D erzeit kursiert ein antiislamischer Hetzfilm (The Innocence of Muslims) durch die Medien, der vor allem im islamischen Kulturraum einmal mehr für skurrile Aufregung sorgt. Die Urheber des geschmacklosen Machwerks sind offenbar in den USA zu verorten, deren Intentionen sind unklar.
Den US-Autoren und ihren archaischen Glaubensgegnern in der islamischen Welt ist es allerdings gemeinsam gelungen, eine eskalierte Debatte loszutreten. Beide Lager befeuern erfolgreich eine Polarisierung, die man als aussenstehender Betrachter nur als absurde Klamotte aus dem Mittelalter empfinden kann.
Für unseren germanischen Kulturkreis ist es völlig ohne Relevanz, wie Menschen in den Ländern der islamischen Welt auf diesen Film oder ähnliche Werke reagieren. Es gehört zum Selbstbestimmungsrecht dieser Menschen, ihre Gesellschaften und kulturellen Diskurse in Eigenverantwortung zu gestalten.
Gefährlich wird es für uns dann, wenn unseren Gesellschaften Debatten aufgezwungen werden, die mit unserer Realität und virulenten Problemen nichts zu tun haben, jedoch in der politischen Auseinandersetzung instrumentalisiert werden.
Die aktuell erklingende Forderung nach einem Verbot besagten Films ist ein massiver Angriff auf den demokratischen Grundkonsens der Europäischen Aufklärung.
Ich habe den Film gesehen, empfand diesen als so blöd wie langweilig und habe lediglich aus Gründen der journalistischen Sorgfaltspflicht bis zum Ende durchgehalten. Es handelt sich um eine Art Pennäler-Scherz, so geschmacklos wie selbstentlarvend, der allenfalls einen antiquierten Religionslehrer in der Provinz dann zur Raserei zu provozieren vermag, wenn dieser in einem Klischeefilm von Theo Lingen dargestellt wird.
Die irrationale Debatte um das Machwerk zeigt allerdings Methode. Denn wer heute ein Verbot dieses Films fordert, öffnet die Büchse der Pandora für Zensur generell.
Zweifelsohne fällt der Film unter die Kategorie schwachsinnig, aber darauf kommt es bei dem demokratischen Grundrecht auf freie Meinungsäusserung in Kunst und Kultur, in Philosophie und Politik nicht an.
Das Wesen demokratischer Artikulation besteht gerade darin, auch unliebsame und als falsch empfundene Positionen zuzulassen und auszuhalten. Wer nicht mehr das demokratische Ringen der Geister zur Grundlage der gesellschaftlichen Entwicklung macht, fordert letztlich die Diktatur.
Man muss sich auch vergegenwärtigen, an WEN man die Verbotsforderung richtet; an die Herrschenden und deren Institutionen, an die Parteien der imperialen Rechten (= Kartell der bürgerlichen Parteien pro imperiale NATO/USA/EU), an die Funktionäre der imperialen Oligarchie.
Wer heute dem System das Instrument der Zensur in die Hände gibt, wird morgen selbst dessen Opfer sein.
Auch sei daran erinnert, dass Religionskritik und -Schmähung in Wort und Bild seit langem allgemein akzeptierter Bestandteil unserer Kultur sind. Ob im Theater, Film oder der Satire ganz allgemein, die gesellschaftliche Emanzipation von religiösen Tugendwächtern und Fanatikern gehört zum aufgeklärten, demokratischen Selbstverständnis unserer Gesellschaft.
Hierhinter wieder zurückfallen zu wollen ist gänzlich inakzeptabel. Es gilt zu hinterfragen wie es kommt, dass wir überhaupt mit derlei Themen belästigt werden?
Wieso wohl sollte in Deutschland jetzt wieder das Mittel der offenen staatlichen Zensur durchgesetzt werden? Wie kann es sein, dass hier lebende muslimische Ausländer Forderungen gegen unser kulturelles Selbstbestimmungsrecht erheben? Ich vermag darin nichts anderes zu erkennen, als eine von aussen in unseren Kulturraum hineingetragene Aggression.
Die ernsthaften Muslime, jene die den Islam als Religion im säkularisierten Staat und nicht als politisches Programm und Strategie leben, fordere ich auf, gemeinsam mit uns Sozialisten und allen Demokraten unsere emanzipatorischen Grundwerte zu verteidigen.
Den übrigen empfehle ich Auffrischungskurse der Sprache ihrer Heimatländer.
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