D ie Linkspartei setzt in der niedersächsischen Landtagswahl vom kommenden Sonntag auf ein Bündnis mit der SPD und den Grünen. Die Wahl im nördlichen Bundesland dient ihr dabei als Probelauf für die Bundestagswahl vom kommenden September.
Das machten der Parteivorsitzende Bernd Riexinger und die stellvertretende Partei- und Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht am 9. Januar auf einer Pressekonferenz in Hannover deutlich.
Riexinger bezeichnete die Niedersachsenwahl als Richtungswahl für Deutschland und Schlüsselwahl für die Linke. Wagenknecht unterstrich ihre Bereitschaft, sich aktiv an Verhandlungen über eine Regierungsbildung zu beteiligen.
„Das Angebot steht: wir sind zu Gesprächen bereit“, sagte sie an die Adresse der SPD und der Grünen gewandt. Sollte in Niedersachsen eine Regierung von SPD, Grünen und Linkspartei gelingen, könne das auch für die Bundesebene Anlass sein, vorhandene Blockadehaltungen zu überdenken, fügte sie hinzu.
Mittlerweile haben mehrere Zeitungen über ein internes Reformpapier der beiden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger berichtet, das sich mit der „Machtperspektive für ein Linksbündnis im Bund“ befasst. Es tritt „für eine handfeste Zusammenarbeit“ mit SPD und Grünen ein und stellt „für eine Koalition auf Bundesebene keine Bedingungen mehr“, schreibt die Osnabrücker Zeitung, der das Papier vorliegt.
Bisher hatten die beiden Parteivorsitzenden eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen offiziell noch an vier Voraussetzungen geknüpft: Keine Militäreinsätze im Ausland, Verbot von Rüstungsexporten, 1.000 Euro Mindesteinkommen für alle und stärkere Besteuerung von Reichtum.
Nun haben sie diese Voraussetzungen fallen lassen und behaupten, SPD und Grüne hätten die Standpunkte der Linken zum Teil übernommen, seit sie im Bund in der Opposition sind.
„Ihre Andeutungen zu sozialer Grundsicherung, Mindestlohn, Rente und Schutz vor Altersarmut oder zur Bankenregulierung weisen in die Richtung, die auch die Linke vertritt“, heißt es in dem internen Papier.
Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. SPD und Grüne sind in allen wesentlichen politischen Fragen nach rechts gerückt.
Im Bundestag haben sie die Regierung Merkel sowohl in der Europapolitik als auch bei den Bundeswehreinsätzen in Afghanistan, dem Nahen Osten und Afrika unterstützt. Sie tragen damit direkte Verantwortung für die brutalen Sparmaßnahmen, die große Teile der griechischen, portugiesischen und spanischen Bevölkerung in Not und Elend gestürzt haben, und für den Tod zehntausender unschuldiger Opfer in Afghanistan, Libyen und Syrien.
Vor allem den Grünen gehen die derzeitigen Einsätze der Bundeswehr nicht weit genug. So drängt der grüne Spitzenkandidat Jürgen Trittin auf eine stärkere deutsche Beteiligung an der jüngsten imperialistischen Intervention gegen Mali und auf ein massiveres militärisches Eingreifen in Syrien.
Diese Politik will die Linkspartei in Zukunft unterstützen. Darin besteht die Bedeutung der „handfesten Zusammenarbeit ohne Bedingungen“, für die die Parteiführung eintritt. Bei den “Andeutungen” zur sozialen Grundsicherung und anderen sozialen Fragen, die sie als Annäherung von SPD und Grünen an die Linkspartei interpretiert, handelt es sich dagegen um leicht durchschaubare Wahlkampfversprechen, die spätestens am Tag nach der Wahl unter Hinweis auf die Haushaltslage wieder fallen gelassen werden.
Die Politik von SPD und Grünen ist nicht sozialer geworden, seit sie im Bund in der Opposition sind. Was sich dagegen verändert hat, ist die Haltung der Linkspartei. Sie ist nun bereit, diese rechte Politik ohne Vorbedingungen zu unterstützen.
Grund dafür ist die Zuspitzung der sozialen Krise, die heftige Klassenkämpfe auf die Tagesordnung setzt und es den diskreditierten etablierten Parteien zunehmend schwer macht, die politische Kontrolle zu behalten. Alle Wirtschaftsdaten deuten darauf hin, dass sich diese Krise bis zur Bundestagswahl noch erheblich verschärfen wird.
Auch politisch droht wachsende Instabilität. Die etablierten Parteien verlieren zunehmend an Glaubwürdigkeit. Die Wahlumfragen sagen weder für Niedersachsen noch für den Bund ein klares Wahlergebnis voraus.
Die CDU von Bundeskanzlerin Angela Merkel liegt zwar deutlich vorn, doch ihr droht der Koalitionspartner FDP abhanden zu kommen. SPD und Grüne ihrerseits bringen wegen der Schwäche der SPD keine eigene Mehrheit zustande.
Unter diesen Umständen erklärt die Linkspartei ihre Bereitschaft, SPD und Grünen eine Mehrheit zu verschaffen und ihre arbeiterfeindliche Politik zu unterstützen. Sie bemüht sich auf diese Weise, die kapitalistische Herrschaft zu stabilisieren und soziale Kämpfe zu unterdrücken.
Es ist bezeichnend, dass sie in Niedersachsen Alexis Tsipras, den Vorsitzenden ihrer griechischen Schwesterpartei SYRIZA, als Wahlhelfer einsetzt, der in Griechenland eine ähnliche Rolle spielt.
