E s ist eine schleichende Revolution, die sich derzeit vollzieht, in Europa und im Rest der Welt: Die Rede ist von der elektronischen Zigarette (E-Zigarette). Mittlerweile gibt es mehr als sieben Millionen “Dampfer” weltweit.
Das Prinzip: Es wird Dampf und Nikotin inhaliert aber kein Tabakrauch und die anderen Chemikalien, die in einer gewöhnlichen Zigarette stecken.
Für einen Mann in einem französischen E-Zigaretten-Geschäft grenzt das an ein Wunder: „Vor dieser Erfindung habe ich vier- oder fünfmal versucht, mit dem Rauchen aufzuhören. Mit der E-Zigarette konnte ich schon nach ein paar Tagen die Finger von den Zigaretten lassen.“
Es wird geschätzt, dass allein in Frankreich jeder Fünfte raucht, in ganz Europa jeder Dritte.
Philippe Presles ist Arzt und Tabakologe. Er hat einen Appell verfasst, der von 100 Medizinern unterzeichnet wurde. Demnach soll die E-Zigarette als Alternative zum Rauchen propagiert werden.
Dr. Presles erklärt: „Mit der elektrischen Zigarette ist es uns gelungen, die drei besonders gefährlichen Gifte des Tabaks zu eliminieren: den Teer, das Kohlenmonoxid und den Feinstaub, der zu Krebs führen kann, zu Herzinfarkt und chronischer Bronchitis. Und da fragen die Leute doch noch ernsthaft, welche gefährlichen Stoffe in der E-Zigarette stecken. Ich finde das lächerlich.
Vergleichen wir mal die Gefährlichkeit der elektrischen Zigarette mit der anderer Produkte. Ich stelle mal den Tabak ganz nach links, dann kommt der Alkohol, danach die fett- und zuckerreichen Lebensmittel.
Dann wird deutlich, dass die E-Zigarette eher auf der Seite von Früchten, Obst und Fisch steht. Die Gefahr ist sehr, sehr gering. In einigen Früchten stecken Pestizide, mancher Fisch ist mit Schwermetallen belastet. Das ist in etwa der Grad der Gefährlichkeit der E-Zigarette.“
Die Europäische Kommission ist sich trotz der medizinischen Argumente immer noch uneins darüber, wie sie die Zukunft der E-Zigarette gesetzlich regeln soll. Das neue Produkt darf nicht an Minderjährige verkauft werden, es wird auch über höhere Steuern nachgedacht, da die E-Zigarette fünfmal so teuer ist wie eine normale Zigarette.
In einem Laden in Frankreich probiert der Langzeitraucher Michel Celemenski erstmals eine E-Zigarette. Er erzählt: „Ich rauche seit vierzig Jahren. Ich habe alles versucht: das Pflaster, den Kaugummi, kalten Entzug. Alles. Ich hatte eine Zeit lang komplett mit dem Rauchen aufgehört.
Aber jedes Mal habe ich wieder angefangen, denn mir fehlte diese Geste, der Geschmack. Ich mag den Geschmack von Tabak, den Rauch. Das hat mir gefehlt.“
Das sind die typischen Reaktionen. Die Europäische Kommission hat aber in ihrer Tabak-Verordnung trotz des vielen Lobs den Vertrieb und Verkauf der E-Zigarette beschränkt.
Salvatore Adamo, Besitzer eines E-Zigaretten-Geschäfts, erklärt: „Sie haben dieses Produkt ein wenig dämonisiert, in dem sie sagen: ‘Wir wissen nicht, was da drin steckt’. Diese Schutzmaßnahmen wurden nie bei den Zigaretten angewandt.
Warum bei der E-Zigarette? Sie wird dämonisiert und folglich gibt es in der Öffentlichkeit Bedenken.“
Warum wird ein Produkt verteufelt, von dem Ärzte sagen, es sei weniger gefährlich als herkömmliches Rauchen? Die Unterstützer der E-Zigarette meinen: Der Druck kommt von den grossen Pharma- und Tabak-Unternehmen, die diesen boomenden Markt kontrollieren wollen.
Die Zahl der Läden für elektrische Zigaretten ist allein in Frankreich im vergangenen Jahr rasant gewachsen: von 300 auf 1500.
Der Chef der französischen Behörde für den Nichtraucher-Schutz, Bertrand Dautzenberg, vermutet, dass die Schwierigkeiten der EU-Kommission mit der E-Zigarette aus fehlenden Langzeit-Studien resultieren. „Die EU-Verordnung ist besessen von der Gefährlichkeit dieses Produkts, dabei ist das ein winziges Problem. Rauchen ist wie Geisterfahren, als ob man die falsche Seite der Strasse benutzt.
