L etzte Woche begann der im Prozess gegen Beate Zschäpe vor dem OLG München mitangeklagte Carsten Schultze mit seinen Aussagen zur Sache. Die Befragung des Carsten S. wurde bis Dienstag dieser Woche unterbrochen und in dieser 4. Verhandlungswoche fortgesetzt.
wir berichteten, siehe: DOSSIER: NSU – Nazi oder NATO?
Nachdem Carsten Schultze anfangs erhebliche Gedächtnislücken einräumte, erklärte er nun am Dienstag:
„Ich bin an einem Punkt angekommen, wo ich reinen Tisch machen möchte. Ich habe es, denke ich, überwunden, jedem gerecht werden zu wollen. Ich will sagen, wie es war.“
Allerdings konterkarierte Schultze diese Ankündigung auch gleich wieder, indem er am Donnerstag durch seinen Rechtsanwalt Jacob Hösl verlauten liess, er habe entschieden, dass er Fragen der Verteidiger des ebenfalls Mitangeklagten Ralf Wohlleben erst beantworten wolle, wenn auch dieser umfassend ausgesagt habe.
Nicht zuletzt durch dieses Manöver hat die Glaubwürdigkeit des Angeklagten Carsten Schultze erneut deutlich gelitten.
Das Tatgeständnis des Carsten S.
Carsten Schultze präsentierte sich vor Gericht als Überbringer einer Waffe. Wann, wo und an wen er eine Pistole mit Schalldämpfer geliefert haben will, darüber machte er widersprüchliche Angaben.
Letzte Woche noch räumte Carsten S. ein:
„Aber ich kann nicht ausschliessen, dass sie (die Waffe) bei Herrn Wohlleben verblieb.“
Die zentralen und kritischen Punkte in der aktuellen Version der von ihm eingeräumten Tat lauten so:
• Carsten Schultze habe persönlich Ende 1999 oder Anfang 2000 eine Waffe an Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos übergeben
• Die Übergabe erfolgte im Café der Galeria Kaufhof in Chemnitz
(+ Verlagerung des Treffens in ein Abbruchhaus)
• Vor Gericht bestätigte Schultze nicht, dass die Waffe eine Pistole der Marke Česká gewesen sei
Letzterer Punkt wird voraussichtlich nochmals im Rahmen der Beweisaufnahme zur Sprache kommen, wenn eine Gegenüberstellung mit der, durch die Anklage präsentierte, Pistole Česká Zbrojovka Modell 83 des Kaliber 7,65 Millimeter mit Schalldämpfer erfolgt.
Dieser Sachverhalt ist nicht zuletzt deshalb von besonderer Bedeutung, weil die meisten NATO-Mainstream-Medien fortlaufend suggerieren, Carsten S. hätte die von ihm übergebene Pistole als eine der Marke Česká identifiziert.
Das ist jedoch objektiv falsch, denn Schultze hat dies vor Gericht nicht ausgesagt.
Nach der Berichterstattung zum Zschäpe-Prozess in der Roten Fahne letzte Woche [1] sind mittlerweile auch einige andere Presseorgane mit seriösem Anspruch von der Česká-Dauerberieselung abgerückt und sprechen jetzt sachlicher von „einer Waffe“.
Bei der Übergabe in Chemnitz hätten Böhnhardt und Mundlos ihm zudem gesagt, dass sie „eine Taschenlampe in einen Laden in Nürnberg gestellt“ hätten. Er habe zunächst nicht gewusst, was sie damit meinten.
Nach diesem diffusen Hinweis auf einen möglichen Anschlag prüft die Bundesanwaltschaft ein Rohrbombenattentat in Nürnberg im Jahr 1999. „Wir versuchen zu verifizieren, um welche Tat es sich handeln könnte“, sagte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft. „Wir konzentrieren uns dabei derzeit vor allem auf den Fall in Nürnberg.“
Hingegen entlastete Carsten S. erneut die Hauptangeklagte Beate Zschäpe. Als Zschäpe in Chemnitz zu der Runde gestossen sei, hätten Böhnhardt und Mundlos ihn aufgefordert, zu schweigen: „Pssst, damit sie es nicht mitbekommt.“
Auf die Frage, ob Beate Zschäpe gewusst habe, dass er die Waffe besorgt habe, antwortet er: „Von mir nicht.“ Er habe auch nie Geld von Zschäpe direkt bekommen.
