I n Sao Paulo in Brasilien läuft heute der zweite und letzte Tag der NetMundial-Konferenz zur Zukunft der Internet-Governance. Nach dem ersten Tag ist immer noch unklar, ob die Konferenz ein Erfolg und damit “irgendwie historisch” oder eine reine Farce wird. Hier ist mein erster Bericht.
Spannend ist, dass zumindest der Diskussionsprozess zu funktionieren scheint. Die Konferenz wendet das Multi-Stakeholder-Modell an, was manche von ICANN oder dem früheren World Summit on Information Society (WSIS) kennen, was aber immer noch umstritten ist. Multi-Stakelder bedeutet in diesem Fall, dass vier mehr oder weniger gleichberechtigte Stakeholder miteinander strukturiert diskutieren. In diesem Fall sind das Zivilgesellschaft (Civil Society), Regierungen (Governmants), Unternehmen samt Verbänden (Business) und technische und wissenschaftliche Community (Technical Community) wie IETF.
Zum Multistakelhder-Prozess kann man viel zu sagen und das wird seit mehr als einem Jahrzehnt ausführlich, zumindest auf internationaler Ebene rund um ICANN und Co, diskutiert. Grob gesagt gibt es verschiedene Lager in der Debatte:
Vor allem repressive Staaten lehnen Multistakeholder ab, weil da ja Zivilgesellschaft mitredet und das in Staaten wie China, Iran oder Russland nicht erwünscht ist. Die Meinung dieser Länder ist, dass diese Debatten in der UN-Organisation International Telecommunication Union (ITU) geführt werden müssen, wo Staaten (mit zumeist ehemaligen oder heutigen Telekommunikationsmonopolisten) hinter verschlossenen Türen diskutieren. Befürworter des MS (auch unter den anderen Staaten) argumentieren gerne damit, dass wenn die ITU das Internet geschaffen hätte, wir immer noch bei BTX und Kabelfernsehen wären.
Innerhalb der Zivilgesellschaft ist MS umstritten, weil auf der einen Seite nicht wirklich inklusiv (man muss Geld, Wissen und Zeit haben, um teilnehmen zu können), andererseits sind die Debatten in den vergangenen zehn Jahren vor allem im Rahmen des Internet-Governance-Forums auf UN-Ebene unverbindlich abgelaufen, so dass dieser Prozess als Laberveranstaltung gilt. Befürworter von MS sagen wiederum, dass alles ausserhalb der ITU inklusiver ist und vor allem der Prozess genutzt werden soll, das Modell weiter auszubauen, und vor allem Strukturen offener und inklusiver zu machen.
Ganz grob gesagt kann man hier auch von einer Fundi-/Realo-Debatte sprechen. Wahrscheinlich ist es aber gut, dass es diese beiden Seiten gibt, je mehr Druck von aussen kommt, umso bessere Verhandlungspositionen haben diejenigen, die den MS-Prozess verbessern wollen.
Die NetMundial-Konferenz steht vor allem vor zwei Debatten und damit Herausforderungen: Einmal gibt es die Snowden-Enthüllungen, die im vergangenen Jahr zu dieser brasilianischen Konferenz-Initiative geführt hat und eigentlich sollte sich das im inhaltichen Abschlusspapier, den sogenannten Principles wiederfinden.
Und dann gehts um die Transition von ICANN und der IANA-Funktionen, und damit um die prozessuale Internet-Governance-Debatte. Auch hier prallen wiedre unterschiedliche Sichtweisen aufeinander, vor allem ob Internet-Governance jetzt auch Inhalte betrifft, als Netzpolitik, oder ob es nur um Governance geht, wo zufällig mit ICANN ein netzpolitisches Subjekt dabei ist.
Wie läuft eine solche Konferenz ab?
Wie schon geschrieben, es gibt zwei Tage und da muss alles passieren. Natürlich kann man bei diplomatischen Verhandlungen “die Zeit anhalten”, also solange weiter diskutieren, auch wnen es mehr Tage braucht.
