Linkspartei: Tabuthemen müssen gelöst werden

Nach Lafontaine-Rückzug: Reichen die aktuellen Interventionen für einen konsequenten sozialistischen Neustart der Partei?

- von Stephan Steins  -

N ach dem Aufruf der Roten Fahne zu den jüngsten Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen NICHT die Partei “DIE LINKE” zu wählen, flog diese prompt und sehr deutlich aus diesen Landesparlamenten hinaus. [1]
Die sozialistische Kampagne der Roten Fahne, deren vorläufiger Höhepunkt der Nicht-Wahlaufruf bildete, die gleichwohl jedoch bereits seit dem “Parteibildungsprozess” der Jahre 2005/06 die Entwicklung begleitete [2], ist es zu verdanken, dass wir heute eine zweite und vermutlich letzte Chance erhalten, aus der vorhandenen Substanz doch noch eine sozialistische Partei schmieden zu können.

DEBATTE & HINTERGRUNDINFORMATIONEN:
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Diese Perspektive gründet allerdings bislang allein auf der theoretischen Möglichkeit, auf dem Umstand, dass sich aktuell eine breitere Debatte innerhalb und im Umfeld der sog. Linkspartei neu entwickelt, die bereits spätestens im Januar 2006 durch den Parteivorstand der SED/PDS schon einmal abgewürgt wurde. [[(siehe 2.)
Die aktuellen Probleme korrespondieren mit den damaligen Geburtsfehlern des Parteiprojekts. [3]

Der heutige überraschende Rückzug Oskar Lafontaines aus der Bundesebene der sog. Linkspartei, seine Rücknahme des Angebots den Parteivorsitz zu übernehmen sowie die Partei im Bundestagswahlkampf 2013 zu führen, lässt erhebliche Zweifel aufkommen, ob in der sog. Linkspartei überhaupt noch nennenswerte Kräfte für einen sozialistischen Neustart vorhanden sind.

Die Herde wurde aus ihrem Wahrnehmungskoma geweckt, läuft aber erstmal konfus durcheinander

Trotz der inhaltlichen, politischen Intervention und der Rolle der sozialistischen Presse für den jetzt revitalisierten Diskurs, die unsere sozialistische Kritik vollumfänglich bestätigt, hat bis zum heutigen Tage niemand aus dem Führungskader der Linkspartei das Gespräch mit der Roten Fahne gesucht, um sich am offenen und transparenten Diskurs über die eigene Sozialisation hinaus zu beteiligen.
Die Kunst Niederlagen in eine Offensive münden zu lassen, gehört weiterhin nicht zum Repertoire der SED/PDS/Linke.

Stattdessen eskaliert eine groteske Ablenkungsdebatte um den Posten des Parteivorsitz, die von den Medien des imperialen Mainstream aufgenommen und befeuert wird. Diese “Führungsdebatte” reduziert jedoch lediglich den Handlungsspielraum auf eine vergleichsweise leicht zu lösenden einzelne punktuelle Herausforderung – unter Umgehung der virulenten Tabuthemen.
Eine sozialistische Partei ist jedoch gehalten, zuvorderst unmissverständlich ihre politische Identität zu klären, bevor sie dann demokratisch bestimmt, wer diese Identität nach aussen repräsentieren soll.

Die Personaldebatte ist so plakativ, wie diese auch trivial ist. Allerdings markiert der heutige überraschende Rückzug Oskar Lafontaines de facto das vollständige Scheitern des 2005 begonnenen Parteiprojekts und der Westausdehnung der SED/PDS.
Denn dieser Rückzug wurde durch die Kader der Parteirechten erzwungen und konterkariert das gesamte strategische und politische Konzept des mit Oskar Lafontaine verbundenen Parteiprojekts aus PDS und WASG, das überhaupt nur durch die Person Lafontaine möglich wurde.
Mit Oskar Lafontaines Rückkehr an die Spitze hätte man Zeit gewinnen können, um dann eine Lösung der eigentlichen, weit tiefer sitzenden Probleme der Partei angehen zu können.

