I mmer mehr Menschen werden immer älter in Europa. Sie kämpfen gegen ihre Krankheiten an, sie versuchen einen gewissen Lebensstandard zu halten. Neue Technologien helfen ihnen bei ihren Bemühungen um ihre Gesundheit – und zwar zu Hause. Eine helfende Hand ist oft nur wenige Mausklicks entfernt.
Antonio lebt im südspanischen Cadiz. Der 69-jährige war früher Bauarbeiter, er liebt die Malerei. Antonio leidet an chronischer Bronchitis. Von Zeit zu Zeit verengt sich sein Atemsystem so sehr, dass er zu ersticken glaubt. Täglich beantwortet Antonio mehrere Fragen an einem Computer und nimmt Atemgeräusche auf. Ziel ist es, einem möglichen Anfall vorzubeugen und zu verhindern, dass er ins Krankenhaus gebracht werden muss.
“In die Notaufnahme zu müssen ist verrückt”, sagt er. “Ich verschwende dort ein oder zwei Tage, um Röntgenbilder und Bluttests zu machen. Ich habe bald kein Blut mehr… die wissen doch schon, woran ich leide. Also berichtet dieser Computer meinem Arzt, ob eine Krise droht. Er kann mir dann sagen, was ich machen soll – von zu Hause aus. Es ist, als hätte ich einen Arzt zu Hause und könnte täglich mit ihm sprechen.”
Die Tagesdaten werden online zum Krankenhaus geschickt. Jedem Patienten ist eine Zahl zugeordnet, die seinen Gesundheitszustand symbolisiert. Entsprechend den täglichen Befunden variiert diese Zahl nach oben oder nach unten. Wenn sie stark ansteigt, muss der Arzt eingreifen -es droht eine neue Krise. Antonio León, Spezialist für Atmewgserkrankungen am Universitätskrankenhaus von Puerta del Mar, meint: “In nächster Zukunft werden wir in der Lage sein, den Beginn einer Krise vorauszusehen. Wir schicken dann online oder oder per Telefon eine auf den Patienten zugeschnittene Behandlung. Er kann sich dann um sich selbst kümmern, anstatt ins Krankenhaus zu müssen.”
Dasselbe System wird in einem Seniorenheim in Cadiz getestet, mit Patienten, die noch stärker auf Hilfe angewiesen sind. Hier helfen Sozialarbeiter.
“Wenn sie nicht normal atmen, auch wenn es keine grosse Krise ist, denken sie, sie werden sterben”, sagt Sozialarbeiterin Maria Luisa Rodríguez, “sie werden panisch und leiden unter Angstgefühlen und Depressionen. Dieses System verschafft ihnen mehr Sicherheit.”
Sowohl Soft- als auch Hardware wurden von Wissenschaftlern eines Forschungsprojektes entwickelt. Die verschiedenen Prototypen wurden mit der Zeit immer moderner. Technischer Fortschritt und besondere Wünsche der Anwender wurden bei der Entwicklung berücksichtigt.
Die Testergebnisse sind vielversrpechend. Luis Felipe Crespo, Koordinator beim sogenannten AMICA-Projekt, sagt: “Wenn es zu einem Anfall kommt, dann verbringen die Patienten 45 Tage im Krankenhaus. Dieses System halbiert die Dauer. Das ist Zeit, die sie zu Hause verbringen, eine erhebliche Verbesserung ihrer Lebensqualität.”
In Nordschweden gibt es ein anderes Problem: Die Forscher versuchen hier soziale Isolierung bei älteren Menschen zu verhindern, die oft Angstgefühle auslöst oder gar zu Depressionen führt. Im Wohnzimmer der Widmanns leuchtet der Vorhang grün auf, wenn eine neue eMail eingegangen ist; rot bedeutet, es ist wichtig, zu antworten. Eine spezielle Erkennungssoftware ermöglicht es dem Computer, Gemütszustände einzuordnen, Freude oder Trauer. “Dieses System hat mir geholfen, sozial aktiver zu sein”, sagt Irma Widmann, “neue Technologien und soziale Netzwerke sind ja nicht nur für junge Generationen. Wir, die älteren Leute, können auch einen Vorteil von den Möglichkeiten haben, die diese Computer bieten.”
Die Widmanns werden häufig eingeladen, einem breiteren Publikum die neue Technik vorzustellen. Farben senden dezente Botschaften aus und bringen ältere Menschen dazu, Kontakt zu ihrer Familie, Freunden oder einem Sozialarbeiter aufzunehmen. John Waterworth ist einer der verantwortlichen Wissenschaftler: “Man wird immer darauf reagieren, dass es draussen dunkel ist, man weiss dann, was passiert, dass es Nacht ist, selbst wenn man keine digitale Uhr mehr lesen kann”, sagt er. “Das ist der Ansatz. Die Idee ist, etwas in der Umwelt zu verändern, das kann jeden dazu bringen, auf irgendeine Art zu antworten. Es sind Medien, die keine Auskunft über den Inhalt geben, darüber, wer versucht, einen zu erreichen. Sie geben keine Auskunft darüber, welche Verabredung man vergessen hat, sie sagen nicht, um was für einen Notfall es sich handelt.”
Nicht weit entfernt vom Stadtzentrum Barcelonas lebt die 82-jährige Victoria. Seit 2005 leidet sie unter vaskulärer Demenz und Alzheimer. Sie hat vergessen, dass sie Kochen kann und ist häufig desorientiert. Zusammen mit ihrer Tochter, die sich um sie kümmert, nimmt sie an einem Versuch teil, bei dem ihre Ärzte täglich online über ihren Zustand informiert werden. “Die Aufgaben haben ihr geholfen, den Alltag zu strukturieren”, sagt Tochter Marisol Bahi Sumalde, “ausserdem sind wir enger in Kontakt mit den Ärzten. Wir machen Gymnastik, wir lösen Aufgaben mit Musik und machen häufig Erinnerungsspiele. Das hängt von ihrer Stimmung ab. Wenn sie müde ist, ziehen wir die Musik- den Erinnerungsspielen vor. Aber das ganze Computersystem ist schon sehr sinnvoll für sie.”
Die Daten aus den Spielen werden von einem Team in der Klinik analysiert. So folgen die Betreuer nahezu live der Entwicklung der Patienten. Sie können direkt auf Fragen der Angehörigen eingehen. Die Neuropsychologogin María José Ciudad sagt:
“Wir können prüfen, ob die pflegende Person sich überfordert fühlt, ob sie Hilfe braucht, oder ob alles in Ordnung ist und wir nicht eingreifen müssen. Bei den Patienten können wir den Blutdruck messen, den Stand der kognitiven Fähigkeiten, die Mobilität, ob sie sich desorientiert fühlen.”
Gerontologen bezeichnen das Computersystem als grosse Hilfe für Patienten, die unter Demenz leiden. Direkte Gespräche kann es aber nicht ersetzen, meint der Gerontologe Ignasi Sáez vom Badalona Health Service: “Ich würde es nicht mögen, wenn diese Technik die Beziehung zu unseren Patienten entfremden würde. Ich will nicht, dass sie zu einer blossen Nummer werden. Aber ich denke, diese Technologien helfen uns, mehr über die Patienten zu erfahren, ihnen näher zu sein und ihnen angemessenere Anworten auf ihre Bedürfnisse geben zu können.”