D er DGB-Vorsitzende Michael Sommer und Verteidigungsminister Thomas de Maizière haben Anfang Februar auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mitgeteilt, dass es eine Kooperation zwischen Bundeswehr und Gewerkschaft geben wird.
Dieser Vorstoß wird in der deutschen Öffentlichkeit als “Schulterschluss” bewertet.
Susann Witt-Stahl traf in Hamburg den Schauspieler und aktiven Gewerkschafter Rolf Becker und sprach mit ihm über die historische Bedeutung dieser Zusammenarbeit, den neoliberalen Zeitgeist in den Betrieben und die wachsende Kriegsgefahr.
Susann Witt-Stahl: War der Schulterschluss zwischen DGB und Bundeswehr für Sie eine Überraschung oder eine logische Konsequenz der korporatistischen Politik, die die Gewerkschaften immer intensiver verfolgen?
Rolf Becker: Die Erklärung des DGB-Vorsitzenden ist vorher nicht mit den Mitgliedern diskutiert worden. Die bürgerlichen Medien nehmen sie als selbstverständlich hin. Sie entspricht der politischen Linie des DGB.
Auch die Zustimmung zum Jugoslawienkrieg 1999 durch den damaligen Vorsitzenden Dieter Schulte gegenüber der Bundesregierung, der NATO und den USA wurde nie gewerkschaftsöffentlich thematisiert – ein Ja, das ebenfalls ohne Rücksprache mit den Mitgliedern, aber in deren Namen ausgesprochen wurde.
Die Diskussion darüber war damals besonders wichtig, weil die Beteiligung am Bombardement Serbiens zugleich der erste Angriffskrieg Deutschlands seit 1939 war.
Das Jeder-gegen-jeden-Denken hat sich seit dem deutschen Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg in verheerender Form entwickelt – Kriegsgegner und Gewerkschafter Rolf Becker
Medien nehmen sie als selbstverständlich hin. Sie entspricht der politischen Linie des DGB.
Auch im Fall der nun angekündigten Kooperation mit der Bundeswehr halte ich es für unerlässlich, so grundsätzliche Fragen wie die nach dem Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Krise und der Notwendigkeit von Kriegen in den Gewerkschaften und in den Betrieben möglichst breit zu reflektieren.
Dass der Satz von Brecht, „Die Unternehmer wollen keinen Krieg – sie müssen ihn wollen“, stimmt, sieht man besonders seit 1989. Der wirtschaftliche Niedergang zwingt Unternehmer und Regierende, darüber nachzudenken, wo noch Märkte zu erschließen sind.
Daran gekoppelt ist die Frage nach Auf- und Hochrüstung, nach Kriegen und Unterwerfung von Gebieten, die dem Zugriff des Kapitals noch nicht völlig geöffnet sind.
Susann Witt-Stahl: Verteidigungsminister de Maizière sagte, „die Gewerkschaft versteht sich als Teil der Friedensbewegung. Die Bundeswehr versteht sich auch als Teil der Friedensbewegung.“ DGB-Chef Sommer hatte keinerlei Einwände gegen diese Gleichsetzung.
Wie ist sein Verhalten zu interpretieren?
Rolf Becker: Ich denke, es gibt kaum jemanden, der erklärt: ,Ich bin für den Krieg.‘ Es gibt keinen einzigen Unternehmer, keinen einzigen Militärangehörigen, keinen Polizisten, der sich nicht als Teil der Friedensbewegung bezeichnet.
Das ist eine Null-und-nichtig-Aussage, die aber nicht unwidersprochen hingenommen werden kann.
Denn hier wird ein falsches Gleichheitszeichen gezogen: Der Jugoslawienkrieg, der Afghanistankrieg, die indirekte Unterstützung des Irakkrieges, die Vorbereitungen des Angriffs gegen Syrien und den Iran werden als Teil der Friedensbewegung definiert.
Auch die Gewerkschaften verstehen sich als Teil der Friedensbewegung, also ist es ein aus seiner Sicht folgerichtiger Schulterschluss, den der DGB-Vorsitzende mit der Bundeswehr vollzieht.
Solcher ideologischer Brücken hat es schon mehrfach bedurft. (…)
Susann Witt-Stahl: Die Gewerkschaftsführung schwimmt mit dem Strom des neoliberalen Zeitgeistes?
Rolf Becker: Wenn in den Betrieben Berichten und Analysen über die Situation in Griechenland zugehört wird, dann ist das heutzutage schon sehr viel.
Sommer weiß – davon gehe ich aus – ziemlich genau von der Stimmung in den Belegschaften, zumindest der Großbetriebe. Er weiß, ihm wird kein qualifizierter Widerstand entgegenschlagen.
Ob da ein paar kritische Vögel aufschreien oder nicht – das schultert er. Ich sage das alles als Mitglied der Gewerkschaft, nicht als jemand, der sie zertrümmern will, sondern als Kollege, der sie als eine Grundlage für Veränderungen begreift, die nur von unten durchgesetzt werden können.
Noch haben wir die Situation, dass diejenigen, die unfreiwillig am konsequentesten aufklären, Unternehmer sind – durch die Maßnahmen, die sie ergreifen. Wenn Opel Bochum dichtgemacht wird, erfahren die Beschäftigten mit dem Niedergang von Familie und Wohnsitz am eigenen Leib, was kapitalistische Politik ist.
Damit ist allerdings nicht gesagt, dass sie Schlussfolgerungen in unserem Sinn daraus ziehen.
Noch sind das – wenn auch mit zunehmender Tendenz – einzelne schlechte Erfahrungen. Zwischen den Arbeitern werden die schon erwähnten Differenzen verstärkt.
Während die einen in Erwerbslosigkeit und Existenzverlust entlassen werden, bekommen andere Lohnerhöhungen. Die erreichen aber fast nur die Kernbelegschaften in den Großbetrieben.
In mittelständischen Firmen mit 100 bis 300 Beschäftigen sieht es schlechter aus. Auch Rentner, Kranke, Kinder, Schüler bekommen kaum einen Cent mehr.
Letztlich läuft alles auf eine weitere Spaltung der Gesellschaft hinaus: Verschon‘ mein Haus, zünd‘s andere an!
Lass die Griechen kaputtgehen – Hauptsache, ich existiere.
Dieses Jeder-gegen-jeden-Denken hat sich seit dem deutschen Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg in verheerender Form entwickelt. „Zukunft gestalten, Standort erhalten“ – Sprüche wie diese sind auf Betriebsversammlungen großer Konzerne wie VW mit vielen tausend Beschäftigten über den Vortragsbühnen zu lesen.
Deutschland in Konkurrenz zu Japan oder Korea, VW gegen Daimler und Opel, aber auch VW gegen VW, Werksteil gegen Werksteil, Arbeiter gegen Arbeiter – eines Tages nicht mehr Ellbogen gegen Ellbogen, sondern mit dem Finger am Abzug, also im Krieg.
Und wem nützt es…?
Das vollständige Interview finden Sie bei → Hintergrund.de