E in epochales Ereignis, und zwar aus mehreren Gründen. Erstens auf geschichtlicher Ebene, weil es den erfolgreichen Abschluss eines langen Prozesses ist, der 1826 mit dem Panama-Kongress begonnen hatte, auf dem zahlreiche, vor kurzem unabhängig gewordene süd- und mittelamerikanische Länder zusammentrafen und das Abkommen der ewigen Union, des Bundes und der Konföderation unterzeichneten, laut dem unter anderem eine Konföderation von Republiken ins Leben gerufen werden sollte, mit einem übernationalen Parlament, einem gemeinsamen Verteidigungspakt sowie einem Abkommen zur wirtschaftlichen Integration.
Auf diesem Kongress wurde enthüllt, was in Wirklichkeit ein imperialistisches Projekt war, verborgen unter einem undurchsichtigen Diskurs, aus dem später die Monroe-Doktrin werden sollte: Trotz aller schönen Prinzipien, denen zufolge sie jede europäische Intervention gegen die neuen amerikanischen Nationen ablehnten, schlugen die USA die Bitten von Simon Bolívar um Bündnis und Kooperation ab.
Am Anfang des 20. Jahrhunderts bestätigte Roosevelt in der Folge endgültig, dass die USA dadurch nur den alten Kolonialmächten zu verstehen geben wollten, dass sie nun den lateinamerikanischen Kontinent als ihre eigene Einflusssphäre betrachteten, wie die Panama-Krise 1903 zeigen sollte.
Wichtig ist auch, dass es sich um eine Konföderation handelte, die im Gegensatz zu einem Föderalstaat die Souveränität jedes Mitgliedstaates gewährleistete.
Dieser historische Ursprung veranlasste übrigens den grossen brasilianischen Denker Darcy Ribeiro zur Feststellung, dass der Prozess, durch den Lateinamerika seine Identität strukturiert hat, auf einer gemeinsamen Charakteristik und einem gemeinsamen Antagonismus basierte.
Die gemeinsame Charakteristik war für die lateinamerikanischen und karibischen Länder die iberische Abstammung, eine Folge der portugiesischen und spanischen kolonialen Expansion, aufgrund deren sie sich als verbrüderte, einem gemeinsamen Emanzipationsprozess entsprungenen Länder und Völker, anerkennen. Der gemeinsame Antagonismus liegt darin, dass diese Gemeinschaft schon bei seiner Entstehung mit den hegemonialen Absichten des US-amerikanischen Imperialismus konfrontiert war.
Ribeiro zufolge erklärt dies das dem antiimperialistischen Kampf im lateinamerikanischen Raum inhärente Wesen.
Damit soll daran erinnert werden, dass dieser Wille zu engeren Banden, frei von US-amerikanischer Vormundschaft, – die USA gehören ja nicht zu dieser neuen Gruppe, die das Gebiet von Mexiko bis hin zur Südspitze des Kontinents umfasst – weit zurückreichende geschichtliche Wurzeln besitzt sowie einen anderen politischen Inhalt als ähnliche Phänomene.
Auch illustriert sie in mancherlei Hinsicht den Erfolg vieler regionaler Integrationsprozesse, die in Lateinamerika aufgetaucht sind. Die Initiative zur Schaffung der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten entstand auf den beiden Gipfeltreffen, die im Dezember 2008 im brasilianischen Bahia und im Februar 2010 im mexikanischen Cancun stattfanden.
Der derzeitige brasilianische Verteidigungsminister, Celso Amorin, erinnert daran, um die epochale Dimension des Ereignisses zu betonen, dass die lateinamerikanischen und karibischen Staaten eigenständig ein Treffen organisierten, zum ersten Mal ohne die USA, Kanada oder einen europäischen Staat, und damit für einen Bruch mit der “Panamerikanismus“ sorgten, der bis dato unter der Schirmherrschaft der USA die Regel war.
Auf diesem langen Weg muss man zwischen den Experimenten unterscheiden, die vom hegemonialen Willen des US-amerikanischen Imperialismus diktiert wurden, und denen, die einem von dieser bedrückenden Vormundschaft befreiten Unabhängigkeitswillen entsprungen.
Die ersten Versuche gehören alle zur ersten Vorgehensweise, vor allem die erste Panamerikanische Konferenz von 1890 und der nach dem Zweiten Weltkrieg 1947 unterzeichnete Interamerikanische Vertrag über gegenseitigen Beistand (TIAR), der schon auf der Doktrin der “hemisphärischen Verteidigung” basierte und im Kontext des kalten Krieges stand. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OEA) wurde 1948 ins Leben gerufen, und in den Sechzigerjahren wurde die Allianza para el progresso und USAID (United States Agency for International Development) gegründet – als Bollwerk gegen die kommunistische “Verseuchung“, insbesondere nach der cubanischen Revolution -, darauf folgten ALALC (Lateinamerikanische Integrationsvereinigung, LAFTA) und schliesslich die Interamerikanische Entwicklungsbank (IDB).
Während dieser Phase blieben die Integrationsinitiativen von Subregionen – wie z.B. der Andenpakt und die Andengemeinschaft (CAN), der Zentralamerikanische Gemeinsame Markt (MCCA) und das Zentralamerikanische Integrationssystem (SICA), die jetzige Karibische Gemeinschaft (CARICOM) sowie der Gemeinsame Markt im Süden Lateinamerikas (Mercosul) – unter dem Vorwand des “Panamerikanismus“ der Aufrechterhaltung der US-amerikanischen imperialistischen Interessen untergeordnet.
