Historische Forschung: Zum Umgang mit der Geheimakte Heß

Historische Forschung, sozialistische allemal, hat nicht die Aufgabe, ideologisch determinierte Ergebnisse zu liefern

- von Stephan Steins  -

Historische Forschung: Geheimakte Heß
Teil I.
Stephan Steins, Chefredakteur der Roten Fahne:
Zum Umgang mit der Geheimakte Heß

Wenn sich Die Rote Fahne, die traditionsreichste Zeitung Deutschlands und wichtigste Publikation des deutschen antifaschistischen Widerstandes gegen das NS-Regime, eines höchst brisanten und geradezu tabuisierten Themas annimmt, so hat dies gute Gründe.

Betrachten wir die jüngere Geschichte, namentlich die Ereignisse um 1989/90, die imperialen NATO-Kriege gegen Irak und Jugoslawien, die Ereignisse um 9/11, die anschliessenden erneuten Waffengänge gegen den Irak und gegen Afghanistan, bis hin zur jüngsten Ausweitung der exzessiven Brutalität des imperialen Faschismus gegen Libyen, so wissen wir, aufgeklärte Zeitgenossen, die wir diese historischen Zäsuren kritisch rezipiert, politisch begleitet und kommentiert haben, dass die offizielle, imperiale Geschichtsschreibung zu all diesen Ereignissen gleichermaßen von A bis Z erstunken und erlogen und in Kollaboration mit den Mainstreammedien politisch manipuliert ist und die Realität von den Füssen auf den Kopf stellt.

Die relevante Frage lautet also: Warum sollte die offizielle Historiographie zum früheren Geschichtsverlauf wahrer und von weniger Desinformation geprägt sein?

Bereits im Vorfeld dieses Projekts, nach erfolgter Vorankündigung, starteten Desinformations-Medien der imperialen Rechten (= Kartell der bürgerlichen Parteien pro imperiale NATO/USA/EU) eine Diffamierungskampagne gegen die sozialistische Presse, indem sie versuchten, Sozialisten und auch bürgerliche Historiker in die Nähe von Nazis zu rücken. Dabei treten die NATO-Desinformanten, korrupte Schreiberlinge und Regime-Nutten gerne auch in der Maske vermeintlich “antifaschistischer Aufklärer” und “Linke” auf.
Wir von der Roten Fahne wissen sehr genau, wer hier in Deutschland konsequent tatsächliche antifaschistische Arbeit leistet und linke Politik betreibt. Wir stehen als Sozialisten weder der nationalen, noch der imperialen Rechten nahe.

Als Sozialisten formulieren wir unsere eigene, originäre Kritik und definieren selbst unsere sozialistische Identität. Hierbei betreiben wir historische Forschung völlig unabhängig von ahistorischen ideologischen Vorgaben, wissenschaftlichen Tabus oder imperialer Repression.

Sozialistische Kritik muss wieder in der Lage sein, Herrschaftsmythen radikal zu dekonstruieren. Daher fördern wir einen sozialistischen Diskurs, welcher sich konsequent der imperialen Hegemonie entzieht und widersetzt.
Daher verteidigen wir das Prinzip der Freiheit von Forschung und Lehre, überwinden Denkverbote und setzen den imperialen Dogmen – ebenso wie jenen der systemtragenden Pseudolinken – unsere sozialistische Weltanschauung entgegen.

Stephan Steins, Chefredakteur Die Rote Fahne

Stephan Steins, Chefredakteur Die Rote Fahne

Als ich zur Vorbereitung dieses Projekts verschiedene marxistische Historiker für Artikel anfragte, erhielt ich meist ähnliche Antworten; Grundsätzlich unterstütze man das mit diesem Projekt verbundene Anliegen einer vorurteilsfreien, seriösen historischen Forschung. Allerdings verfüge man in diesem konkreten Fall nicht über ausreichend eigenes Hintergrundwissen, um zum Thema, der historischen Bedeutung angemessen, in der Sache selbst einen Beitrag leisten zu können.