Die Führung dieser Hinwendung zu SPD und Grünen hat Sahra Wagenknecht übernommen, die als Aushängeschild des angeblich linken Parteiflügels gilt. Sie spielt in den letzten zehn Tagen des niedersächsischen Wahlkampfs die dominierende Rolle.
Ihr Bild prangt auf den Großplakaten der Linkspartei, obwohl sie selbst gar nicht für den Landtag kandidiert. Sollte es nach der Wahl zu Verhandlungen über eine Regierungsbeteiligung der Linken kommen, will sie sich auch daran maßgeblich beteiligen.
Der Parteiflügel um Wagenknecht und ihren Mentor Oskar Lafontaine, dem sie inzwischen auch privat verbunden ist, galt lange Zeit als Gegner einer zu engen Zusammenarbeit mit SPD und Grünen. Er wurde deshalb von den ostdeutschen Landesverbänden, die auf kommunaler und Landesebene tief in die Regierungsarbeit verstrickt sind, heftig angefeindet.
Tatsächlich ging es Lafontaine nur darum, das linke Image der Partei – und damit ihre Fähigkeit, soziale Konflikte zu kontrollieren – nicht zu früh zu verspielen. An seiner Loyalität gegenüber dem bürgerlichen Staat und seiner Ablehnung des Klassenkampfs gab es dagegen nie den geringsten Zweifel. Als Ministerpräsident des Saarlands hatte er einst in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften die Stahl- und Bergbauindustrie, von der die ganze Region lebte, reibungslos abgewickelt.
Wagenknecht vertritt inzwischen politische und theoretische Auffassungen, die auch in ganz rechten Kreisen Unterstützung finden. Hatte sie in den 1990er Jahren als Sprecherin der stalinistischen “Kommunistischen Plattform in der PDS” noch marxistische Phrasen im Munde geführt, hat sie sich inzwischen auch verbal von Marxismus und Kommunismus losgesagt und den CDU-Politiker Ludwig Erhard zu ihrem Vorbild erkoren.
Erhard hatte als Wirtschaftsminister (1949-1963) und Bundeskanzler (1963-1966) dem durch die Nazi-Diktatur diskreditierten deutschen Kapitalismus wieder auf die Beine geholfen.
Gemeinsam mit Konrad Adenauer hatte er dafür gesorgt, dass Zehntausende alte Nazis in Verwaltung, Justiz, Wirtschaft und Lehre auf ihren Posten blieben, Kriegsverbrecher wie Flick, Krupp und Thyssen ihre Vermögen behielten und Bankenvertreter wie Robert Pferdemenges und Hermann Josef Abs in Wirtschaft und Politik die Fäden zogen.
Auch das Verbot der Kommunistischen Partei und die Verfolgung unzähliger Kommunisten, die Widerstand gegen das Nazi-Regime geleistet hatten, fällt in die Verantwortung Adenauers und Erhards.
Wagenknecht schildert diese reaktionäre Periode als eine Art Vorhof des Sozialismus. Die sozialen Zugeständnisse, die die herrschende Klasse damals den Arbeitern unter dem Druck wochenlanger Streiks machen musste, stellt sie als Wohltat aufgeklärter Ökonomen und Politiker dar.
Sie nimmt Erhards demagogisches Versprechen „Wohlstand für Alle“ für bare Münze und behauptet, die heutige soziale Krise sei eine Folge des „gebrochenen Versprechens Ludwig Erhards“.
In ihrem im Mai 2011 erschienen Buch Freiheit statt Kapitalismus bekennt sie sich ausdrücklich zu Erhards ordoliberalen Auffassungen, die das kapitalistische Privateigentum und den freien Markt verteidigen und mit einem staatlichen Ordnungsrahmen verbinden.
Sozialismus beruht demnach nicht auf der Verstaatlichung der Produktionsmittel und der demokratischen Planung der Produktion im Interesse der Bedürfnisse der ganzen Gesellschaft.
Stattdessen gelangt man zum Sozialismus, indem „man die originären marktwirtschaftlichen Ideen zu Ende denkt“. Es ist ein Sozialismus, der, so Wagenknecht, „nicht Zentralismus, sondern Leistung und Wettbewerb hochhält“ und „von kleineren und mittleren Unternehmen dominiert wird“.
Die Beschwörung Erhards und die Verherrlichung von Leistung und Wettbewerb sind ein Appell an rechte Schichten der Mittelklasse, die von den großen Banken und Monopolen bedrängt werden und sich in der CDU und der FDP zunehmend unwohl fühlen.
Hier bietet sich Wagenknecht als jemand an, der die Verteidigung von Marktwirtschaft und kapitalistischem Eigentum mit verbalen Angriffen auf “Zockerbanken” und Millionäre verbinden kann. Die politischen Konzepte, die sie dabei entwickelt, haben einen nationalistischen Unterton, der auch am rechten Rand des politischen Spektrums Anklang findet.
Seit der Veröffentlichung von Freiheit statt Kapitalismus schlägt Wagenknecht deshalb unverhohlene Sympathie aus den Medien entgegen. Sie ist häufiger Gast in den großen Fernsehtalkshows, und fast alle führenden Tageszeitungen haben lange und wohlwollende Interviews mit ihr veröffentlicht.
Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, dass die Linkspartei nun eine „Machtperspektive“ für den Bund entwickelt und nach Ministerämtern strebt.
Sie wird dabei ebenso rücksichtslos gegen Arbeiter, Arbeitslose und sozial Benachteiligte vorgehen, wie dies die SPD, die Grünen und die Regierung Merkel in den vergangenen Jahren getan haben.
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