D ie Unabhängigkeit von Zentralbanken ist ein demokratiepolitischer Skandal. Als ich das vor einem Vierteljahrhundert einem hohen Beamten gegenüber äusserte, war der ganz entsetzt: „Aber darum beneiden uns doch viele andere Länder!“
Andere Länder? Regierungen und Bürokratien wäre treffender gewesen. Damals gab es noch die Österreichische Nationalbank (ÖNB). Der Anschluss Österreichs an die EG war noch ein Traum von harten Konservativen.
Als ich dies jüngst einer akademischen Kollegin gegenüber wiederholte, reagierte sie kaum anders – sie, die mittlerweile der EU und ihren Regierungsapparaten gegenüber eher kritisch eingestellt ist.
Ein demokratiepolitischer Skandal, das gilt erst recht auf EU-Ebene: Die Zentralbanken waren und sind auf nationaler Ebene die einzigen effizienten wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger. Über die Geldpolitik besassen sie eine gewichtige makroökonomische Steuerungskapazität.
Ausgerechnet dieser einzige handlungsmächtige Akteur aber wurde demokratisch unverantwortlich gestellt. Es gab das Nationalbankgesetz 1950/1984 (BGBl. 50/1984). Dort waren auch einige Grundsätze aufgezählt, eine Art “magisches Dreieck” (Geldwerterhaltung, Erhaltung des Aussenwerts, Kreditversorgung der Wirtschaft); auch „ist auf die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung Bedacht zu nehmen“ (§ 4).
Doch eine demokratisch durch Wahlen legitimierte Körperschaft, konnte nur auf eine Art Einfluss ausüben: Sie bestellte in grossen Abständen, alle 5 Jahre, den Präsidenten. Sicher: Auch der informelle Umgang mit der ÖNB-Spitze, das tägliche Telefonat und der diffuse öffentliche Druck ist auf nationaler Ebene nicht zu unterschätzen.
Aber grundsätzlich war die einzige reale wirtschaftpolitische Ordnungsmacht der demokratischen Kontrolle entzogen.
Die EU hat mit der Währungsunion (WU) und der EZB auch diese Art von Einfluss coupiert. Und für Länder, die (noch) nicht in der WU sind und noch ihre Nationalbank haben – Ungarn etwa – , gilt der Art. 130 AEUV: Die Zentralbank muss “unabhängig” sein.
Den Präsidenten der EZB aber schnapsen sich selbstherrlich von Frankreich und der BRD aus. Dabei werden, wenn nötig, auch sonst geheiligte Prinzipien verletzt (“Fall Smaghi”). Für andere, etwa für österreichische Vertreter, gibt es keinerlei Einflussmöglichkeiten. Der letzte Rest an demokratischer Kontrolle ist verloren.
Das ist die eine, mehr formelle Seite. Die zweite, inhaltliche, ist mindestens ebenso wichtig.
Das Personal der EZB bildet eine Hochburg extrem konservativen neoliberalen Gedankenguts, wie übrigens die internationale wirtschaftspolitische Bürokratie (Weltbank, IMF, OECD) generell. Ihre Realitätsverweigerung gegenüber faktischen Entwicklungen stellt gerade auch für EU-Begeisterte in der Zunft einen Grund zu wachsender Sorge dar.
Die Ausrichtung auf Geldmengenziele (“+2 %”) in für die Entwicklung nicht mehr maßgebenden Aggregaten (eine bestimmte Definition von M3) verursacht hohe Kosten, bleibt aber ohne Wirkung.
Überhaupt zieht die Ökonomie als Profession einen bestimmten Menschentypus an, wie Untersuchungen zeigen: Es sind meist Männer (aber nicht nur: siehe Eder und Tumpel-Gugerell), die einem hochdoktrinären Denken sozialdarwinistischer Art huldigen und dies gegen Wind und Wetter durchsetzen.
Wenn Realität und reine Lehre in Konflikt kommen, dann gilt für sie das Hegel’sche Motto: „Umso schlimmer für die Wirklichkeit!“
Die EZB ist der Tempel und der Vatikan dieser Leute. Bei Bedarf sendet man sie von dort auch aus, um den Gouverneur in den eigenen Kolonien zu machen: nach Griechenland, nach Italien, harmlos-vorbeugend auch nach Österreich (Novotny).
Im Gefüge der EU-Institutionen nimmt die EZB zusammen mit dem EuGH den wichtigsten Platz ein.
Der EuGH bleibt weitgehend unsichtbar – sogar manche unfähige Advokaten verwechseln immer wieder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte damit. Die EZB dagegen muss sich jüngst einige Aufmerksamkeit gefallen lassen.
Der massive Aufkauf maroder Staatsanleihen aus dem Olivengürtel hat die Anhänger der reinen Lehre ebenso verstört wie die explosive Ausweitung gewisser Kredite: “Target-2″ sollte eigentlich ein Clearing-System sein, wird aber zunehmend für von vorneherein faule Kredite missbraucht.
Beides dient demselben Zweck: Die Banken durften die Gewinne einsacken, solange das Spiel rund lief. Nun kommt die Rechnung. Die dürfen nun die Massen in der BRD, Österreich, den Niederlanden und in Finnland bezahlen, und teils sogar auch die in Norwegen und der Schweiz.
Denn das Konkursverfahren der Peripherie ist längst in Gang. Es geht nur mehr um die Quote: -60 %? -70 %? -80%? Je länger, desto höher.
In diesem Punkt hat sich die Unabhängigkeit der EZB übrigens als Chimäre erwiesen. Dabei wäre es der einzige Punkt, wo sie legitim wäre: Um den persönlichen Interessen von Politikern im Wahlkampf zu widerstehen. Doch wie die Politiker, wollten auch die Bürokraten der EZB die Eurozone im bisherigen Umfang um jeden Preis retten: wörtlich. Aber sie hatten auch die Interessen ihrer Klientel, der Banken, zu vertreten.
So stemmten sie sich mit aller Kraft gegen eine rechtzeitige Um- und Entschuldung, welche die Banken treffen würde. Unterstützt von Sarkozy und Konsorten kauften und kauften und kauften sie wertlose Papiere. Kein Wunder, dass autoritätshörige deutsche Professoren dies für verbrecherisch halten und Trichet klagten.
Aber das ist ein Witz für sich…
Geld ist der Steuermechanismus der Ökonomie und daher das wichtigste wirtschaftspolitische Instrument. Somit ist Geld immer eine staatliche Verpflichtung. Der Staat hat es den Zentralbanken überantwortet. Unverantwortliche Bürokratien sind aber das Gegenteil von demokratischer Kontrolle. Steuerpolitik kann die Auswirkungen der Geldpolitik in bestimmtem Maß abschleifen.
Daher soll nun auch die Steuerpolitik den nationalen Demokratien entzogen werden. Sozialausgaben sollen den Mittel- und Unterschichten ein minimales Lebensniveau nach ihren bescheidenen Ansprüchen garantieren. Man will sie daher nach Brüssel verlagern.
Aber die Basis ist und bleibt die von den Zentralbanken und heute von der EZB besorgte Geldpolitik. Die aber ist unverantwortlich gegenüber dem Demos – “unabhängig”.