Der äusserst erfolgreiche “Lafontaine-Effekt” der Jahre 2005 bis 2009 hätte sich zwar heute nicht ebenso durchschlagend wiederholen lassen, jedoch verfügt die sog. Linkspartei über keinerlei auch nur annähernd in gleicher Weise Erfolg versprechende Alternative.
Auch die, in der aktuellen Satzung festgeschriebene, Vorgabe, eine “Doppelspitze” etablieren zu müssen, kommt zwar vielleicht der innerparteilichen Befindlichkeit entgegen, sorgt jedoch beim potenziellen Wähler eher für Desorientierung.

Euphorie, Erwartungen und Vorschussvertrauen für das “neue” Parteiprojekt wurden seit 2005 immer wieder massiv enttäuscht. Und die Partei “DIE LINKE” wird heute in ungleich stärkerem Maße und deutlich wirkungsmächtiger durch die sozialistische Presse gestellt, so dass die gesellschaftliche Rezeption mittlerweile eine andere ist.
Die tatsächlich im inhaltlichen, im programmatischen zu verortenden Widersprüche werden auch breit gesellschaftlich immer deutlicher wahrgenommen, mit Deckel drauf und Tünche drüber ist da nichts mehr zu reissen.
Wer all dies leugnet, muss spätestens seit den Landtagswahlen 2011 und 2012 in ein Wahrnehmungskoma gefallen sein.

Nun ist es uns gelungen, einen Grossteil der Herde aus ihrem Tiefschlaf zu erwecken. Offensichtlich bedeutet wach jedoch noch lange nicht auch bei Bewusstsein.
Von allen Seiten prasseln täglich Kommentare und Verbesserungsvorschläge auf die Partei und die interessierte Öffentlichkeit ein. Einen zentralen Fehler aus der seinerzeitigen Phase des “Parteibildungsprozesses” wiederholt die Partei jedoch gerade erneut: Der gesellschaftliche Diskurs um eine sozialistische Partei wird durch den Kaderapparat nicht als Chance, sondern als Bedrohung identifiziert.

Hierbei sind es gerade auch die einzelnen Zirkel und Fraktionen innerhalb der Partei, die sich einmal mehr als unfähig erweisen, über die eigene Sozialisation hinaus Kommunikation, Transparenz und Partizipation herzustellen. Ihre Mitverantwortung für die aktuelle Situation wird nicht reflektiert, stattdessen arbeitet man sich vorzugsweise an den konkurrierenden Fraktionen ab.
Alte Binsenweisheiten machen jetzt die Runde, die bereits seit Jahren in der Roten Fahne als sozialistische Kritik angemahnt, gleichwohl durch hartnäckige Ignoranz gewürdigt wurden. Diejenigen, die jetzt ins “rote Horn” mit einstimmen, dabei jedoch tunlichst vermeiden auch Ross und Reiter zu nennen, müssen sich allerdings fragen lassen, warum es erst des physikalischen Drucks in Form von Wahlniederlagen bedurfte, um zu vermeintlich neuen Erkenntnissen zu gelangen?

Nun gut, blicken wir nach vorne. Um was geht es wirklich?

Die Kernfrage ist simpel und keineswegs neu: Will diese Partei eine sozialistische, das heisst konsequent antiimperiale und antikapitalistische sein, oder den Weg der Kollaboration mit der Sozialdemokratie gehen?
Identifiziert die Partei die internationale, imperiale Entwicklung und damit korrespondierend den pro-imperialen Charakter der Sozialdemokratie als Teil der imperialen Rechten (= Kartell der bürgerlichen Parteien pro imperiale NATO/USA/EU)? [4]

Genau entlang dieser Frage verläuft die Trennlinie – alle anderen Aspekte leiten sich hiernach ab.
Andere sozialistische Parteien in Europa, vor allem die erfolgreichen, haben sich in den vergangenen Jahren in dieser zentralen Herausforderung deutlicher positioniert, wenngleich sie mitunter durchaus auch zu unterschiedlichen politischen Konzepten fanden.
Entscheidend ist jedoch das Bewusstsein um die Kernfrage – bleibt diese unbeantwortet, so ist alles Weitere von vorne herein zum Scheitern verurteilt.