Im Jahr 1980 wurde aus der Alalc (Lafta) die Aladi (Lateinamerikanische Integrationsvereinigung), trotzdem nahm der Handel zwischen lateinamerikanischen Ländern stetig ab, der Import von Fertigprodukten und der massive Export von Rohstoffen dagegen nahm stetig zu, und die Aussenschuld explodierte.
Als in Argentinien und Brasilien die Militärdiktaturen fielen, erlebte Mercosul Ende der Achtzigerjahre eine bescheidene Blüte und 1991 wurde auch der Vertrag von Asunción zwischen Paraguay und Uruguay unterzeichnet. Aber die den US-amerikanischen Interessen dienenden neoliberalen Regierungen Collor de Mello in Brasilien und Menem in Argentinien machten daraus – gemeinsam mit anderen – das Werkzeug einer noch rücksichtsloseren Deregulierung des Handels, einer massiven Privatisierung und Öffnung der Märkte, die die Wirtschaft der jeweiligen Länder den strategischen Interessen der USA unterordneten.
Anno 1990 startete George Bush Sr. die Iniciativa para las Américas, einen Ansatz zur Umsetzung einer “Freihandelszone“, die den ganzen Kontinent umfassen und später ALCA (englisch: FTAA) genannt werden sollte. Später gab der ehemalige Aussenminister der Vereinigten Staaten Colin Powell ohne Umschweife zu, dass die wirkliche Zielsetzung dieses Abkommens es sei, „unseren Unternehmen die Kontrolle über ein sich von der Arktis bis zur Antarktis erstreckendes Gebiet zu gewähren sowie freien Zugang für unsere Produkte, Dienstleistungen, Technologien und Kapital auf dem ganzen Kontinent zu garantieren, ohne Beschränkungen oder Schwierigkeiten“. Deutlicher kann man sich kaum ausdrücken.
Nur der Sieg fortschrittlicher lateinamerikanischer Regierungen, der 1998 in Venezuela mit Hugo Chávez begann, wird dieser imperialistischen Strategie Einhalt gebieten. Zu bemerken ist, dass der Kampf gegen die ALCA die vielen in Lateinamerika geführten Kämpfe strukturiert hat, welche die sukzessiven Siege der Linken ermöglichten und auch einen Integrationsvorgang beschleunigten, der auf einer anderen, solidarischeren und gerechteren Logik des Handels und der Entwicklung basierte.
Dazu gehörte u.a. 2005 die Gründung der ALBA-TCP (auf Spanisch Alianza Bolivariana para los Pueblos de Nuestra América – Tratado de Comercio de los Pueblos), deren Mitglied Cuba, Venezuela, Bolivien, Nicaragua, Dominica, St Vincent-und-die-Grenadinen und Ekuador sind und 2008 die Gründung von UNASUL oder UNASUR (Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Ecuador, Guyana, Kolumbien, Paraguay, Peru, Surinam, Uruguay und Venezuela).
Die Zusammensetzung dieser verschiedenen Gruppen zeigt klar, dass jenseits der Widersprüche und Divergenzen, die ihre Mitglieder trennen, eine immer grössere Konvergenz besteht, die heute die Realisierung des alten Bolivarischen Traumes ermöglicht hat: eine auf solidarischer Basis errichtete, einheitlicher werdende lateinamerikanische Gemeinschaft.
Auch ist diese Änderung der Kräfteverhältnisse auf dem Kontinent und die Vertiefung dieser Partnerschaften den sozialen und wirtschaftlichen Erfolgen zuzuschreiben, welche die einzelnen fortschrittlichen Regierungen in diesem Rahmen erreicht haben.
Die CEPALC (UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik) bemerkte in ihrem letzten Bericht, dass im Hinblick auf Lateinamerika Brasilien, Argentinien, Bolivien und Venezuela die Armut am stärksten reduziert hätten und dass der lateinamerikanische HPI (Human Poverty Index) seinen niedrigsten Stand seit 20 Jahren erreicht hätte.
Und im südamerikanischen Wirtschafts- und Finanzrat wurde beschlossen, die Bank des Südens schneller funktionsfähig zu machen, einen eigenen Reservefonds zu schaffen, bei regionalen Wirtschaftstransaktionen statt des Dollars lokale Währungen zu benutzen und die einzelnen Wirtschaftspolitiken besser miteinander zu koordinieren.
Zwar reicht die Schaffung der CELAC allein nicht aus, um alle Widersprüche innerhalb dieser Gruppe zu überwinden. Jedoch stellt sie für alle betroffenen Völker ein epochales Ereignis dar und ein notwendiges Werkzeug, um den Beweis zu erbringen, dass eine andere Kooperations- und Entwicklungslogik möglich ist als jene, die der Imperialismus und seine “starken Arme“ (darunter IWF und Weltbank) mit massiven Privatisierungen sowie Kürzungen der Sozialhaushalte aufzuzwingen versucht, und dass sie erfolgreich sein kann.
Denn die Zahlen bezüglich der Reduzierung von Armut und Ungleichheiten in Lateinamerika sowie seine Wachstumsraten zeigen ganz klar, dass soziale Gerechtigkeit in keinem Widerspruch zu wirtschaftlicher Effizienz steht, sondern vielmehr eine ihrer Voraussetzungen bildet.
Die europäischen Völker, die unter dem Vorwand der “Krise“ gezwungen werden, die gleiche bittere Pille zu schlucken, die in Lateinamerika zur sozialen und wirtschaftlichen Katastrophe geführt hat, können einige Lehren daraus ziehen, um sich gegen diese verheerende Politik, die heute von EZB und IWF vorangetrieben und von den amtierenden Regierungen unterstützt wird, zu wehren.
Nur ein entschiedener Bruch mit diesen todbringenden Rezepten kann Zukunftsperspektiven eröffnen und Raum schaffen für eine neue Hoffnung.
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