R und 70 Prozent der Erwerbslosen in Deutschland müssen mit einem Einkommen unter der Armutsgrenze leben. Auch Nicht-Arbeitslose sind laut einer Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung immer mehr von Armut gefährdet.
Seit den Hartz-IV-Reformen ist in der Bundesrepublik die Armut der Menschen rasant gestiegen.
Die Armut bei Arbeitslosengeld I und Hartz IV-Beziehern hat in Deutschland in den letzten Jahren deutlich mehr zugenommen, als in allen anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU). Das resultieren Forscher des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung in Berlin.
Die Experten haben die aktuellen Daten der EU-Statistikbehörde “Eurostat” ausgewertet. So wird im Vergleich das „einkommensabhängige Arbeitslosengeld in Deutschland nur relativ kurze Zeit gezahlt.
Deshalb sind Arbeitslose in Deutschland stärker von Armut bedroht als in anderen europäischen Staaten“, so die Autoren.
In der BRD liegt das Einkommen von 70 Prozent der Menschen ohne Arbeit unterhalb der Armutsgrenze. Im EU-Durchschnitt beträgt die Quote dagegen lediglich 45 Prozent.
Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens hat. In Deutschland verläuft diese Schwelle bei 940 Euro im Monat für einen Alleinstehenden.
Sozialstaatsforscher Seils nennt drei Gründe für die hohe Armutsgefährdung in Deutschland: „Viele Menschen, die ihren Job verloren haben, können die Anspruchsvoraussetzungen für das einkommensbezogene Arbeitslosengeld I (ALG I) nicht erfüllen. ALG I erhält zumeist nur, wer in den zwei Jahren zuvor mindestens zwölf Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt war.
Das schaffen vor allem Menschen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen und mit unterbrochenen Erwerbskarrieren oft nicht. Sie sind also bereits bei Beginn der Arbeitslosigkeit von der Versicherungsleistung ausgeschlossen“, so Seils.
Zudem fällt die Höhe des ALG I im internationalen Vergleich nicht übermäßig aus. Bei alleinstehenden Arbeitnehmern ersetzt das Arbeitslosengeld hierzulande nur etwa 60 Prozent des letzten Nettolohns.
OECD-Daten zufolge sind es bei Arbeitnehmern mit niedrigem Arbeitseinkommen in Dänemark 83 Prozent, in der Schweiz 82 Prozent und in den Niederlanden 76 Prozent.
Den wichtigsten Grund sieht der Forscher aber in der vergleichsweise kurzen Anspruchsdauer auf ALG I. So erhält etwa ein 40-Jähriger, der seit seinem 18. Lebensjahr durchgängig gearbeitet hat, nur maximal 52 Wochen Arbeitslosengeld.
In den Niederlanden sind es hingegen 96 Wochen, in Frankreich oder Norwegen 104 und in Dänemark 208 Wochen. Die Folge ist, dass nur etwa ein Drittel aller Arbeitslosen in Deutschland ALG I erhält.
Nach der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe im Jahre 2004 sind somit viele Arbeitslose auf ALG II angewiesen. Das reicht oftmals nicht, um das Haushaltseinkommen über der Armutsgrenze zu halten.
Die Wissenschaftler schlagen nunmehr vor, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeld Eins deutlich zu verlängern. In Länder wie Dänemark, der Niederlande oder Schweiz weisen die Daten daraufhin, dass sich hierdurch eine niedrige Arbeitslosigkeit sowie eine bessere Armutsprävention für Arbeitslose gleichzeitig bewerkstelligen lässt.