A m 14. Februar 1945 traf sich Franklin Roosevelt auf dem Kriegsschiff USS Quincy mit dem Saudischen König Ibn Saud. Damit begann eine enge Beziehung zwischen den USA und Saudi-Arabien, die nun schon fast sieben Jahrzehnte andauert.
Nach einer Aussage des US-Aussenministeriums erhielten die USA damit den Zugang zu „einer erstaunlichen Quelle strategischer Macht und einem der grössten materiellen Schätze der Weltgeschichte“.
Das erklärt auch die Obsession Washingtons, unbedingt die Kontrolle über diese Region behalten zu wollen. Sie birgt etwa zwei Drittel der nachgewiesenen Ölreserven der Welt und grosse Gasvorkommen.
Deshalb ist es auch kein Wunder, dass die USA ein Regime unterstützen, das einige Beobachter für das repressivste der Welt halten. Seine Politik ist durch staatlichen Terror bestimmt und die Freiheit wird unterdrückt.
Die staatliche Gewalt wird ausschliesslich von der Monarchie Al Saud und Mitgliedern der königlichen Familie ausgeübt.
Gegenwärtig hält König Abdullah Abdul Aziz die Macht in Händen. Er ist fast 88 Jahre alt und bei schlechter Gesundheit. Auch der Kronprinz Salman bin Abdul Aziz hat gesundheitliche Probleme. Nach einem Schlaganfall ist er seit Wochen bettlägerig. Die ganze königliche Familie herrscht despotisch.
Demokratische Institutionen sind streng verboten. Die Staatsverfassung gewährt den einfachen Bürgern und den Einwanderern keinerlei Rechte. Besonders die Frauen werden ausgegrenzt und unterdrückt.
Politische Parteien und Wahlen sind verboten. Der König ernennt einen Ministerrat, der aus einem Premierminister, seinem ersten und zweiten Stellvertreter, 20 Ministern, verschiedenen Beratern und den Vorsitzenden grösserer autonomer Organisationen besteht.
Das Königreich ist in 13 Provinzen unterteilt, deren Gouverneure der regierende Monarch ernennt. Sie sind entweder Prinzen oder enge Verwandte aus der königlichen Familie. 1993 wurde die Amtszeit der Minister auf vier Jahre beschränkt. 1997 wurde die Beratende Versammlung von von 60 auf 90 Mitglieder aufgestockt.
Die Medien werden streng kontrolliert. Die meisten Websites sind geblockt. Die Staatsreligion des Königreichs ist der Islam. Andere Religionen sind verboten.
Abweichler werden ohne Vorwarnung verhaftet und eingesperrt. Politische Kritiker, Blogger, Wissenschaftler, ausländische Staatsangehörige und Aktivisten mit humanitären Anliegen sind besonders gefährdet.
Nach Feststellungen des saudischen Journalisten Khaled al-Harbi nimmt das Königreich jährlich mehr als 400 Milliarden Dollar ein. Die Einnahmen schwanken mit den Ölpreisen. Das Jahreseinkommen eines saudischen Normalbürgers beträgt im Durchschnitt 400 Dollar. Nach Aussage Al-Harbis leben 60 Prozent der Bevölkerung in Armut.
Nach offiziellen Angaben der Beratenden Versammlung, der Schura, gelten nur 22 Prozent der saudischen Bevölkerung – das sind rund drei Millionen Menschen – als arm. Nimmt man die Eingewanderten und die Gastarbeiter dazu, dürfte Al-Harbi richtig liegen.
Die Einkommensunterschiede zwischen Reichen und Armen sind riesengross. Die Einkommensverteilung hängt von der Willkür der königlichen Familie ab. Sie und die privilegierten Eliten stecken den grössten Teil der Staatseinnahmen ein.
Viele Saudis müssen betteln gehen und den Einwanderern und Gastarbeitern geht es noch schlechter.
Die Arbeitslosigkeit ist hoch, wird aber offiziell verschleiert. Etwa zwei Drittel der 26 Millionen Einwohner des Königreichs sind jung. Rund 40 Prozent der 20 bis 24-Jährigen haben keine Jobs. Auch gut ausgebildete junge Saudis sind arbeitslos – und die meisten Frauen.
Etwa 80 Prozent der Arbeiter sind Ausländer und stammen überwiegend aus Nachbarländern. Sie haben keinerlei Rechte und arbeiten für einen Hungerlohn. Saudische Bürger bleiben von einfachen Arbeiten ausgeschlossen.