Aber darauf hat natürlich keiner Lust. Dann gab es einen längeren Konsultationprozess vorher und mehrere Versionen eines Entwurfes des Abschlusspapieres, das aus den Principles (Inhalte) und Roadmap für ICANN und die Debatte (Prozesse) besteht.
Gestern Morgen kamen wir leider nicht in die Eröffnungssession, weil überfüllt. Das lag vor allem daran, dass die braislianische Präsidentin Dilma Rousseff die Eröffnung innenpolitisch nutzte, um den Marco Civil da Internet zu unterzeichnen und das Presseinteresse zu gross war, der Saal zu klein und unser Taxi im Stau von Sao Paulo stockte.
Wir konnten uns die Eröffnung daher nur aus einem Nebenzimmer im Livestream anschauen. Das war aber eher unspektakulär. Jeder Stakeholder konnte eine Rede halten, hier fiel nur Nnenna Nwakanma auf, die für die Zivilgesellschaft aufgestellt wurde und in ihrer fulminanten Rede zum Schluss noch Edward Snowden dankte und dafür Standing Ovation bekam.
Tim Berners-Lee sprach im Anschluss für die Technical Community, war aber offensichtlich sowas von nervös, dass seine Stimme öfters stockte. (Machte ihn sympathisch, ich kenne das ja auch). Für einen kurzen Lacher sorgte Vint Cerf, der für Google und die Wirtschaft sprach, aber irgendwnn mitten drin aufhörte und „Oh, ich hab gerade das Problem, dass meine Rede hier endet, weil der Rest nicht ausgedruckt wurde” sagte und wieder ging.
Dilma Rousseff sprach zum Schluss, erhielt auch Standing Ovations, aber eine grosse Rednerin ist sie nicht. Zudem sprach sie auf portugiesisch mit Echtzeit-Übersetzung nach englisch. Der Applaus galt dann vor allem der Einladung zu dieser Initiative und als Respekt für Marco Civil.
Soweit, so gut. Im Anschluss begann der Horror. 25 Staaten sind Unterstützer der Konferenz und durften alle Vertreter für Grussworte schicken. Das ist echt anstrengend, vor allem wenn es kein Wasser und keinen Kaffee gibt und sich selbstverständlich die Staatsvertreter nicht an Redezeiten halten (weil hey, endlich mal auf internationaler Ebene auf ner Bühne stehen11!).
Das sorgte sehr für Unmut, weil das Internet nicht wirklich funktionierte und 1/3 der Konferenz schon durch Top-Down-Reden mit oft belanglosem Inhalt verschwendet wurde.
Der Multi-Stakeholder-Prozess begann
Spannend wurde es dann ab 16 Uhr. Zuerst wurde der Prozess für die Konferenz vorgestellt und es gab Zeit für eine Frage und ANtwort Runde. Das muss man sich bei diesem Modell so vorstellen, dass die vier Stakeholder an unterschiedlichen Schlangen für ihr jeweiliges Mikrofon anstehen.
Wer wohin gehört, erkennt man an der Badge-Farbe. Ich hab bei mir rot für Zivilgeselslchaft dran. Und dann läuft das echt abwechselnd und gleichberechtigt nach dem Motto “First come, first serve” in jeder Reihe ab. Dazu gibt es noch “Remote-Participation”, d.h. nach jeder Runde gibt es ein Videostatement von einem der rund eindutzend Hubs in der Welt, wo Leute zusammensitzen und einen Onlinekommentar, der vorgelesen wird.
In der FAQ-Runde nutzten natürlich erstmal die üblichen drei repressiven Staaten Russland, China und Iran die Redezeit, um keine Frage an die Konferenzvorstände zum Prozess zu stellen, sondern klarzumachen, dass man keine Lust auf MS hat und ausserdem die Sache mit den Menschenrechten “kulturell anders” interpretiert.
Ausserdem kam immer der Hinweis, dass die ITU doch die bessere Ebene für die Debatte wäre.
Im Anschluss startete die erste Konsultationsphase zu den Principles, gefolgt von der Roadmap, was zusammen bis 20:30 andauerte. Da ging es darum, dass alle Beteiligten sich in Reihen aufstellen und konkrete Umformulierungsvorschläge in zwei Minuten mit einer tickenden Uhr abgeben.