Diese offenen Antworten verweisen bereits auf das Problem: Auch linke Kritik und historisches Wissen und Interpretationen fussen heute im Wesentlichen auf der herrschenden – imperialen – Lehre und Propaganda, mitunter ergänzend gewürzt durch seinerzeitige Geschichtsschreibung und Propaganda des Stalinismus.
Gleichwohl bestand grundsätzlich ein grosses Interesse daran und wurde ich in dem Vorhaben bestärkt, der imperialen Hegemonie eine eigenständige linke Aufarbeitung und Kritik entgegen zu setzen, was Die Rote Fahne auch für weitere Projekte plant.

Die Rote Fahne präsentiert die Filmdokumentation „Geheimakte Heß“, weil diese Teil der demokratischen historischen Forschung und Debatte ist. Als Sozialisten verwahren wir uns generell gegen bürgerliche und imperiale Bestrebungen, durch Diffamierung, staatliche Repression und Angriffe auf die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse von Menschen, demokratische Grundrechte faktisch ausser Kraft zu setzen und die Freiheit von Forschung und Lehre zu beschneiden.

Sinn und Zweck linker Publizistik ist es nicht, sich vom Imperium, seiner Hegemonie und medialen Mainstream Art und Umfang wissenschaftlicher Forschung, historischer Debatten und aktueller Berichterstattung vorschreiben zu lassen. Als Marxisten sind wir allein der Wahrheitsfindung verpflichtet, ganz unabhängig davon, um welches Thema es sich handelt.
Aufgabe unabhängiger, seriöser Geschichtsforschung muss es in diesem Fall sein, heraus zu finden, ob die Arbeiten des britischen Historikers Martin Allen oder aber die Entgegnungen offizieller Stellen und Dienste in Grossbritannien ein Schwindel sind.

Die Aufklärung der Geheimakte Heß und der historischen Ereignisse haben rein gar nichts mit einem vermeintlichen “Heß-Kult” zu tun, wie die imperiale Desinformation, dem Sachthema ausweichend, kolportiert. Auch wenn die Forschungsergebnisse eine Neubewertung bestimmter Aspekte der geschichtlichen Vorgänge um den zweiten Weltkrieg erforderlichen machen, so wird dadurch der grundsätzliche totalitäre Charakter des sog. “3. Reichs”, des faschistischen Lagerregimes und der deutschen Kriegsverbrechen keineswegs relativiert.

Bereits in 2004 hatte der Nachrichtensender n-tv mehrfach die Filmdokumentation Geheimakte Heß ausgestrahlt. Der Inhalt des Films basiert im Kern auf Arbeiten des britischen Historikers Martin Allen, die deutsche Filmdokumentation Geheimakte Heß wurde durch den Historiker, Kommunikations- und Medienwissenschaftler Prof. Dr. Michael Friedrich Vogt und den Germanisten und Historiker Dr. Olaf Rose produziert. Letzterer trat 2006 der NPD bei.

Martin Allen recherchierte u.a. anhand von Dokumenten aus dem britischen Nationalarchiv “The National Archives” (TNA) (ehemals Public Record Office), dass Hitler-Deutschland auf dem Wege vertraulicher Diplomatie im Jahre 1941 bereit war, mit Kriegsgegner England Friedensverhandlungen zu führen und in diesem Zusammenhang weitreichende Friedensvorschläge und Konzessionen unterbreitete.

So soll durch Deutschland u.a. angeboten worden sein, alle besetzten Länder zu räumen, Reparationszahlungen an diese Länder zu leisten, sowie der Wiederherstellung eines polnischen Staatsterritoriums zuzustimmen.
Die britische Regierung unter Premierminister Winston Churchill habe diese Verhandlungen jedoch nur zum Schein geführt und ein Täuschungsmanöver initiiert, da sie sich vom Kriegseintritt der Sowjetunion und der USA die endgültige Niederlage und Zerschlagung, nicht nur des NS-Regimes, sondern des Deutschen Reiches als Völkerrechtssubjekt versprach.
Der bis heute geheimnisvolle “England-Flug” (der ja eigentlich nach Schottland führte) des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß soll dieser deutschen Friedensdiplomatie gedient haben.