Galeria Kaufhof Chemnitz wurde erst 2001 eröffnet
Das zentrale Problem an Schultzes Version ist allerdings, dass die Galeria Kaufhof in Chemnitz erst am 18.10.2001 eröffnet hat, also ein bis zwei Jahre nachdem er Böhnhardt und Mundlos die Waffe übergeben haben will.
Zu diesem Zeitpunkt, dem Oktober 2001, gab es bereits vier Opfer der sog. “Döner-Mordserie”:
Den Schlüchterner Blumenhändler Enver Şimşek (09. September 2000, Nürnberg), den Fabrikarbeiter und Änderungsschneider Abdurrahim Özüdoğru (13. Juni 2001, Nürnberg), die Obst- und Gemüsehändler Süleyman Taşköprü (27. Juni 2001, Hamburg) und Habil Kılıç (29. August 2001, München).
Entweder sagt Carsten Schultze also die Unwahrheit, oder aber es lassen sich folgende objektive Schlussfolgerungen ziehen:
• Carsten S. hat die mutmaßliche Tatwaffe Marke Česká nie in Händen gehalten und nicht an Böhnhardt und Mundlos übergeben können
• Sollten Böhnhardt und Mundlos die Täter sein, so konnten sie die Morde nicht mit der Carsten S.-Waffe ausgeführt haben
• Da die Anklage davon ausgeht, dass es sich bei der Tatwaffe in neun Fällen der Mordserie um besagte Česká handelt – die angeblich in den Trümmern des Wohnhauses Böhnhardt/Mundlos/Zschäpe gefunden worden sein soll – ist die Version der Anklage zu diesem Punkt in sich zusammengefallen.
Denn entweder hat Carsten S. gar keine Waffe übergeben, oder aber kann es sich dabei nicht um die Tatwaffe, ob Česká oder ein anderes Modell, gehandelt haben.
Da Carsten Schultze so oder so als Überbringer der Tatwaffe ausfällt, entlastet dies zum einen den Mitangeklagten Ralf Wohlleben, vor allem aber steht die Bundesanwaltschaft jetzt vor der erneuten Herausforderung, nachzuweisen, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos und insbesondere Beate Zschäpe, um die es ja in diesem Prozess als Hauptangeklagte geht, bereits zum Zeitpunkt des ersten Mordes der Serie, mithin im September des Jahres 2000, im Besitz der mutmaßlichen Tatwaffe Česká waren.
Mehr noch; mit dieser Frage steht und fällt die gesamte NSU-Story, in der von staatlicher Seite behaupteten Ausprägung.
Carsten S. bestätigt Café in Galeria Kaufhof
Der Rechtsanwalt Jens Rabe vertritt Semiya Şimşek, die Tochter des ersten Mordopfers der Serie, als Nebenklägerin. RA Rabe hakte nach und fragte Carsten Schultze am Donnerstag:
„In welchem Café waren sie denn genau in Chemnitz?“
Darauf antwortete der Mitangeklagte Carsten S.:
„Ich habe ein Kaufhaus mit einem Café im Kopf. Da ist so ein Gefühl in meinem Kopf. In Düsseldorf gibt es ein Café in der Galeria Kaufhof. Das kenne ich. Das war dasselbe Gefühl. Deshalb habe ich das gesagt.“
Anders formuliert sagt Schultze damit: Das Kaufhaus-Café in Chemnitz ist vom Stil her identisch mit jenem in der Galeria Kaufhof in Düsseldorf.
Er bestätigt also auf Nachfrage nochmals seine Aussage zum Ort des Treffens im Rahmen der Übergabe der Waffe.