E-Zigaretten dampfen ist dagegen so, als würde man mit 140 Sachen auf einer 130er Strecke unterwegs sein. Wenn das alle machen würden, dann gäbe es eine überschaubare Menge von Unfällen. Verglichen mit dem Rauchen gäbe es eine deutliche Verringerung der Risiken.“
Sebastian Bouniol ist einer der Gründer des E-Zigaretten-Verbandes. Er betont, dass die elektrische Zigarette gar nicht unter die EU-Tabak-Verordnung fällt, da sie keinen Tabak enthält.
Bouniol unterstützt das neue Produkt, aber er befürchtet, dass Brüssel so viele Auflagen macht, dass es ein nutzloses Instrument im Kampf gegen das Rauchen wird.
Er ist Nicht-Raucher seit mehr als einem Jahr und erzählt: „Die E-Zigarette ist im Unterschied zur Zigarette ein Produkt, das von den Leuten kommt, von Künstlern und kleinen Unternehmern.
Das Produkt stammt nicht von multinationalen Unternehmen, die viel Geld in die Forschung und Entwicklung gesteckt haben. Die Erfindung kam spontan, und zunächst glaubte niemand von den Pharma- und Tabakkonzernen in Frankreich an die E-Zigarette – bis letztes Jahr.“
Europas E-Zigaretten-Industrie macht jährlich rund 500 Millionen Euro Umsatz, kaum vergleichbar mit den 91 Milliarden der Zigaretten-Industrie.
Die Tabakhändler in Frankreich beklagen sich allerdings über die neue EU-Tabak-Verordnung. Zigaretten hätten sich verteuert, und der grenzüberschreitende Handel würde erleichtert.
Der Tabak-Händler Cyril Geiger betont, dass die hohen Steuern zudem zu einem vermehrten Schwarzmarkthandel geführt hätten. Der E-Zigarette gehört seiner Meinung nach die Zukunft, obwohl sie fünfmal teurer ist.
Geiger erklärt: „Wir müssen darum kämpfen, auch die Vertriebsrechte für die E-Zigarette zu bekommen. Sie enthält Nikotin, und die Tabakläden besitzen folglich das Verkaufsrecht. Das ist die Zukunft für uns.
Zigaretten werden in zehn Jahren nicht mehr dasselbe sein. Sie werden sich weiterentwickeln, denn die Leute haben sich mittlerweile dieses Produkt angeeignet, das in einer kleinen chinesischen Garage entdeckt wurde. Die Tabakindustrie investiert viel in die Forschung, damit Zigaretten weniger gefährlich sind, damit der Genuss bleibt, es aber weniger Gesundheitsrisiken gibt.“
Doch wie hilfreich ist die E-Zigarette, wenn man mit dem Rauchen aufhören will? Es gibt bislang nur wenige Studien, schätzungsweise jeder Zwanzigste kommt ganz von Zigaretten weg. Die Mehrheit dampft die Elektrische und raucht gleichzeitig Zigaretten – aber weniger.
Doch das Dampfen mag nicht jeder. Pascale Piccard hat die E-Zigarette einen Monat lang probiert und ist nun wieder Raucherin. Sie erzählt: „Ich glaube, ich will gar nicht richtig aufhören. Rauchen ist für mich echter Genuss. Ich bin deshalb wahrscheinlich nicht genug motiviert.
Aber ich mache mir Sorgen um die Heranwachsenden, viele von denen dampfen E-Zigarette. Es war ja noch gar keine Zeit, um zu prüfen, ob es irgendwelche Risiken gibt, Krankheiten, wie beim Tabak. Wir wussten auch nichts über die Risiken des Rauchens, als wir damit anfingen.“
Bertrand Dautzenberg warnt: „Das Risiko besteht darin, dass die Leute durch die E-Zigarette zum Tabakrauchen kommen. Es ist besorgniserregend, wenn man sieht, dass weltweit einige der grössten Zigaretten-Hersteller E-Zigaretten-Marken aufkaufen.
Sie tun das nicht, weil sie die Konsumenten zum Wechsel ermutigen wollen, sondern, um neue Kunden zu gewinnen. Sie werden es sehen, sie werden versuchen, die Jungen zu bekommen, denn sie wissen, der Markt ist nur profitabel, wenn die Jungen abhängig gemacht werden.“
Das sog. “Europäische Parlament” wird im März über die Tabak-Verordnung abstimmen. Jedes EU-Land hat dann zwei Jahre Zeit, den Verkauf der E-Zigarette gesetzlich zu regeln. Viele hoffen, dass der Siegeszug der E-Zigarette weitergeht und es dadurch immer mehr Menschen gelingt, mit dem Rauchen aufzuhören.
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