Ferner kommen in der Filmdokumentation Zeugen zu Wort, namentlich der langjährige US-amerikanische Direktor des Kriegs-verbrechergefängnisses Berlin-Spandau Eugene Bird und der Krankenpfleger Rudolf Heß´ Abdallah Melaouhi, die zwar beide nicht unmittelbare Tatzeugen waren, jedoch aus dem inneren Gefängnisbetrieb stammen und davon ausgehen, dass Heß am 17. August 1987 ermordet wurde. Gefängnisdirektor Eugene Bird lässt sich mit den Worten ein:
„Es war Mord. Das muss einmal gesagt werden.“

Der europaweit renommierte Rechtsmediziner Prof. Dr. Wolfgang Spann schliesslich kommt durch die Ergebnisse seiner unabhängigen Obduktion der Leiche zu dem Schluss, dass aufgrund der für einen Suizid untypischen Strangulierungsmarken am Hals des Toten nicht von Selbstmord ausgegangen werden kann. Diese Expertise ist eindeutig.

Hintergrund der laut Obduktion wahrscheinlichen Ermordung Rudolf Heß´ könnte demnach der Umstand gewesen sein, dass der damalige sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow über Radio Moskau verkünden liess, Heß noch vor Weihnachten aus der Haft nach Hause zu entlassen.
Aus Sicht des Imperiums und seiner Propaganda wäre daran problematisch gewesen, dass Heß trotz seines hohen Alters möglicherweise noch die Kraft aufgebracht hätte, als Protagonist öffentlich zu Akten und Dokumenten aus der Zeit des zweiten Weltkriegs Stellung zu nehmen, welche im britischen Nationalarchiv (TNA) noch mindestens bis zum Jahre 2019 unter Geheimhaltung und Verschluss durch die britischen Behörden gelagert werden.

In Grossbritannien führte die historische Forschung Martin Allens zumindest zeitweise zu einer breiten Debatte. Seitens offizieller britischer Stellen wurden im Nachgang in Bezug auf einige der durch Martin Allen aufgefundenen Dokumente Fälschungsvorwürfe erhoben. Bislang konnte weder der zweifelsfreie Nachweis der Fälschung, noch der Echtheit der betroffenen Dokumente erbracht werden.

Der Fälschungsvorwurf erstreckt sich jedoch nicht auf das gesamte durch Martin Allen präsentierte Material. Es wird auch nicht behauptet, Martin Allen selbst wäre der Urheber der angeblichen Fälschungen.
Der Vorgang, dass in einem Nationalarchiv wie dem TNA gesichert lagerndes Material durch die verantwortlichen Behörden selbst als “Fälschung” identifiziert wird – nachdem dieses zu einer breiten historischen Debatte geführt hatte – dürfte in dieser Form als geschichtlich einmalig gelten.

Aber auch die Richtigkeit der britischen Behauptungen bezüglich einiger Dokumente unterstellt, werden dadurch die historischen Erkenntnisse nicht grundsätzlich entkräftet, da das übrige Material gleichwohl ein dichtes Bild zeichnet.
In Grossbritanien ist es ja augenscheinlich üblich, falsche Dokumente als echt zu deklarieren (Irak-Krieg) und echte als falsch, wies´ halt gerade beliebt.

Der Umstand, dass weitere Akten und Dokumente zum Fall Heß und den 2. Weltkrieg betreffend im TNA lagern und bis zum Jahre 2019 und teilweise darüber hinaus als geheim klassifiziert sind, weder der Öffentlichkeit, noch wissenschaftlichen Kreisen zugänglich, wirft die Frage auf, welche brisanten Informationen der Weltöffentlichkeit auch noch nach über 70 Jahren vorenthalten werden müssen? Gilt doch nach herrschender Lesart die historische Aufarbeitung des 2. Weltkriegs als vollumfänglich abgeschlossen.
Das Thema Geheimakte Heß und entsprechende Friedensangebote durch die NS-Diktatur sind somit weiterhin Gegenstand seriöser, ergebnisoffener historischer Forschung.

