M it einem Protestcamp hatten Demonstranten in Istanbul seit Anfang der Woche versucht zu verhindern, dass Bäume und Grünflächen im Gezi-Park für den Bau eines Einkaufszentrums zerstört werden. Umweltschützer kritisieren, dass in Istanbul immer mehr Grünflächen für Neubauten geopfert werden.
Ministerpräsident Tayyip Erdoğan hatte erklärt, die Pläne für den Bau im Gezi-Park würden ungeachtet der Demonstrationen durchgesetzt.
Unterdessen ordnete ein Gericht in Istanbul am Freitag lokalen Medienberichten zufolge an, die Pläne müssten zunächst auf Eis gelegt werden.
Mit der gewaltsamen Räumung des Protestcamps in dem Istanbuler Park hat die Regierung von Ministerpräsident Erdoğan eine Protestwelle ausgelöst. Zehntausende wütende Bürger demonstrieren seit Freitag in der türkischen Metropole rund um den zentralen Taksim-Platz.
In der Nacht von Freitag auf Samstag kehrte nur vorübergehend Ruhe ein. Heute fanden die Proteste in Istanbul gegen die Regierung ihre Fortsetzung.
Demonstranten seien in der Früh von der asiatischen Seite der Stadt aus in einem Fussmarsch über die Bosporusbrücke in Richtung des Taksim-Platzes unterwegs gewesen, berichteten türkische Medien. Auf den Strassen rund um den Platz habe die Polizei erneut Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt.
Die Einsatzkräfte gingen hart gegen Demonstranten vor, die in der Istiqlal-Einkaufsstrasse eine Barrikade errichtet hatten. Zusammenstöße mit der Polizei wurden auch aus dem Stadtviertel Besiktas gemeldet.
Die Polizei setzte am Freitag so viel Tränengas ein, dass dies auch in angrenzenden Stadtteilen zu spüren war. Einige der vorwiegend jungen Demonstranten zündeten auf einer Hauptstrasse zum Taksim-Platz Einfassungen und Container der beteiligten Baufirmen an.
Die Protestierenden riefen: „Die Regierung soll zurücktreten!“
In der Nacht gab die Polizei die Zahl der Festgenommenen mit 63 an. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sprach von mehr als 100 Verletzten. Von diesen wurden nach offiziellen Angaben zwölf im Krankenhaus behandelt, darunter eine Frau mit einem Schädelbruch.
Nach der gewaltsamen Räumung des Protestcamps in dem Park hatten am Nachmittag in mehreren Städten der Türkei tausende Menschen gegen Polizeigewalt und gegen Ministerpräsident Erdoğan protestiert.
In Oppositionskreisen hatte sich zuletzt viel Wut über die Politik der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP angestaut, die aus Sicht ihrer Gegner immer weniger Rücksicht auf die Interessen Andersdenkender nimmt.
Auch in der Hauptstadt Ankara kam es zu Zusammenstößen. Eigentlich wollten junge Leute gegen Beschränkungen beim Alkoholverkauf protestieren. Aus Solidarität mit den Demonstranten in Istanbul zogen sie jedoch in Richtung der Partei-Zentrale der AKP.
„Überall gibt es Widerstand, überall ist Taksim“, skandierten sie.
Menschenrechtsorganisationen kritisierten, bei der Räumung des Camps sei unverhältnismäßige Gewalt gegen friedliche Demonstranten eingesetzt worden. Viele Demonstranten zeigten sich wütend.
„Ich bin Anwalt. Hier sieht man, wie der islamische Faschismus von Erdoğan funktioniert“, sagte ein aufgebrachter Demonstrant in der Nacht.