D ie Tageszeitung “Kommersant” hat am Donnerstag auf ihrer Webseite ein ausführliches Interview mit dem Sekretär des Sicherheitsrates Russlands, Nikolai Patruschew, veröffentlicht, in dem er auf die wichtigsten aktuellen Probleme der Innen- und Aussenpolitik eingeht.
Zu den russisch-amerikanischen Beziehungen stellte Patruschew fest, beide Länder hätten “ernsthafte gemeinsame Interessen” auf dem Gebiet der Sicherheit. Es gebe aber auch Unterschiede bei einer Reihe von Punkten, in erster Linie in Bezug auf die amerikanischen Raketenabwehrpläne. “Heute stellt der Raketenschild keine ernsthafte Bedrohung für Russland dar, in Zukunft ist seine Aufgabe aber, unser strategisches Potential zu mindern.”
Besorgniserregend für Russland sei auch das Streben der USA, “unmittelbaren Zugang zu den Ressourcen und Transportwegen der grossen Region des Kaukasus, des Kaspi-Raums und Zentralasiens zu bekommen”, so Patruschew. “Bekannt sind Äusserungen von US-Politikern, in denen sie die Notwendigkeit betonen, Energie- und Wasser- sowie andere Ressourcen Russlands unter Kontrolle der USA zu stellen.”
“Russland setzt sich für die Entwicklung der Zusammenarbeit mit allen Staaten Asiens ein und hat nicht vor, Widersprüche zwischen ihnen auszuspielen. Wir sind fest davon überzeugt, dass die realen Bedrohungen für Washington, aber auch für Moskau, Brüssel und andere europäische Metropolen eher in der jetzigen wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Instabilität bestehen”, betonte er.
“Sollte die EU den Amerikanern folgen und ein Embargo über die Einfuhr von iranischem Erdöl verhängen sowie die Sanktionen gegen Teheran maximal verhärten, so würde das in erster Linie die Europäer selbst treffen, und nicht die USA, die ja genug eigenes Öl haben”, führte Patruschew weiter aus.
“Angesichts der Schuldenprobleme in der Eurozone würden solche Schritte die sozialökonomische Lage nur weiter erschweren. Was Russland anbelangt, so sind wir daran absolut nicht interessiert: Die EU ist unser wichtigster Partner in Handel, Wirtschaft und Politik. Der Euro ist die zweitwichtigste Währung unserer Staatsreserven. Deshalb ist es für uns prinzipiell wichtig, dass die EU nicht schwächer wird, sondern sich als eines der Zentren der heutigen Weltordnung festigt.”
Auf die Iran-Problematik eingehend stellte Patruschew fest: “Es besteht die Wahrscheinlichkeit einer militärischen Eskalation des Konflikts, zu der Israel die Amerikaner zu bewegen versucht. Schon seit vielen Jahren hören wir, die Iraner würden eventuell schon nächste Woche eine Atombombe herstellen. Dass das Nuklearprogramm Teherans eine militärische Komponente hat, ist bisher von niemandem bewiesen, was aber den US-Verteidigungsminister Leon Panetta nicht daran gehindert hat, mit Zuversicht zu erklären, einen Schlag gegen den Iran werde es so oder so geben.”
“Eine ähnliche Situation entsteht auch in Bezug auf Syrien. Informationen treffen ein, laut denen die NATO-Länder und einige arabische Golfstaaten, dem geprüften libyschen Szenario folgend, ihre jetzige indirekte Einmischung in die syrischen Angelegenheiten in eine direkte militärische Intervention umwandeln möchten. Diesmal würden aber nicht Frankreich, England und Italien die Hauptkraft bilden, sondern die an Syrien grenzende Türkei, die erst vor kurzem mit Syrien befreundet war, heute aber mit dem Iran rivalisiert und riesige Ambitionen hat. Es wird angenommen, dass Washington und Ankara bereits jetzt an verschiedenen Varianten einer ‘Flugsperre’ arbeiten, wo bewaffnete Gruppen syrischer Aufständischer gebildet und konzentriert werden könnten.”
Zugleich verwies Patruschew auf Versuche, sich in den Wahlprozess in Russland von aussen her einzumischen. “Es wird etwa versucht, die Meinung der russischen Bürger aus dem Ausland über verschiedene nichtstaatliche Organisationen und Fonds, aber auch direkt zu beeinflussen. Dabei werden verschiedene moderne Technologien angewandt, die bereits in einigen Staaten erprobt wurden, darunter auch Möglichkeiten der sozialen Netzwerke im Internet.
Trotz der Versuche, die Situation zu verschärfen, sind unsere Bürger bereit, die Situation selbst einzuschätzen. Diejenigen, die zu den Kundgebungen kommen, haben keine extremistischen bzw. aggressiven Stimmungen. Die Ordnungskräfte handeln korrekt… und werden kein Chaos und keine Gewalt zulassen.”
“Was die USA angeht, so hat Präsident Barack Obama trotz aller Schwierigkeiten, mit denen die demokratische Administration konfrontiert ist, keine schlechten Chancen, seinen Posten zu behalten”, fügte Patruschew hinzu. “Eine der positiven Losungen ist die Festigung der Partnerschaft mit unserem Land. Wenn Wladimir Putin an die Macht kommt und danach Barack Obama wiedergewählt wird, könnten die russisch-amerikanischen Beziehungen, aber auch die Situation in der Welt insgesamt eine Tendenz zur Festigung bekommen.”