Problematisch dürfte sein, wie bis heute bekannte und nach 2019 ggf. der Öffentlichkeit präsentierte Dokumente in Bezug auf die Frage nach Echtheit, Fälschungen, Manipulationen oder Auslassungen überhaupt bewertet werden können?
Denn wir müssen uns vor Augen halten, dass das britische Regime bspw. erst im vergangenen Jahrzehnt der Fälschung und Manipulation überfuhrt wurde, nachdem es die Weltöffentlichkeit belogen und Desinformationen verbreitet hatte über angebliche irakische Massenvernichtungswaffen, die vor allem auch Europa bedrohen würden.

Dies geschah seinerzeit in der Absicht, Grossbritannien und andere NATO-Staaten zur Teilnahme am imperialistischen, völkerrechtswidrigen Krieg gegen Irak zu mobilisieren und diese Kriegspropaganda hatte ja, wie wir alle wissen, auch Erfolg.
Und mehr noch: auch nachdem diese britischen Desinformationen entlarvt wurden, blieben die politisch und strafrechtlich dafür Verantwortlichen juristisch völlig unbehelligt.

In Deutschland entwickelte sich nach der TV-Ausstrahlung der Filmdokumentation im Jahre 2004 die Debatte anders. Genauer gesagt, fand eine Auseinandersetzung in der Sache selbst gar nicht statt.
Stattdessen fokussierte der imperiale Mainstream und seine gleichgeschalteten Medien allein auf die Art und Weise, wie die hiesige nationale Rechte die Forschungsergebnisse aus Grossbritannien rezipierte. Und es wurden die wirklichen oder vermeintlichen Kontakte der Autoren Vogt und Rose in das rechtskonservative Lager thematisiert und in den Vordergrund gestellt, ganz offenbar in der Absicht, eine inhaltliche Auseinandersetzung als obsolet erscheinen zu lassen. Als dann Koautor Olaf Rose 2006 der NPD beitrat, schien der Zeitpunkt günstig, gleich den gesamten historischen Diskurs – der seine Wurzeln ja eigentlich in Grossbritannien hat – zur irrelevanten rechtsextremen Propaganda zu erklären.

Photomontage von John Heartfield, „Krieg und Leichen - die letzte Hoffnung der Reichen“, 1932

Photomontage von John Heartfield
„Krieg und Leichen - die letzte Hoffnung der Reichen“, 1932

Nach einer von NATO-Geheimdiensten über Spiegel-Online lancierten Medienkampagne, die Prof. Vogt rechtsextremen Wirkens bezichtigte, musste dieser im Jahre 2007 seine Lehrtätigkeit am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaften der Universität Leipzig beenden.

In der allgemeinen historischen Debatte verfährt der Anwurf von bürgerlicher Seite im Kern stets nach folgendem Muster: Zwar sei es richtig, dass im Rahmen der “Nürnberger Prozesse” der Jahre 1945 bis 1949 und der darauf basierenden Historiographie – wie nach jedem Krieg, aufgrund der alleinigen Interpretation durch die Sieger – es in Einzelfragen zu historischen Ungenauigkeiten, Auslassungen oder auch Fehlbeurteilungen gekommen sein könnte, jedoch dürfe man die heutige offizielle Geschichtsschreibung nicht in Frage stellen, weil dadurch vor allem die extremistische nationale Rechte gestärkt würde.
In der Konsequenz erleben wir heute, wie das was Karl Marx als „Die herrschende Lehre ist die Lehre der Herrschenden“ beschrieb, der historischen Forschung entzogen und zum unantastbaren Dogma der imperialen Rechten und der “Neuen Weltordnung” (NWO – New World Order) erhoben wird.
Alleine schon das kritische Hinterfragen im Kontext seriöser wissenschaftlicher Forschung setzt Historiker dem Vorwurf des rechtsextrem motivierten “Geschichtsrevisionismus” und einer unlauteren, tendenziösen Hermeneutik aus.

