A m vergangenen Samstag folgten mehrere tausend Menschen in 40 deutschen Städten einem Aufruf der Wohlfahrtsverbände, der Gewerkschaften sowie der drei Oppositionsparteien SPD, Grüne und Linkspartei und demonstrierten unter dem Motto Umfairteilen für die Einführung einer Vermögenssteuer in Deutschland.
Das Spektakel war ein unverhohlener Versuch, von der Verantwortung der Organisatoren für die wachsende soziale Ungleichheit abzulenken und den Wahlkampf für die Bundestagswahlen 2013 vorzubereiten. Die SPD hatte erst am Vortag den rechten Finanzpolitiker Peer Steinbrück zu ihrem Kanzlerkandidaten benannt.
Die Linkspartei und die Grünen hatten sich daraufhin positiv zu einer gemeinsamen Regierungskoalition geäußert.
Um dieses Unternehmen zu stützen und ihm einen sozialen Anstrich zu verleihen, wurden die Demonstrationen organisiert. Obwohl mehr als 20 Gewerkschaften und mehr als 300 weitere Organisationen zu den Protesten aufgerufen und die Werbetrommel gerührt hatten, blieb die Teilnahme mit gut 20.000 Menschen deutlich hinter den Erwartungen der Veranstalter zurück.
Bei den Teilnehmern handelte es sich vorwiegend um Funktionäre und Mitglieder der aufrufenden Organisationen.
In Berlin zogen etwa 3.000 Menschen vom Postdamer Platz zum Neptunbrunnen. Ohne die Wohlfahrtsverbände, die an der Spitze marschierten und einige Mitarbeiter mobilisiert hatten, wären es noch deutlich weniger gewesen.
Nach einem Block der Gewerkschaften und den Blöcken der drei Parteien folgten noch verschiedene pseudolinke Gruppen wie die Sozialistische Alternative (SAV), die sich in der Vorbereitung besonders ins Zeug gelegt hatten, sowie der Block einiger Autonomer.
In Hamburg sprach neben Gewerkschaftsvertretern auch der Vorsitzende der griechischen Koalition der Alternativen Linken (SYRIZA), Aleksis Tsipras, zu den etwa 3.500 Demonstranten. Er wandte sich gegen die Kürzungen, die die Europäische Union Griechenland diktiert.
Obwohl Tsipras versicherte, dass seine Partei nicht gegen die EU-Institutionen kämpfen, sondern diese schützen wolle, war seine milde Kritik am Sparprogramm der Troika der SPD und den Grünen bereits zu viel. Ihre Anhänger verließen die Kundgebung, während Tsipras sprach.
In Frankfurt gab der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, die Marschroute vor, als er sich in seiner Rede explizit an SPD, Grüne sowie Linkspartei wandte und ihnen vorschlug: „Machen wir die Verteilungsfrage zur zentralen Frage des nächsten Bundestagswahlkampfs.“
Die wenigen Mitarbeiter sozialer Einrichtungen oder einfachen Arbeiter, die außer den Funktionären an den Kundgebungen teilnahmen, waren von der dargebotenen Heuchelei mehr als angewidert. „Die Umverteilung haben doch vor allem die Gewerkschaften organisiert“, sagte Thomas aus Bochum der World Socialist Website.
Auch die zweifache Mutter Elke (51) hat kein Vertrauen in die Gewerkschaften oder die etablierten Parteien. Auf der Demonstration in Bochum sagte sie: „Es müsste parteiunabhängig sein, aus der Bevölkerung kommen: ein demokratisch legitimierter Rat, unterstützt von Wissenschaftlern, die die Wirtschaft und Gesellschaft regeln.“
Nachdem sie das gesagt hatte, erklärt vorne auf der Kundgebungsbühne der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Ulrich Schneider wortgewaltig: „Wir stehen hier und werden auch bis nächstes Jahr auf der Straße stehen, um Antworten zu verlangen. Und wir verlangen die richtigen Antworten.“
Elke ist verwundert: „Meint er die Bundestagswahl im nächsten Jahr? Was ist dann? Glaubt er etwa, dass dann alles wieder gut wird?“ Sie ist sich sicher: „Die Bundestagswahl wird nichts ändern.“
Auf der Demo in Frankfurt/Main sagte Mehmet, ein älterer Arbeiter bei der Deutschen Bahn der WSWS: „Die Krise haben die Reichen angerichtet und die Schulden zahlen wir – die Bevölkerung. Ich denke Kapitalismus heißt Krise, Krieg und soziale Ungerechtigkeit. Wir müssen kämpfen für eine andere Welt und ein anderes System, denn im Kapitalismus leben nur die Reichen gut. Arme Menschen sinken immer tiefer.“
Dass nur sehr wenige einfache Arbeiter wie Mehmet auf den Demonstrationen anzutreffen waren, verdeutlicht deren Charakter als Ablenkungsmanöver.
Eben die Organisationen, die die wachsende soziale Ungleichheit herbeiführen, riefen hier zum Protest, um ihre eigene Rolle zu kaschieren. Ernsthafte Arbeiter waren davon wenig angezogen.
Die SPD und die Grünen hatten in ihrer Regierungszeit unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) von 1998 bis 2005 mehr umverteilt als jede andere Regierung vor oder nach ihnen – und zwar von unten nach oben. Sie kürzten den Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent, senkten die Unternehmenssteuern und schufen einen riesigen Niedriglohnsektor.
Sie sind für Hartz 4 und die gesamte Agenda-2010-Gesetzgebung verantwortlich. Bis heute treten sie für soziale Kürzungen im Interesse der Banken ein und setzen diese dort, wo sie in Regierungsverantwortung sind, auch durch.
Der Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück, steht am äußersten rechten Flügel der Partei. 2008 war er als Finanzminister unter Angela Merkel für die Milliardengeschenke an die Banken verantwortlich, die nun mittels der von SPD und Grünen unterstützten Schuldenbremse bei den Sozial- und Bildungsausgaben eingespart werden.
Auch die Linkspartei hat etwa in ihrer Berliner Regierungszeit von 2001 bis 2011 brutale soziale Kürzungen gegen die Bevölkerung verantwortet. Dabei hat sie etliche konservative Landesregierungen weit in den Schatten gestellt.
Die Gewerkschaften sind dabei ihre Bündnispartner. Sie haben nicht nur flächendeckend Leiharbeit durchgesetzt, sondern auch die Tariflöhne gedrückt und Werkverträge gefördert. In jedem Lohnkampf stehen sie auf der Seite der Unternehmen und vereinbaren weitere Kürzungen.
Angesichts dieser Bilanz ist die Umfairteilen-Kampagne ein offenkundiges Täuschungsmanöver. Ausschließlich pseudolinke Gruppen waren bemüht, die Demonstrationen als soziale Proteste darzustellen. In ihren Flyern gingen sie weder auf die rot-grüne Kürzungspolitik, noch auf die Rolle der Linkspartei oder der Gewerkschaften ein. Stattdessen verteidigten sie die Veranstalter und schürten die Illusion, diese Organisationen könnten durch “Druck von unten” zu einer linken Politik überredet werden.
Die SAV erwähnte die Sozialkürzungen von SPD, Grünen, Linkspartei und Gewerkschaft mit keiner Silbe und feierte die Demonstration als wichtigen Auftakt für einen “EGB-Aktionstag”, also eine Demonstration aller europäischen Gewerkschaften.
Die Linkspartei rief sie auf, sich gegenüber SPD und Grünen stärker in den Vordergrund zu drängen, und läutete damit auch für diese den Wahlkampf 2013 ein.