Das im vergangenen Oktober verabschiedete Programm der deutschen sog. Linkspartei mogelt sich um diese Grundsatzposition herum, um es mal vorsichtig auszudrücken. Dies kommt bspw. dadurch zum Ausdruck, dass ein konsequenter Austritt aus der NATO nicht unmissverständlich gefordert wird und entsprechende antiimperiale Positionen sich auch nicht in der politischen Praxis der Partei manifestieren.
Ebenso wie sich an anderen Stellen Unterordnungen unter die imperiale Hegemonie finden. [5]

Kein Austritt aus der NATO – SED/PDS/Linke bleibt auf imperialem Kurs
Gregor Gysi im ARD-Sommerinterview mit Ulrich Deppendorf und Rainald Becker

Stellt man diese Grundfrage, teilt sich das Feld in zwei Lager. Dieser Antagonismus ist es – und nur dieser! -, welcher den grundlegenden Charakter unserer politischen Agenda determiniert.
Innerhalb der sozialistischen Bewegung mag es dann natürlich unterschiedliche philosophische und politische Positionen geben. Der Punkt ist, dass Sozialisten einerseits und Sozialdemokraten und Zionisten andererseits nicht in ein und der selben Partei vereint werden können.

Oskar Lafontaine

Oskar Lafontaine

Diese in ihren Konsequenzen bittere Wahrheit gilt es jedoch zu enttabuisieren. Denn schlimmer noch als einen sauberen Schnitt zu vollziehen, ist der gemeinsame Untergang in einem zum Scheitern verurteilten Projekt.
Den Kadern und Karrieristen der imperialen Rechten innerhalb der Linkspartei wird es dann einfach sein, neue und existenzsichernde Heimaten in anderen Parteien der imperialen Rechten zu finden. Die weitere politische Ausgangslage für Sozialisten hingegen würde sich angesichts des noch grösseren Scherbenhaufens ungleich dramatischer gestalten.

Die zionistische Querfront hält die Partei im Würgegriff

Klaus Lederer, Berliner Landesvorsitzender der sog. Linkspartei, trat 2009 gemeinsam mit Nationalzionisten und anderen Vertretern der imperialen Rechten aus CDU, SPD und “Grüne” in Berlin auf der Demonstration „Support Israel – Operation Cast-Lead” (Unterstützt Israel – Operation gegossenes Blei) als einer der Hauptredner auf und unterstützte die zionistische Kriegshetze und den Massenmord in Palästina/Gaza. [6]

Klaus Lederer Kundgebung Zionismus 2009

Klaus Lederer, Landesvorsitzender der SED/PDS/Linke Berlin
auf der Kundgebung radikaler Zionisten, Berlin 2009

Dies ist lediglich ein anschauliches Beispiel von vielen, wie innerhalb der sog. Linkspartei rechte bis nationalzionistische NATO-Positionen mit vermeintlich linker Politik verwoben werden. [7]
Eine Rechnung bzw. Querfront, die nicht aufgehen kann. Denn Antifaschismus ist mit Zionismus unvereinbar.

An dieses Tabuthema traut sich die Partei jedoch nicht heran, weil in der Konsequenz mit der Lösung dieses Problems ein Aderlass vor allem unter den Reihen des kommerziellen Funktionärskaders verbunden wäre. Längst ist die Partei zur Geisel der Nationalzionisten in den eigenen Reihen verkommen. [8]

Wir sprechen hier auch von zionistischen Kräften, die Bodo Ramelow seinerzeit 2005/2006 als “Parteibildungsbeauftragter” in die Partei auf bezahlte Posten einschleuste, während er im gleichen Zeitraum Sozialisten mittels Manipulationen von der neuen Partei fern hielt. [[(siehe 3.)

Der Berliner Landesverband (betrifft auch andere Gliederungen der Partei) müsste in Teilen neu aufgebaut werden. Der Punkt ist jedoch, dass die Partei sich bewusst entscheiden muss: Entweder mit Parteigängern des Zionismus und der imperialen Hegemonie repräsentieren und Politik gestalten, oder konsequent ein klares sozialistisches Profil erarbeiten.
Dass man in Berlin wie anderswo mit ersterer Option keine Partei als sozialistische Sammlungsbewegung aufbauen kann ist evident.