Nun leuchtet wohl jedem denkenden Zeitgenossen ein, dass diese herrschaftliche Argumentation und Wissenschaftsverständnis den Boden seriöser Wissenschaft und Forschung verlässt.
Wer historische Forschung durch Propaganda und Dogmen ersetzt, dabei auch noch Historiker mit staatlicher Repression und Angriffen auf ihre soziale Existenz bedroht, der etabliert ein totalitäres Herrschaftssystem, welches sich weit vom humboldtschen Bildungsideal der Einheit und Freiheit von Forschung und Lehre entfernt hat.
Zentraler Sinn und Zweck von Wissenschaft ist ja gerade, durch Forschung und demokratische Debatte bestehende Erkenntnisse entweder zu untermauern und zu bestätigen oder aber zu revidieren und weiter zu entwickeln. Wäre dem nicht so, wäre die Erde auch heute noch eine Scheibe.
Wieso “Geschichtsrevisionismus” in den vergangenen Jahren im bürgerlichen Mainstream mit einer negativen Konnotation belegt wurde, lässt sich wohl nur aus der dahinter stehenden politischen, manipulativen Intention erklären. Durch systematische, permanente Stigmatisierung sollen im öffentlichen Bewusstsein Reflexe implementiert werden, die quasi auf alles und jeden jederzeit angewendet werden können – eine psychologische Kriegsführung, die ihr volles Potenzial erst im modernen Medienzeitalter so richtig entfalten konnte.

Schauen wir uns in diesem Kontext zwei exemplarische Beispiele aus der politischen Debatte und Geschichtsforschung des 20. Jahrhunderts an:

Das “Diktat von Versailles” nach dem 1. Weltkrieg, vom 28. Juni 1919, konstatierte die alleinige Verantwortung des Deutschen Reiches und seiner Verbündeten für den Ausbruch des Krieges und verpflichtete auf dieser Grundlage Deutschland zu umfangreichen Gebietsabtretungen und Reparationszahlungen an die anderen imperialistischen Siegermächte. Dazu heisst es in unserer Ausgabe vom 24. August 1930 u.a.:

„Nur wir Kommunisten kämpfen sowohl gegen den Youngplan als auch gegen den Versailler Raubfrieden, den Ausgangspunkt der Versklavung aller Werktätigen Deutschlands, ebenso wie gegen alle internationalen Verträge, Vereinbarungen und Pläne (Locarnovertrag, Dawesplan, Youngplan, deutsch-polnisches Abkommen usw.), die aus dem Versailler Friedensvertrag hervorgehen.
Wir Kommunisten sind gegen jede Leistung von Reparationszahlungen, gegen jede Bezahlung internationaler Schulden.

Wir erklären feierlich vor allen Völkern der Erde, vor allen Regierungen und Kapitalisten des Auslandes, dass wir im Falle unserer Machtergreifung alle sich aus dem Versailler Frieden ergebenden Verpflichtungen für null und nichtig erklären werden, dass wir keinen Pfennig Zinszahlungen für die imperialistischen Anleihen, Kredite und Kapitalanlagen in Deutschland leisten werden. (…)
Wir Kommunisten erklären, dass wir keine gewaltsame Angliederung eines Volkes oder eines Volksteiles an andere nationale Staatsgebilde, dass wir keine einzige Grenze anerkennen, die ohne Zustimmung der werktätigen Massen und der wirklichen Mehrheit der Bevölkerung gezogen ist.
Wir Kommunisten sind gegen die auf Grund des Versailler Gewaltfriedens durchgeführte territoriale Zerreißung und Ausplünderung Deutschlands.