Und das funktionierte erstaunlich gut. Es ist wohl auch eine kleine kulturelle Revolution, dass Regierungsvertreter sich in eine Schlange anstellen und dann darauf warten, dass sie irgendwann mal dran kommen, um ihren 2-Minuten Punkt zu machen und zwischenzeitlich den anderen zuhören müssen.
Man konnte in den Redebeiträgen auch interessante Allianzen beobachten. Staaten wie Grossbritannien und Schweden wollen alle Verweise auf Massenüberwachung aus den Principles raushalten, während sich die USA da raushält (möglicherweise wurden die beiden Staaten als Vasallen vorgeschickt). Microsoft und AT&T argumentierten einträchtig mit unserer EU-Kommissarin Neelie Kroes dagegen, Netzneutralität in den Text aufzunehmen, weil das Thema ja noch überall diskutiert würde.
Ausserdem habe das doch nichts mit Internet-Governance zu tun (sagte der Microsoft-Lobbyist und hat offensichtlich ein anderes Verständnis von Netzpolitik als ich es habe).
Viele kritisierten, dass Menschenrechte im Zwischenentwurf entwertet werden, indem sie als “Values” (Werte) definiert werden und nicht als “Norms”, was sie sind. Der Entschied ist natürlich offensichtlich: Werte sind jetzt nicht so bindend und können “kulturell anders” interpretiert werden (das “kulturell anders”-Argument kam gerne von China).
Positiv war der Beitrag von unserem Regierungsvertreter Brengelmann, der seine zwei Minuten nutzte um für Norms und gleichzeitig auch für die Aufnahme von Referenzen zu der Massenüberwachung zu plädieren.
Die meisten Redebeiträge der Zivilgesellschaft kamen zum Punkt, dass Edward Snowden selbstverständlich als historischer Kontext irgendwo Erwähnung im Dokument finden sollte (Dagegen wehren sich USA & Co vehement), dass Massenüberwachung selbstverständlich thematisiert werden müsste und auch Netzneutralität als Garant für das offene Netz, was auch alle Staaten immer als Phrase genutzt haben.
Bei der zweiten Debatte, der Roadmap, gibt es vor allem den Konflikt, ob man das überhaupt gut findet (Russland findet MS erstmal gut um dann im Rest-Redebeitrag zu sagen, dass das Modell nicht funktioniert und deshalb ITU bewährter und besser wäre – damit nutzte Russland auch berechtigte Kritikpunkte von Teilen der Zivilgesellschaft, die unzufrieden mit dem Prozess ist, aber zu anderen Schlussfolgerungen kommt).
Und dann ist die Frage, ob und wenn ja, wie viel multilaterale Sprache einen Weg in das Dokument findet, um den Prozess weiter zu öffnen. Hier wehrt sich vor allem die USA dagegen.
Gerade läuft eine neue Runde an Statements, während nebenan der Text weiter finalisiert werden soll, der vergangene Nacht noch bis nach 1 Uhr in Kleingruppen diskutiert wurde. Ich hab garantiert noch ganz viel vergessen, aber das wird auch nicht mein letzter Bericht sein.
Es bleibt weiter spannend, noch kann man nicht sagen, ob die Konferenz erfolgreich wird. Aber zumindest ist es sehr interessant, das alles zu beobachten und viele Menschen aus aller Welt zu treffen. Und vor allem findet mal zwei Tage eine globale Netzpolitik-Debatte statt. Alleine dafür hat sich die Reise schon gelohnt.
Meine Reise wird übrigens von der Konrad-Adenauer-Stiftung teilfinanziert, weil ich an einem deutsch-brasilianischen Netzpolitik-Workshop am Dienstag als Redner teilgenommen habe, wo die KAS als Sponsor auftrat, drei weitere Nächte im Hotel zahlen die Landesmedienanstalten Berlin und Rheinland-Pfalz zusammen, denen ich im Anschluss Bericht zu Internet-Governance und den Prozessen geben soll. Zeit und Spesen zahl ich selbst.
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