D er gesamte NSU-Komplex wirft die zentrale Frage auf: Haben Nazi-Terroristen die ihnen zur Last gelegten Taten, darunter 10 Morde, begangen – oder stecken Geheimdienste der imperialen NATO dahinter, ist gar alles nur Inszenierung?
Oder, Variante drei, haben Geheimdienste Neonazis für ihre Zwecke gesteuert und instrumentalisiert?
Wer sich diesen Fragen verweigert, macht sich bewusst mitschuldig an derlei Ereignissen. Wer ist eigentlich an Aufklärung interessiert und wer nicht?
Dass die Existenz solcher NATO-Operationen, Stichwort GLADIO und Stay-behind-Organisation, nicht falscher Verschwörungstheorie entspringt, ist historisch belegt. [1] [2] [3]
In unserem Bericht vom ersten Verhandlungstag im Zschäpe-Prozess wiesen wir bereits darauf hin, dass die Anklage die Rolle der Geheimdienste zensiert. Obwohl nach deutschen Recht Staatsanwaltschaften in Strafverfahren dazu verpflichtet sind, auch alles Angeklagte entlastende Material zu ermitteln und dem Gericht (und somit auch den Verteidigern) vorzulegen, geschieht genau dies im Zschäpe-Prozess nicht.
Dadurch wird die Rechtsordnung ausgehebelt und den Angeklagten ein rechtsstaatliches Verfahren vorenthalten.
Ein Gericht ist laut Strafprozessordnung (StPO) §244 verpflichtet, „zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.“
Die Rechtsanwälte von Beate Zschäpe haben nun gestern eine Unterbrechung für die gesetzliche Höchstdauer von drei Wochen beantragt, um in dieser Zeit Einsicht in Protokolle der NSU-Untersuchungsausschüsse in Thüringen, Sachsen, Bayern und dem Bund nehmen zu können.
Kopien dieser Vernehmungsprotokolle, die auch nichtöffentliche Zeugenaussagen von Geheimdienstmitarbeitern dokumentieren, sind Gegenstand eines weiteren Antrags. Diese seien für eine ordnungsgemäße Verteidigung unabdingbar, erklärte Zschäpes Anwalt Wolfgang Stahl vor dem Oberlandesgericht München.
Mehrere Anwälte der Nebenkläger begrüssten diese Anträge der Verteidigung.
Darüber hinaus beantragten Beate Zschäpes Rechtsanwälte die Ablösung zweier Anklagevertreter: Bundesanwalt Herbert Diemer habe dem Gericht nicht sämtliche Akten vorgelegt und Oberstaatsanwältin Anett Greger habe in einer Pressekonferenz eine subjektive Wertung über Zschäpes Verhalten am ersten Prozesstag abgegeben.
Diese Anträge wurden heute jedoch abgelehnt – obwohl der Sachverhalt wie beschrieben der Wahrheit entspricht.
Am gestrigen 3. Verhandlungstag wurden weitere skandalöse Vorgänge bekannt:
• Die den Rechtsanwälten vorgelegten Akten sind unvollständig, so u.a.:
• Es fehlt Aktenmaterial über den Aufenthalt von Beate Zschäpe im Jenaer Polizeirevier am 08. November 2011, in den ersten Stunden, nachdem sich die Hauptangeklagte gestellt hatte.
• Es fehlen die Lichtbilder von der Auffindesituation der Pistole des Typs Česká CZ 83, Kaliber 7,65 mm Browning, die laut Anklage die Tatwaffe in 9 Mordfällen sein soll.
• Es fehlt Akteneinsicht über den hessischen VS-Agenten Andreas Temme, der 2006 nachweislich am Tatort des Mordes an Halit Yozgat in Kassel anwesend war.
Die Mitangeklagten Carsten Schultze und Holger Gerlach bestätigten am heutigen 4. Verhandlungstermin ihre Aussagebereitschaft zur Sache. Beide stehen als mutmaßliche Terrorhelfer vor Gericht, wollen sich aber schon vor Jahren von der Szene abgewendet haben. Schultze will im Prozess auch Fragen der Nebenkläger beantworten, Gerlachs Verteidiger liessen noch offen, ob ihr Mandant dies tun werde.
Die Arbeitsbedingungen für Journalisten im Gerichtssaal haben sich unterdessen etwas verbessert. Wenn Medienvertreter als Zuschauer reingehen, weil Sie keinen festen Platz zugelost bekamen, dürfen sie ihre Computer wieder mitnehmen. Und auch Snacks und Getränke sind jetzt wieder erlaubt.
Arbeitsplätze im Sicherheitsbereich gibt es allerdings nach wie vor nicht.
mehr Nachrichten zum Thema
→ Zschäpe-Prozess ist kein NSU-Prozess, 06.05.2013
DOSSIER
- NATO-Staatsterror – Der Schattenmann, 09.05.2013 ↩
- Die NATO und ihre Geheimarmeen,Vorlesung von Historiker und Friedensforscher Dr. Daniele Ganser an der Universität Basel ↩
- GLADIO – NATO-Geheimarmeen in Europa,, SWR, arte TV Dokumentation ↩