Die Galeria Kaufhof in Chemnitz wurde auch nicht nach Renovierung im alten Kaufhof wiedereröffnet. Anfang der 90er Jahre übernahm die Kaufhof AG die alten DDR HO-Zentrum-Warenhäuser in zahlreichen ostdeutschen Städten und baute diese später nach und nach um.
So geschehen bspw. am Alexanderplatz in Berlin.
Nicht so jedoch in Chemnitz. Dort bezog Kaufhof zwar auch von 1991 bis 2001 das alte DDR-Kaufhaus im 1913 erbauten Warenhaus Tietz, jedoch ist die Galeria Kaufhof ein futuristischer Neubau an einem anderen Ort.
Aus Firmenunterlagen geht hervor: „Am 18. Oktober 2001 wurde nach 22-monatiger Bauzeit das modernste Warenhaus Europas, die Galeria Kaufhof in Chemnitz, durch den Türmer Stefan Weber eröffnet.
Am 23. Oktober 2013 jährt sich die Eröffnung des Chemnitzer Warenhauses von Herrmann und Carl Tietz zum 100. Mal. Es galt damals als vornehmstes und grösstes Warenhaus in Sachsen und gehörte zu einer Gruppe von sieben grossen Häusern, die in ganz Deutschland errichtet wurden.
Nach der Wiedervereinigung wurde die Immobilie 1991 von der Kaufhof AG erworben und von ihr bis ins Jahr 2001 genutzt. Im Rahmen der Neugestaltung der Innenstadt verlagerte die Chemnitzer Kaufhof-Filiale ihren Standort und zog vom Warenhaus Tietz in das neue gläserne Kaufhaus als Galeria Kaufhof ein.“
Eine Verwechslung dieser beiden Bauten kann man nahezu ausschliessen. Oder anders ausgedrückt: Wer diese Architekturen und Orte nicht auseinanderhalten kann – insbesondere nach monatelanger Vorbereitung auf diesen Prozess von historischer Bedeutung – der empfiehlt sich generell nicht als Zeitzeuge.
Sachstand bei Gericht anders als erwartet
Am 01. Februar vergangenen Jahres hatte die Bundesanwaltschaft in ihrer Pressemitteilung 3/2012 geschrieben, Carsten S. sei „dringend verdächtig, gemeinsam mit dem gesondert verfolgten Ralf W. dem NSU 2001 oder 2002 eine Schusswaffe nebst Munition verschafft zu haben.
Er soll Waffe und Munition in Jena gekauft und anschließend an Ralf W. weitergegeben haben, der einen Kurier mit dem Transport zu den NSU-Mitgliedern nach Zwickau betraut haben soll.“
Wer geglaubt hatte, der Fall bzw. gesamte NSU-Komplex sei bereits hinreichend aufgeklärt gewesen, sieht sich mittlerweile eines Besseren belehrt. Der aktuelle Sachstand vor Gericht weicht demnach erheblich von der ursprünglichen Version der Bundesanwaltschaft ab.
Daher darf man gespannt sein, welche Wendungen der Fall noch nehmen wird.
Eines lässt sich zur Stunde allerdings bilanzieren: Der bisherige Prozessverlauf hat den Tatvorwurf gegen die Hauptangeklagte Beate Zschäpe nicht zu erhärten vermocht.
Und die Hauptverdächtigen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sind formaljuristisch gar keine, denn gegen diese wird der Prozess nicht geführt.
Die Verhandlung wurde am späten gestrigen Nachmittag bis zum kommenden Dienstag unterbrochen, Zeugen für diesen Tag wurden ausgeladen. Die Befragung des Angeklagten Carsten Schultze durch Rechtsanwälte der Nebenkläger sowie der Verteidigung wird dann auch in der kommenden Woche fortgeführt werden.
Nach Abschluss der Carsten S.-Befragung soll es im Zschäpe-Prozess um die Taten selbst gehen. Zunächst werden die zehn Morde in die Beweisaufnahme eingeführt. Als Zeugen geladen sind u.a. Polizeibeamte.
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