Armenien: Völkermord als Wahlkampfhilfe in Frankreich?

Zum Zeitpunkt des von den Armenien "Aghet", also Katastrophe bezeichneten Genozids gab es die heutige Türkei nicht, sondern das Osmanische Reich

- von Presseticker  -

E twas mehr als 20 Länder und internationale Organisationen sprechen offiziell von einem Völkermord an den Armeniern. Andere, Deutschland etwa oder die Türkei, erkennen zwar teils ein Massaker an, nicht aber einen Völkermord.
Bei seinem Besuch vergangenen Oktober in Armenien sagte Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy: “Ein großes Land wie die Türkei muss auch die dunklen Seiten seiner Geschichte anerkennen, und somit den Völkermord an den Armeniern. Frankreich und Armenien würden dies als großen Schritt nach vorn ansehen.”

Die Antwort aus Ankara kam prompt. Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan ließ wissen: “Der französische Präsident besucht jetzt also Armenien und gibt der Türkei von dort aus einseitige Empfehlungen, um das Thema dann im Wahlkampf zu benutzen. Er sollte sich besser richtig informieren, dann kann er gerne nochmal kommen.”

Armenien: Völkermord als Wahlkampfhilfe in Frankreich?

Von allen Ländern, die den Völkermord offiziell anerkennen, hat wohl der jetzige Schritt Frankreichs die Türkei am meisten getroffen. Ein Blick in die Geschichte: Zum Zeitpunkt des von den Armenien “Aghet”, also Katastrophe bezeichneten Genozids gab es die heutige Türkei nicht, sondern das Osmanische Reich.
Das war bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges dabei, auseinanderzufallen. Zwischen 1878 und 1915 schrumpfte es um satte 85 Prozent seiner Fläche. Der Krieg schien ein guter Zeitpunkt zu sein, um wieder Boden gutzumachen.

Unter dem Druck der sogenannten Jungtürken, revolutionärer Nationalisten, stieg der Sultan im November 1914 an der Seite Deutschlands in den Krieg ein, gegen die Alliierten und gegen Russland. Ein Versuch, die Armenier einzubinden, scheitert, sie gehen lieber zu den Russen. Der Beginn eines dunklen Kapitels.

In der Folge wurde die armenische Bevölkerung deportiert, in Lager gebracht. Viele starben auf den langen Wegen, die teils im Viehwagen, teils zu Fuß zurückgelegt wurden. Die Zahlen der Opfer sind je nach Quelle unterschiedlich, doch alleine im Sommer 1915 kamen gut zwei Drittel der armenischen Bevölkerung im Osmanischen Reich um.

Der Vater der modernen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, sprach noch von einem schändlichen Massaker. Doch seither, seit 1923 hat es keine türkische Regierung geschafft, noch einen Schritt weiterzugehen. Eine Haltung, die ihre Wurzeln tief in der kollektiven Erinnerung hat, in einem Gefühl der Identität und nationalen Ehre.

2001 erließ das französische Parlament ein Gesetz, in dem der Völkermord an den Armeniern aus dem Jahr 1915 als solcher anerkannt wird. Und diesen zu leugnen ist jetzt also strafbar.

Allerdings: Im vergangenen Jahr hatte die Partei von Präsident Sarkozy ein entsprechendes Gesetzesvorhaben noch gestoppt. Jetzt tauchte es wieder auf. Und die Frage steht im Raum: Handelt der Präsident wirklich aus Mitgefühl mit den Armeniern, oder hat er, der einen Betritt der Türkei zur EU strikt ablehnt, doch eher die Wahlen im kommenden Jahr vor Augen?

600 000 Armenier leben in Frankreich. Das wiegt dann womöglich doch schwerer als die 500 000 hier lebenden Türken.

2011-12-22 19:00 – RF/euronews

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