D er heute vorgelegte Bericht des Komitees der Vereinten Nationen für die Folgen von Strahlung (UNSCEAR) verharmlost systematisch das wahre Ausmaß der gesundheitlichen Folgen der Fukushima-Katastrophe. Es handelt sich um eine gezielte Desinformation der Öffentlichkeit.
Das kritisieren IPPNW-Ärzte aus Deutschland, den USA, Schweiz, Frankreich, Italien, Nigeria, Malaysia, Ägypten und den Niederlanden in ihrer Analyse des Berichts.
UNSCEAR gibt an, dass „kein erkennbarer Anstieg von Krebserkrankungen in der betroffenen Bevölkerung zu erwarten sei, der mit der Strahlenexposition in Verbindung gebracht werden kann“.
Die Ärzte kritisieren, dass sich die Mitglieder von UNSCEAR in ihrem Bericht im Wesentlichen auf die Angaben der International Atomenergieorganisation (IAEO), der Betreiberfirma TEPCO und der japanischen Atombehörden stützen.
UNSCEAR verlässt sich dabei blind auf die Dosisangaben der Kraftwerksbetreiber und ignoriert die Vielzahl an Berichten über Manipulationen und Ungereimtheiten dieser Messwerte. Neutrale unabhängige Institute und Forschungseinrichtungen, die die Ereignisse in Fukushima kritischer beurteilen und von höheren Strahlendosen ausgehen, werden ignoriert.
Statt die Rechnungen der WHO als Grundlage für die Dosisberechnung zu nehmen, bezieht sich UNSCEAR auf wenig verlässliche Ganzkörpermessungen einzelner Isotope und rechnet sich somit die Gesamtdosis der Bevölkerung klein.
Die erhöhte Strahlenempfindlichkeit des ungeborenen Kindes wird in den Berechnungen ebenso wenig berücksichtigt wie neuere strahlenbiologische und genetische Erkenntnisse zu den medizinischen Folgen von Niedrigstrahlung. UNSCEAR bestätigt, dass es zu vermehrten Krebsfällen kommen wird, gibt aber an, dass diese nicht in der Statistik auffallen werden und nicht eindeutig mit dem radioaktiven Fallout in Verbindung gebracht werden können – eine Strategie, wie sie auch die Zigarettenkonzerne und die Asbestwirtschaft jahrzehntelang verfolgte.
Als Ärzten liegt uns die Gesundheit unserer Patienten am Herzen. Jeder Mensch hat das Recht auf Gesundheit und auf ein Leben in einer gesunden Umwelt. Den Bewohnern der verstrahlten Gebieten wird dieses Menschenrecht derzeit verwehrt.
Jeder einzelne Fall von Krebs ist einer zu viel und wenn, wie in Fukushima, mit mehreren zusätzlichen Zehntausend Krebsfällen durch die radioaktive Strahlung gerechnet werden muss, dann ist es zynisch und unangemessen, die berechtigen Sorgen und gesundheitlichen Risiken der Bewohner auf ein statistisches Problem zu reduzieren.
Inzwischen ist wissenschaftlich anerkannt, dass jede auch noch so kleine Menge an radioaktiver Strahlung Krebs auslösen kann. Es gibt keine Schwellendosis unterhalb derer Strahlung ungefährlich ist.
Chronische Exposition mit Radioaktivität kann zu Leukämien, Lymphomen und zu soliden Tumoren führen, sowie zu Herzkreislauferkrankungen, Grauem Star und Autoimmunerkrankungen.
Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass Kinder, und vor allem ungeborene Kinder, eine stark erhöhte Strahlensensibilität haben. Aus diesem Grund versuchen Ärzte, wo immer möglich, Kinder und Schwangere vor unnötiger Strahleneinwirkung zu schützen.
Durch die multiplen Kernschmelzen in Fukushima wurden grosse Mengen an Strahlung frei gesetzt und durch radioaktive Wolken verteilt. Nur durch viel Glück und die richtige Windrichtung blieb der Millionenmetropole Tokio eine massive Verstrahlung erspart. In den umliegenden Präfekturen sind die Menschen jedoch seit mehr als 2 ½ Jahren erhöhten Strahlenwerten ausgesetzt.
Die Behörden haben die Menschen nicht adäquat schützen können. Jodtabletten zur Prophylaxe wurden nicht verteilt, die zulässige jährliche Strahlenbelastungsgrenze von Kindern dafür auf 20 mSv erhöht.
Radioaktive Hotspots entlang Schulwegen und am Rand von Spielplätzen und Schulhöfen werden lediglich mit Wimpeln markiert und der Verzehr von Produkten aus Fukushima mit lokal-patriotischen Kampagnen unterstützt – selbst in Schulkantinen.
Und die Atomkatastrophe dauert noch an: die ungeschützten Kraftwerksruinen stellen noch immer eine grosse Gefahr dar und müssen weiterhin intensiv gekühlt werden.
Durch unerkannte Lecks werden weiterhin jeden Tag mehrere hundert Tonnen radioaktives Wasser in den Pazifik gespült.
Es ist wissenschaftlich unseriös, aus den Daten von ein bis zwei Jahren definitive Schlussfolgerungen über die nächsten Jahrzehnte zu ziehen und Entwarnung zu geben, wie das der UNSCEAR-Bericht tut. Schon heute mussten in Fukushima 18 Kinder wegen Schilddrüsenkrebs operiert und behandelt werden, bei 25 weiteren Fällen haben Biopsien ebenfalls einen Krebsverdacht ergeben.
Zu erwarten wäre in einer vergleichbaren Bevölkerung gerade mal ein einziger Fall. Ein Zusammenhang mit der Atomkatastrophe erscheint plausibel. Die weitere Entwicklung (nicht nur der Schilddrüsenkrebsfälle) muss in den nächsten Jahrzehnten gut beobachtet werden.
Die Menschen müssen das Recht haben, ihre medizinischen Daten einzusehen und sich eine Zweitmeinung einzuholen. Beides wird ihnen derzeit verweigert.
Auch müssen vor allem junge Familien und Schwangere Unterstützung erfahren, wenn sie sich auf Grund gesundheitlicher Sorgen dazu entschliessen, die verstrahlten Gebiete zu verlassen. Stattdessen werden sie derzeit mit aufwändigen Kampagnen und ineffektiven Dekontaminationsversuchen dazu ermutigt zu bleiben.
In der Debatte über die Gesundheitsfolgen der Atomkatastrophe von Fukushima geht es um mehr als nur das Prinzip der unabhängigen Forschung, die sich dem Einfluss mächtiger Lobbygruppen nicht beugt. Es geht auch und vor allem um das Menschenrecht auf Gesundheit und eine gesunden Umwelt.
Deswegen setzen wir Ärzte dem Bericht der Atomlobby unsere eigene kritische Erwiderung entgegen.
→ IPPNW-Kommentar zum UNSCEAR-Bericht (PDF, english)
→ Statement von Dr. Angelika Claußen (PDF)
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