Die Faschisten (Nationalsozialisten) behaupten, ihre Bewegung richte sich gegen den Imperialismus. In Wirklichkeit aber treffen sie Abkommen mit den Imperialisten (England, Italien). Sie wenden sich gegen den Freiheitskampf der Kolonialvölker (Indien, China, Indochina), verlangen für Deutschland Kolonien und hetzen zu neuen Kriegen, vor allem zur Intervention gegen die Sowjetunion, das einzige Land, dessen siegreiche Arbeiterklasse sich gegen alle Überfälle des Weltkapitals, gegen alle Raubzüge der Versailler Imperialisten siegreich mit Waffengewalt verteidigt hat.
Überall, wo der Imperialismus unterdrückte Volksmassen knechtet, würgt und niederschießt, wirken die deutschen Faschisten durch ihre Vertreter mit: in China durch die Kapp-Putschisten Wetzel und Kriebel, in Südamerika durch die Militärmission des Generals Kuntz, in Österreich durch den Liebknecht-Mörder Papst.

Wir Kommunisten sind die einzige Partei, die sich den Sturz des Imperialismus und die Befreiung der Völker von der Macht des Finanzkapitals zum Ziele setzt.
Deshalb fordern wir die werktätigen Massen Deutschlands auf, vor allem gegen den Feind im eigenen Lande, für den Sturz der kapitalistischen Herrschaft und für die Aufrichtung der Sowjetmacht in Deutschland zu kämpfen, um den Versailler Friedensvertrag zu zerreißen und seine Folgen zu beseitigen.“ [1]

Die Position der Linken steht hier also im krassen Widerspruch zur bürgerlichen und imperialistischen Geschichtsdoktrin der kapitalistischen Siegerstaaten ebenso, wie gegen die imperialistischen Klasseninteressen des nationalen (deutschen) Kapitals jener Zeit.
Die linke Gesellschaftsanalyse und Geschichtsforschung identifiziert den Klassenwiderspruch als Triebfeder imperialistischer Kriege und gelangt somit zu einer qualitativ anderen Definition der “Schuldfrage” am imperialistischen Krieg, welcher als Ergebnis der Konkurrenz der damaligen, verschiedenen imperialistischen Mächte bilanziert wird.
Aus diesem Diskurs heraus hat sich später eine Versachlichung der internationalen Debatte um die “Schuldfrage” am 1. Weltkrieg entwickelt, die quer durch alle politischen Lager hinweg begann ein differenzierteres Bild zu zeichnen.
Diesen Erkenntnisprozess würde man somit nach heutiger Lesart durchaus als “Geschichtsrevisionismus” bezeichnen.

Zweites Beispiel und konkret zum 2. Weltkrieg: Das Massaker von Katyn.

Das Massaker von Katyn im Jahre 1940, bei welchem schätzungsweise über 4.000 Polen, Offiziere, Beamte und Intellektuelle (im Zuge landesweiter Aktionen über 20.000) ermordet wurden, erfuhr gleich mehrfachen “Geschichtsrevisionismus”:

Im April des Jahres 1943 erklärten deutsche und internationale Forscher nach Ausgrabungsarbeiten und Exhumierungen durch Gerichtsmediziner die Täterschaft der Sowjetunion.

Ende 1943 erreichten sowjetische Truppen das Gebiet und führten nun ihrerseits eine Untersuchung durch, die zu dem Ergebnis gelangte, dass es sich um ein Massaker durch deutsche Truppen gehandelt habe.
1946 berichtete die Zeitung “Nordwest-Nachrichten”, herausgegeben durch die britische Militärbehörde und die sowjetische Nachrichtenagentur TASS, dass zehn deutsche Kriegsgefangene am 30. Dezember 1945 von der sowjetischen Justiz für das Massaker von Katyn verurteilt worden waren. Sieben wurden mit dem Tode bestraft und drei zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt.

Am 13. April 1990, nachdem in der UdSSR nach und nach weitere Archive geöffnet worden waren, gestand Michail Gorbatschow offiziell die sowjetische Täterschaft am Massaker von Katyn ein.
Aber auch diese Version bleibt bis heute umstritten und weiterhin Gegenstand einer historischen Debatte in Russland, wonach ein zentrales Dokument in der Beweisführung der sowjetischen Täterschaft, die sog. “Berija – Notiz”, angeblich eine Fälschung sei.

