D ie “MainArbeit”, das berühmte Vorzeigejobcenter der kreisfreien Stadt Offenbach, hat einen neuen Rekord aufgestellt: Eine Sachbearbeiterin hat einem ihrer Kunden eine Hartz IV-Sanktion von 350 Prozent ausgesprochen.
“Sanktion” bedeutet bei Hartz IV, dass ein Empfänger von Arbeitslosengeld II für tatsächliche oder angebliche Verletzungen seiner Pflichten die monatlichen Bezüge um einen gewissen Prozentsatz “abgesenkt” bekommt.
Herr R. aus Offenbach bekommt also derzeit 350% weniger Arbeitslosengeld als die üblichen 330 Euro im Monat, müsste demnach also aufgrund der Tatsache, dass er einen Antrag gestellt hat, jetzt theoretisch monatlich 1.155 Euro Sozialleistungen an die Stadt bezahlen.
Die Sachbearbeiterin Fr. F., die für ihre kreativen Bescheide bei Beratungsstellen und beim zuständigen Sozialgericht bereits bestens bekannt ist, hat sich für das Problem, dass 350% Kürzung in der Praxis unmöglich umzusetzen sind, eine Lösung einfallen lassen. Sie kürzt dem Mann das Arbeitslosengeld nur um 100% zuzüglich seinem Mietanteil von 190 Euro, will dafür dann aber den laut Gesetz dreimonatigen Kürzungszeitraum einfach von Oktober 2013 bis in den Sommer 2014 verlängern.
Oder mit anderen Worten: Sie will die insgesamt sechzehn oder siebzehn Einzelstrafen über acht Monate so verteilen, bis die theoretischen 350% “Absenkung” auf der Basis eines Dreimonatszeitraumes in der Summe erreicht wurden.
Nach Auffassung der Hartz IV Hilfe gibt es für diese Verfahrensweise der “MainArbeit” keinerlei Rechtsgrundlage. „Da in einem Rechtsstaat jedes Verwaltungshandeln auf einer Rechtsgrundlage beruhen muss, könnte man dieses Verfahren der Stadt Offenbach demzufolge als rechtswidrig bezeichnen”, so Roman Thilenius, Mitarbeiter der unabhängigen Beratungsstelle für “MainArbeit”-Kunden.
Eine unglückliche Verkettung fragwürdiger Verwaltungsakte
Doch es bleibt nicht bei der fragwürdigen Addition der Einzelstrafen und der Ausweitung des Sanktionszeitraumes von drei auf acht Monate. Das ist der “MainArbeit” nicht genug, das kann sie besser. Die Lebenspartnerin des Betroffenen und ihre Kinder sollen nach dem Willen der Stadt nämlich gefälligst gleich mit verhungern.
Die “MainArbeit” hat der Familie jetzt einen Leistungsbescheid ausgestellt, in dem dem Mann zwar sein Mietanteil gestrichen wird, aber trotzdem die volle Miete an der Vermieter überwiesen wird. Dazu hat die “MainArbeit” nun einfach den Mietanteil des Mannes vom Arbeitslosengeld der Frau abgezogen.
„Somit sanktioniert das Jobcenter hier eine Person dafür, dass eine andere Person Pflichtverletzungen begangen hat. Darauf muss man erst mal kommen. Die “MainArbeit” lässt Frau und Kinder verhungern, um deren Vater zu betrafen”, meint der Sozialberater von der Hartz IV Hilfe.
Man könne es auch umgekehrt betrachten. Dem Mann sei nämlich durch diesen Vorgang Geld überwiesen worden, was ihm aufgrund des Arbeitslosengeldbescheides, in dem ihm ja die Miete gestrichen wurde, überhaupt nicht gewährt worden ist.
„Da wird es dann ganz kriminell.“
Als ob das nicht alles schon schlimm genug wäre, kommen weitere Kleinigkeiten hinzu, die das Fass zum Überlaufen bringen. Denn auch die Frau selbst hat inzwischen eine dreissigprozentige Kürzung ihres Arbeitslosengeldes verordnet bekommen. Sie soll einen wichtigen Termin versäumt haben, war aber an dem fraglichen Tag nachweislich krank.
Wie die zuständige Sachbearbeiterin auf Nachfrage bestätigte, befände sich die Krankmeldung wohl in der Akte. Trotzdem hält die “MainArbeit” an der Kürzung fest.
Auch die Kinder sind betroffen
Essen von der Tafel zu holen war im Dezember nicht möglich, und wieder war die “MainArbeit” die Ursache. Denn da die Behörde nicht fristgemäss aktuelle Bescheide ausstellte, war die Zugangsberechtigung zur Tafel erst Mal futsch.
Auch das Essen für den Kleinen im Kindergarten ist inzwischen in Gefahr. Und auch hier ist vermutlich wieder die “MainArbeit” schuld. Denn obwohl das Essensgeld von der “MainArbeit” angeblich monatelang an den Kindergarten bezahlt wurde, liegen der Familie Mahnungen der Stadt vor.
Die Beträge von 2013 seien nicht bezahlt. Wo das Geld, was die “MainArbeit” an den Kindergarten überwiesen haben will, geblieben ist, ist unklar. Die Sachbearbeiterin weigert sich bei der Aufklärung zu helfen und erklärt ihre Unzuständigkeit.
Insgesamt bekommt die Familie mit zwei Kindern durch diese Aktion jetzt noch 40 Euro Arbeitslosengeld pro Monat. Das ist nicht einmal genug, um die Gasrechnung zu bezahlen.
Die verzweifelte Mutter beantragt in ihrer Not im November dann die obligatorischen Lebensmittelgutscheine. Wieder spielt die “MainArbeit” nicht mit: Sie verweigert der Mutter die Herausgabe.
Die Hartz IV Hilfe stellt klar: „Bei Leistungskürzungen von mehr als 30% in Haushalten mit Kindern sind laut Gesetz auf Antrag der Betroffenen Lebensmittelgutscheine auszustellen. Da gibt es kein Wenn und Aber.
Da hat das Gesetz strikt befolgt zu werden, auch wenn man die Stadt Offenbach ist, und sich für besonders befugt hält, alles anders als normal zu machen.”
Als die betroffene Behördenkundin schliesslich ihrer Sachbearbeiterin gesagt hat, dass sie sich jetzt einen Rechtsanwalt nimmt, hat diese ihr davon energisch abgeraten. Einen Anwalt einzuschalten, das sei eine Maßnahme, die sich „nur zu Ihrem Nachteil auswirken wird.“
Der Sozialberater Thilenius ist fassungslos über diese unverhohlene Drohung. „An einer aussergerichtlichen Lösung haben die offenbar kein Interesse, und jetzt drohen sie der Frau, weil sie vorm Sozialgericht klagen will?
Aber mit was? Schlimmer als jetzt kann es ja kaum noch werden.“
Er selbst habe der “MainArbeit” vor zehn Tagen ein Gespräch angeboten, aber die habe darauf nicht reagiert.
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