Die Bewohner des Königreichs sind grösstenteils Sunniten. Die schiitische Minderheit wird ausgegrenzt und verfolgt. Deshalb bestehen besonders in den östlichen Provinzen tief eingewurzelte soziale Spannungen.
Ausgerechnet dort befinden sich aber 90 Prozent der bekannten Ölreserven.
Ständig kommt es zu schweren Menschenrechtsverletzungen; neben der extremen Ungerechtigkeit sind vor allem willkürliche Verhaftungen, Isolationshaft, Folter und andere körperliche Misshandlungen wie öffentliche Auspeitschungen und Hinrichtungen zu nennen.
Das saudische Königreich ist geprägt durch einen radikalen sunnitischen Wahhabismus, durch Korruption, Mangel an Transparenz, Gewalt gegen Frauen, Menschenhandel und Unfreiheit.
Weil die Kombination aus Armut, monarchischen Privilegien und Despotismus viel Zündstoff birgt, kommt es immer wieder zu Protesten. Ausgehend von Qatif, breiten sie sich neuerdings auch in andere Landesteile aus.
Besonders viele Proteste gab es im März, als der angesehene Prediger Scheich Tawfiq alAmer verhaftet und eingesperrt wurde, weil er eine konstitutionelle Monarchie gefordert hatte. Die Sicherheitskräfte reagierten brutal.
Damals äusserte der politische Analyst Mohamed al-Massari gegenüber dem iranischen Nachrichtensender PressTV, starke Gegenkräfte seien entschlossen, sich der staatlichen Repression zu widersetzen.
„Es gibt genügend Menschen, die bereit sind, ihre Ehre mit Waffen zu verteidigen“, äusserte er. „Bald werden Tausende auf den Strassen sein.“ Die Angriffe auf Frauen seien „besonders dumm“ und würden sich bitter rächen, sagte er voraus.
Obwohl Proteste und öffentliche Kundgebungen strikt untersagt sind, demonstrieren immer mehr Saudis ihre Wut auch in der Öffentlichkeit. Am 09. Juli hatten sie einen weiteren Grund, als der angesehene schiitische Prediger Shaikh Nimr al-Nimr ins Bein geschossen und verhaftet wurde.
Nach Meldungen in staatlichen saudischen Medien wirft ihm die Polizei “Aufwiegelung der Bevölkerung” vor.
„Als die oben erwähnte Person und ihre Begleiter versuchten, sich einer Sicherheitspatrouille durch den Gebrauch von Schusswaffen zu widersetzen und zu flüchten, wurde in einer der Situation angemessenen Weise gegen sie vorgegangen; bei seiner Verhaftung erhielt der Prediger einen Schuss in den Oberschenkel.“ Generalmajor Mansour Turki, der Sprecher des Innenministeriums, wurde als Quelle für diese Nachricht angegeben.
Nimr al-Nimr soll die Bewohner des Ortes Awamiya aufgewiegelt und Tausende zu Protesten angestachelt haben. Beim Eingreifen der Sicherheitskräfte wurden viele Demonstranten verletzt und verhaftet.
Der Bruder der Predigers sagte, Nimr al-Nimr werde wegen seiner politischen Ansichten verfolgt. Er vertrete die Anliegen der Schiiten und fordere öffentlich die Rechte ein, die ihnen seit Langem verweigert würden. Deshalb sei er bereits 2004 und 2006 verhaftet und eingesperrt worden.
Im Januar 2008 habe er öffentlich zur Gründung einer Oppositionsbewegung aufgerufen. Weil er die Ansichten einer ständig wachsenden Anzahl von Saudis vertrete, seien er und seine Anhänger zu einer Bedrohung für das herrschende Regime geworden.
Da das saudische Königshaus immer mehr zu einem Kartenhaus wird, sind die Mitglieder der Königsfamilie und ihre Verbündeten in Washington sehr besorgt. Sie haben auch allen Grund dazu.
Nach den Protesten, zu denen es im Winter 2011 in Bahrain kam, griffen die Unruhen auch auf die östlichen Provinzen des Königreichs über. Obwohl die Sicherheitskräfte mit “eiserner Faust” dagegen vorgingen, haben die Proteste bis heute angehalten und breiten sich weiter aus.
Sie griffen nicht nur auf die Heilige Stadt Medina über, sondern auch auf Jeddah, Ar’ar und Abha. Sogar in der saudischen Hauptstadt Riad kommt es immer wieder zu grösseren Demonstrationen.