Man muss schon sehr im bürgerlichen Denken und der imperialen Ideologie und Hegemonie verhaftet sein, um in einem möglichen “Geschichtsrevisionismus” in Bezug auf den 2. Weltkrieg eine Bedrohung auszumachen. Denn für uns Linke stellt sich Historie aufgrund unseres marxistischen Wissenschafts- und Gesellschaftsverständnisses anders dar.
Auch wenn sich im Ergebnis der historischen Forschung heraus stellen sollte, dass der britische Imperialismus im Verhältnis zum deutschen Imperialismus im 2. Weltkrieg eine andere Rolle spielte, als uns die herrschende Historiographie erzählt, so ändert dies jedoch grundsätzlich nichts an unserer Einschätzung gesellschaftlicher Verhältnisse, am kapitalistischen Klassenwiderspruch als Grundlage des imperialistischen Krieges als solchem.

Die Geschichtsschreibung des zweiten Weltkriegs setzte sich im Nachgang der Ereignisse zusammen aus der Kriegspropaganda des von den USA und Grossbritannien ausgehenden aufstrebenden westlichen Imperiums einerseits, als auch jener des Stalinismus.
Gekontert wurde diese, im Wesentlichen in den völkerrechtswidrigen Nürnberger Prozessen zum Dogma erhobenen historischen Interpretation, auf der anderen Seite durch die Parteigänger des NS-Regimes. Letztere freilich verfolgten und verfolgen noch die Absicht, im Zuge der Aufklärung alliierter Kriegsverbrechen und politischer Entscheidungen und Verantwortlichkeiten, wiederum deutsche Kriegsverbrechen bis hin zur Leugnung zu relativieren.

Raum für eine seriöse wissenschaftliche Aufarbeitung, die uns als Sozialisten Grundlage einer eigenständigen Kritik deuten soll, war in diesem Spannungsfeld bislang kaum gegeben. Dies nicht zuletzt auch, weil die stalinistische Propaganda es vermocht hatte, den Nimbus des antifaschistischen Kampfes zu vereinnahmen und zu instrumentalisieren. Und für die meisten Linken, auch jene, die nie dem Stalinismus anhingen oder nach historischer und ideologischer Läuterung zu sozialistischen Wurzeln zurück gefunden haben, bildet die stalinistische Geschichtspropaganda in Bezug auf den zweiten Weltkrieg bis heute eine weitestgehend unreflektierte Realitätsinterpretation.
Historische Forschung, sozialistische allemal, hat jedoch nicht die Aufgabe, ideologisch determinierte Ergebnisse zu liefern.

Der Zusammenhang zwischen imperialer Entwicklung und Herrschaft, namentlich der Diktatur der imperialen Oligarchie und der offiziellen Historiographie wird einer wachsenden kritischen Öffentlichkeit zunehmend bewusster – nicht zuletzt auch in Folge der Vorgänge und Desinformationen rund um 9/11, wo sich erneut zeigte, dass der manipulative Einfluss auf das öffentliche Bewusstsein zu Kriegen mit Millionen Opfern führen kann.
Wir reden hier also nicht über Firlefanz, sondern über konstituierende Mythen imperialer Macht und Gewaltherrschaft, deren dramatische Konsequenzen wir tagtäglich erleben.
Um die kritische Aufarbeitung der Geschichte des 20. Jahrhunderts, an deren Anfang wir erst stehen, letztlich auch breit gesellschaftlich wirksam werden lassen zu können, ist es erforderlich, die in verschiedenen akademischen Nischen verstreuten Ansätze, Debatten und Arbeiten zu einem breiten gesellschaftlichen Diskurs zusammen zu führen. Dazu wollen wir als Sozialisten unseren Beitrag leisten.

In diesem Sinne rufe ich Historiker auf, vor allem Linke, sich kritisch, konstruktiv und auf der Sachebene mit dem Thema zu befassen. Die Rote Fahne wird im Rahmen dieses demokratischen Diskurses uns zugesandte entsprechende Fachartikel veröffentlichen, unabhängig davon, zu welchen Ergebnissen die Autoren und Autorinnen in ihrer wissenschaftlichen Arbeit gelangen.

Veränderung beginnt mit Information und Kommunikation.

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