S ehr geehrter Pedram Shahyar, mit einiger Verwunderung habe ich Ihren offenen Brief [1] an den Musiker Xavier Naidoo vom heutigen Tage gelesen. Sie kritisieren darin Xavier Naidoos Positionen bzw. Engagement für den Aufbau einer breiten Friedensbewegung.
Dazu möchte ich Ihnen als Chefredakteur der Roten Fahne, der traditionellen deutschen antifaschistischen und Friedens-Zeitung antworten.
Sie schreiben, Zitat:
„Doch stattdessen ist Dein erster Demoauftritt bei sogenannten “Reichsdeutschen” vor dem Reichstag, eine merkwürdige Sekte, die sich nach alten deutschen Reichen sehnt, die Grenzen von Bundesrepublik Deutschland nicht akzeptieren und in deren Szene sich ne Menge Faschisten rumtummeln. Die geistige Saat von Horst Mahler!“
Sie vermengen, übrigens ganz im Stile der NATO-Desinformation, die völkerrechtliche Situation Deutschlands und in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Rezeption dieses Themas durch rechte Kreise.
Damit erwecken Sie den Eindruck, dass es keine völkerrechtliche Problematik gäbe, sondern lediglich ideologische Phrasen.
Pedram Shahyar, Ihre Haltung ignoriert historische und völkerrechtliche Fakten. Sie geben an, sie seien ein Linker. Als solcher müsste Ihnen bekannt sein, dass es die sozialistische Arbeiterbewegung war, die das Selbstbestimmungsrecht der Völker als Maxime des internationalen Völkerrechts gegen die politische Rechte erkämpft hatte.
Die “Nationale Frage” und das Selbstbestimmungsrecht der Völker sind tief in der Tradition der Arbeiterbewegung verwurzelt und für eine sozialistische und antiimperialistische Bewegung identitätsstiftend.
Die Frage, ob das Deutsche Reich weiter fortbesteht oder nicht, berührt zum einen die Rechtsnormen des internationalen Völkerrechts, als auch die deutsche Verfassung, die Weimarer Verfassung von 1919.
Das Völkerrechtssubjekt Deutsches Reich ist nicht identisch mit dem NS-Regime, der Begriff “3. Reich” ist ein politischer und kein völkerrechtlicher. Bei der Frage der Souveränität Deutschlands geht es also nicht um NS-Deutschland, sondern um das Deutsche Reich auf der Grundlage seiner völkerrechtlich gültigen Weimarer Verfassung.
Diese nüchternen historischen und völkerrechtlichen Fakten gilt es zu verstehen, um nicht in abwehrende Reflexe gegenüber der Causa zu verfallen.
Bereits 1948, drei Jahre nach dem offiziellen Ende des zweiten Weltkriegs, schrieb die KPD in einer Erklärung zur politischen Lage:
„Die Einhaltung der Potsdamer Vereinbarungen durch die Westmächte hätte unserem Volk einen friedlichen wirtschaftlichen und politischen Aufstieg und seine Wiedereinreihung in die Völkerfamilie ermöglicht. (…)
Die Abkehr von Potsdam und die Einbeziehung eines Teils von Deutschland in den kapitalistischen Westblock finden ihren Niederschlag in den Londoner Sechsmächteempfehlungen vom Juni 1948. (…)Mit der Schaffung des Besatzungsstatutes aber wird der Abschluss eines Friedensvertrages und damit der Frieden für ganz Deutschland auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben und der jetzige Zustand der nationalen Rechtlosigkeit verlängert. (…)
Damit wird Westdeutschland zu einer Domäne des USA-Monopolkapitalismus bei der Beherrschung Westeuropas und zum Sprungbrett seiner Expansionspolitik gegen den Osten.“
Ein Jahr später 1949 vollzogen die USA gegen das internationale Völkerrecht die Teilung Deutschlands, indem sie – unter Missachtung der geltenden deutschen Weimarer Verfassung – die BRD gründeten. Mit der Annexion der DDR durch den US-Vasallen BRD im Jahr 1990 steht die Forderung nach einem Friedensvertrag, der Deutschland bis heute vorenthalten wird, wieder auf der Tagesordnung.
Der heutige globale Imperialismus beschränkt die Durchsetzung seiner Geostrategie und Ausdehnung keineswegs nur auf zivile wirtschaftliche Konkurrenz; vielmehr wurde die NATO nach dem Zusammenbruch des sog. “Ostblocks” von einem reinen “Verteidigungsbündnis” zu einem aggressiven Kriegskommando ausgebaut.
Das Völkerrechtssubjekt Deutschland spielt hierbei eine zentrale Rolle, da die BRD für den imperialen Krieg als Standort der Kriegslogistik und geheimdienstliche wie militärische Aufmarschbasis fungiert.
Aus diesem Grunde ist die völkerrechtliche Situation Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg, die Frage eines Friedensvertrages, die Anwesenheit US-amerikanischer Geheimdienste, Militäreinrichtungen und Truppen auf deutschem Boden, von entscheidender Bedeutung.
Nur indem die USA weiterhin ihr eigenes künstliches Produkt BRD kontrollieren können, sekundiert durch die nationale deutsche Bourgeoisie, ist es dem Imperium möglich, seine aggressiven Expansionsbestrebungen durchzusetzen.
In der aktuellen Epoche lässt sich eine klare Frontlinie identifizieren; unabhängig von allen gesellschaftlichen und politischen Herausfor-derungen im Detail, stehen die Staaten und ihre Bürger heute am Scheideweg zwischen globalem Imperialismus und der Desintegration der bürgerlich demokratischen Republiken bis hin zur imperialen Diktatur – oder Rückbesinnung und Verteidigung der Normen des internationalen Völkerrechts.
Es ist daher evident, dass die Herauslösung des Völkerrechtssubjekts Deutschland aus den imperialen Strukturen der Schlüssel in der Strategie des antiimperialistischen Widerstandes ist.
Pedram Shahyar, Sie greifen Xavier Naidoo zu unrecht an. Das Thema hat auch nichts mit rechten Gruppen namens “Reichsbürger” oder Ähnlichem zu tun, von denen sich Xavier Naidoo bereits mehrfach distanziert hat.
Also bitte, gehen Sie fair mit Xavier Naidoo um, der das Thema offenbar weit besser verstanden hat als Sie bislang und machen Sie sich mit den Fakten vertraut.
Soviel links muss sein.
- Xavier, lass uns reden!, Pedram Shahyar 07.10.2014 ↩