Bei den Protesten, die sich in letzter Zeit häufen, werden antireligiöse Parolen gerufen. Arbeitslose Saudis wollen Jobs. Immer mehr Menschen im ganzen Königreich fordern politische Freiheit, soziale Gerechtigkeit, Freiheit für die politischen Gefangenen und das Ende des Regimes Al Saud.
Die Demonstranten verlangen tiefgreifende Reformen. Das Regime selbst wird in Frage gestellt. Die Korrespondenten der westlichen Medien verschweigen, was eigentlich in Saudi-Arabien vorgeht.
Auch das US-Fernsehen ignoriert die Unruhen. Am 10. Juli machte die New York Times eine seltene Ausnahme mit ihrem Artikel „Angry Throngs at a Funeral in Saudi Arabia“ (Wütende Menschenmenge bei einem Begräbnis in Saudi-Arabien).
Tausende hätten am Begräbnis eines Demonstranten teilgenommen, der bei Protesten in einer östlichen Provinz getötet worden sei. Schon seit Langem begehrten immer wieder Schiiten gegen die diskriminierende Politik der äusserst repressiven sunnitischen Monarchie auf.
Die Unruhen dauerten an und würden durch die fortgesetzte Inhaftierung von Dissidenten immer wieder neu entfacht. Die Rufe nach politischer Freiheit und mehr Bürgerrechten würden immer lauter.
Offizielle saudische Quellen versuchten die Ereignisse herunterzuspielen. Der Artikel in der New York Times liess natürlich manches ungeklärt. Es war nur ein Schnappschuss, der nicht auf die Hintergründe einging.
Der 23. September ist der Nationalfeiertag Saudi-Arabiens. 2009 nutzte Hillary Clinton dieses Datum, „um König Abdullah für seine führende Rolle bei der Bewältigung regionaler und globaler Problem zu danken“.
Er setze sich „für einen umfassenden Dialog ein, der die von uns allen anerkannten Grundsätze der Mäßigung, der Toleranz und des gegenseitigen Respekts beachtet“.
Ähnliche Lobeshymnen sang sie auch 2010 und 2011. In den Beziehungen des Königreichs zu Washington geht es nicht nur um Öl. Diese Partnerschaft trägt auch zur Aufrechterhaltung der imperialen Gesetzlosigkeit bei und Saudi-Arabien greift tief in die Tasche, um sie zu finanzieren.
Für die aus Ölverkäufen erlösten Dollars kauft Saudi-Arabien US-Waffen, US-Staatsanleihen oder investiert sie in den USA.
Deshalb werden die Beziehungen der US-Regierung zum saudischen Königshaus auch so gepflegt, und deshalb wird dessen despotische Zwangsherrschaft immer wieder beschönigt.
Am 17. Juli ist der Autor dieses Artikels zusammen mit den Analysten Ali al-Ahmed und Kamel Wazne in einem Programm des iranischen Fernsehsenders PressTV aufgetreten.
Dabei vertrat Wazne die Ansicht, den USA gehe es nur darum, den Ölfluss aus Saudi-Arabien zu sichern. Deshalb hätten sie auch keinerlei Verständnis für die saudische Bevölkerung und die Menschen, die auf den Strassen demonstrieren.
Die Menschen hätten nichts zu sagen, und Unterdrückung und soziale Ungleichheit seien weit verbreitet. Die Mitglieder der königlichen Familie hätten kein Interesse an ihrer eigenen Bevölkerung.
Scheich al-Nimr fordere „zu Recht die Beseitigung der Monarchie und die Abdankung Al Sauds“.
Die im Winter 2011 in den östlichen Provinzen entstandenen Proteste hätten sich auf das ganze Königreich ausgeweitet. „Diese Menschen, die in den Strassen demonstrieren, sind entschlossen, einen Wechsel herbeizuführen. Sie wollen ein ganz anderes politisches System.“
Ali al-Ahmed fügte hinzu, die im letzten Winter entzündete Lunte brenne jetzt im ganzen Land. Was die Schiiten in den Ostprovinzen begonnen hätten, sei zum Anliegen aller Saudis geworden. Der Analyst Ali al-Ahmed sagte dem Königreich einen „unvermeidlichen Zusammenbruch“ voraus.
Die Zeit wird erweisen, ob er Recht behält.
Stephen Lendman lebt in Chicago, sein neues Buch hat den Titel „How Wall Street Fleeces America: Privatized Banking, Government Collusion and Class War“ (Wie die Wall Street die US-Bürger schröpft – Die Privatbanken, die Kollaboration der Regierung und der Klassenkampf)