Die Frage von Zionismus und imperialer Hegemonie transportiert keineswegs nur Symbolcharakter. Natürlich manifestiert sich das Wirken dieser Leute vor allem in realer Alltagspolitik.
Der Diskurs um ein sozialistisches Programm und sozialistische politische Praxis, mithin die Stärkung demokratischen und sozialen Widerstandes und Bewegungen und gesellschaftlicher sozialistischer Einfluss bis hin zu Wahlergebnissen, stößt unter den genannten Umständen unweigerlich sehr schnell an Grenzen, die dem Paradoxon sozialistischer und imperialer Positionen in ein und der selben Partei geschuldet sind.

Konklusion

Die Linkspartei muss die Kernfrage zwischen sozialistischem und sozialdemokratischem bzw. imperialem Weg unmissverständlich beantworten und sich darauf stützend von ihren antisozialistischen Mitgliedern trennen.
Die Alternative dazu heisst Sozialdemokratisierung und Übergang in das Lager der imperialen Rechten.

Manch Einer wendet ein, dass ein solcher Kraftakt vor den Bundestagswahlen 2013 nicht zu leisten sei und auch durch das zu erwartende mediale Spektakel der Einzug in den Bundestag gefährdet würde.
Dem sei entgegnet: In der jetzigen desaströsen Verfassung der Partei, zudem noch ohne Oskar Lafontaine, wird es 2013 keinen Einzug in den Bundestag geben. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die sozialistische Presse, wie bereits jüngst vorexerziert, dagegen arbeiten würde.

Im Gegenteil wird umgekehrt ein Schuh draus: Die manische Fixierung auf die Medien des imperialen Mainstream verkennt die Möglichkeit des Aufbaus eigener Medienmacht. Der zu erwartende massive Gegenwind der imperialen Hegemonie kann gar nicht stark genug sein, illustriert dieser doch die Entschlossenheit und Stärke einer sozialistischen Partei - man muss nur wissen, wie man damit professionell medial umzugehen hat.
In den europäischen Nachbarländern mit erfolgreichen Oppositionen von links und rechts haben es die imperiale NATO-Hegemonie und deren Medien auch nicht vermocht, die Entwicklungen aufzuhalten.

Es gilt zu begreifen, dass die internationale Entwicklung, die imperiale Oligarchie [9] und deren politische und ökonomische Strukturen in der heutigen zugespitzten internationalen und nationalen Situation zur Polarisierung herausfordern und der gesellschaftliche Diskurs nach scharf zu identifizierenden klaren Frontstellungen verlangt.

Dass es den rechten Kadern in der Linkspartei gelungen ist, Oskar Lafontaine vom Parteivorsitz wegzumobben, beschwört jetzt eine Krise der Partei herauf, die jene vom Anfang des vergangenen Jahrzehnts, als die SED/PDS bundesweit auf unter 4 Prozent absackte, noch bei weitem übertreffen wird.
Nichts anderes als die Verabschiedung aus der West-BRD bedeutet diese Entwicklung.

Der imperialen Rechten innerhalb der sog. Linkspartei bleiben, so sie denn die Oberhand gewinnen sollte, drei Optionen:
- Rückzug als “Ost-Partei” und dort eine Nische besetzen
- Versuch der Etablierung einer zweiten SPD auch in Westdeutschland, mit der Perspektive in der SPD aufzugehen
- Vollständige Zerstörung der SED/PDS/Linke und ihrer Ressourcen mit dem Ziel der Abwicklung

Dem sozialistischen Lager, innerhalb der Partei mit Unterstützung von aussen, gelingt es entweder, die Partei programmatisch und personell neu aufzustellen, antiimperial und sozialistisch und in die europäische Bewegung radikaler Linker einzureihen – oder im Falle des Scheiterns auf die Bildung einer neuen sozialistischen Partei vorzubereiten.
So oder so: Willkommen bei der Roten Fahne!

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