Regierung hat uns ein Zuhause angeboten und einen Neuen Start ermöglicht. Ein Haus Ich hab das Vergnügen gehabt, meine Töchter neu kennen zu lernen und im August 2010 die Freude meinen Sohn Jussuf zu empfangen. Ich mache den Führerschein, eine Berufsausbildung, baue mein Leben neu auf.  Ich hoffe, wieder im Dienste der Anderen arbeiten zu können, ihnen zu helfen, aber nach siebeneinhalb Jahren Haft in Guantánamo ziehen die Menschenrechtlerorganisationen selten wirklich in Betracht, mich anzustellen.

An Guantánamo denke ich nicht gern. Die Erinnerungen sind allzu schmerzlich. Jedoch teile ich meine Geschichte mit, denn dort sitzen immer noch 171 Männer, darunter Belkacem Bensayah, der mit mir zusammen in Bosnien entführt und nach Guantánamo verstellt worden ist.

Ungefähr 90 Häftlinge wurden befreit und sollten aus Guantánamo verlegt worden. Einige stammen aber aus Ländern wie Syrien oder China und laufen Gefahr, gefoltert zu werden, wenn sie dorthin zurückgeschickt werden,  oder Jemen, das die USA als „unstabil“ betrachten.
Deshalb bleiben sie dort wie gefangen, ohne jede Zukunftsaussicht – nicht, weil sie gefährlich sind oder Amerika attackiert haben, sondern einfach, weil die von Guantánamo hinterlassenen Brandmale sie daran hindern, irgendwohin zu fahren – und die USA bieten keinem eine Unterkunft.

Ich habe erfahren, dass mein Fall vor dem Gerichtshof heute in den Rechtsschulen einstudiert wird. Vielleicht wird es mir mal irgendwie zufrieden machen.
Aber, solange Guantánamo bestehen wird und dort Unschuldige sitzen, werde ich dort in Gedanken bleiben, bei denen, die ich dort hinterlassen habe, an diesem Ort des Leidens und der Ungerechtigkeit.

RF/tlaxcala-int.org – Übersetzung Michèle Mialane

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