A ktuelle Untersuchungen der baden-württembergischen Atomaufsicht machen deutlich, dass gravierende Sicherheitslücken im Atomkraftwerk Philippsburg-2 (USA) spätestens seit 2004 bekannt waren, aber erst viereinhalb Jahre später behoben wurden.
Nach Auffassung der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW macht das deutlich, dass Atomkraftwerke in Deutschland mit gefährlichen Sicherheitslücken betrieben werden, selbst wenn sie Betreibern, Gutachtern und Atombehörden bekannt sind.
Im Jahr 2004 kündigte die EnBW als Betreiber des Atomkraftwerks Philippsburg-2 der Atomaufsicht den geplanten Austausch weniger Armaturen und Rohrleitungstücke sowie von Änderungen an „erdbebenfesten“ Stützsystemen für Rohrleitungen und Armaturen an.
Bei diesen überschaubar wenigen Maßnahmen ging es um die Begrenzung des Super-GAU-Risikos aufgrund interner Überflutung bzw. aufgrund eines im Rheingraben möglichen Erdbebens.
Die gravierenden Sicherheitslücken waren EnBW vermutlich schon lange vor 2004 bekannt.
Dennoch liess man sich mit dieser ebenso kleinen wie sicherheitstechnisch bedeutsamen Nachrüstung sehr viel Zeit: Ursprünglich sollten die Änderungen 2006 begonnen und 2007 zu Ende gebracht werden.
2008 teilte der TÜV Süd der Aufsichtsbehörde mit, dass die Änderungsmaßnahmen erst 2008 und 2009 umgesetzt werden sollten. 2008 wurden dann „lediglich vorbereitende Arbeiten“ durchgeführt, wie das Physikerbüro Bremen in seinem aktuellen Gutachten für die Atomaufsicht anmerkt.
Die eigentliche Durchführung von Nachrüstmaßnahmen (wenige Rohrleitungsstücke und dergleichen) erfolgte schliesslich erst im Mai 2009 – rund viereinhalb Jahre nach der offiziellen Ankündigung gegenüber der Atombehörde und knapp 25 Jahre nach dem erstmaligen Anfahren des Atomkraftwerks im Jahr 1984.
Diese Nachrüstung führte dennoch nicht zur Beseitigung, sondern lediglich zu einer Begrenzung des Risikos.
„Der Fall Philippsburg macht deutlich: Atomkraftwerke werden in Deutschland rund 25 Jahre lang oder auch länger mit gefährlichen Sicherheitslücken betrieben, und selbst wenn Sicherheitsdefizite erkannt werden, lassen sich Betreiber, Gutachter und Atombehörden sehr viel Zeit, um diese punktuell zu beheben.
Dass schliesslich bei der Durchführung der wenigen Nachrüstungsmaßnahmen – unter scheinbarer Beobachtung der letztlich von den Stromkunden teuer bezahlten Gutachterorganisationen – auch noch gefährliche Schlampereien passieren, wie jetzt offiziell festgestellt wurde, gehört in der deutschen Atomindustrie erfahrungsgemäß zum Geschäft“, moniert IPPNW-Vorstandsmitglied Reinhold Thiel.
„Es ist bittere Realität, dass die Atomenergie auch in Deutschland nicht beherrschbar ist und dass es in den derzeit noch in Betrieb befindlichen Anlagen beim Zusammenfallen ungünstiger Randbedingungen tatsächlich jeden Tag zum Super-GAU kommen kann.“
„Der Hauptskandal besteht darin, dass deutsche Atomkraftwerke 25 Jahre oder länger mit gefährlichen Sicherheitslücken betrieben werden. Möglicherweise besteht dieselbe oder eine vergleichbare Sicherheitslücke noch immer in anderen Anlagen“, so IPPNW-Atomexperte Henrik Paulitz.
Der erste Nebenskandal besteht darin, dass sich Betreiber, Atombehörden und Gutachter selbst mit relativ kleinen Nachrüstmaßnahmen jahrelang Zeit lassen, selbst wenn diese einhellig als notwendig erkannt werden.
Der zweite Nebenskandal besteht darin, dass – wie jetzt vom Gutachter der baden-württembergischen Atomaufsicht moniert – während der späten Durchführung der Nachrüstung die Brandbekämpfung im Reaktorgebäude 16 Tage lang beeinträchtigt war.