W as an der sog. Linkspartei regelmäßig wieder für Verwunderung sorgt, ist die völlige Betriebsblindheit und das Maß an Realitätsflucht vor dem gesellschaftlichen Diskurs.
Man hätte erwarten können, dass spätestens seit den desaströsen Ergebnissen bei den jüngsten Landtagswahlen eine substanzielle kritische Selbstreflektion einsetzen würde, mit dem Ziel einen sozialistischen Neustart, neudeutsch Relaunch, der Partei einzuleiten.
Stattdessen wurde der Basis und der interessierten Öffentlichkeit nur eine plakative Ablenkungsdebatte, eine hochgepuschte Personalshow geliefert, mit dem Ergebnis:
Ernst heisst jetzt Riexinger und Lötzsch heisst jetzt Kipping. Die eigentlichen Probleme der Partei, deren Symptom die Personaldebatte nur ist, wurden nicht gelöst, ja nicht einmal thematisiert.
Klaus Ernst, Gewerkschaftsfunktionär aus dem “Lafontaine-Lager” wurde ersetzt durch Bernd Riexinger, ebenfalls Gewerkschaftsfunktionär aus dem “Lafontaine-Lager”, ersterer aus Bayern, Riexinger aus Baden-Württemberg.
Gesine Lötzsch, die etwas naive und ungeschickte “Ost-Mutti” wurde ersetzt durch die etwas naive und ungeschickte “Ost-Mutti” Katja Kipping.
Nichts Neues weder im Westen, noch im Osten.
Gregor Gysi war der Einzige, der in seiner bemerkenswerten, ungewöhnlichen Parteitags-Rede wenigstens versuchte die Probleme der Partei anzusprechen, wurde aber umgehend durch Oskar Lafontaine zurückgepfiffen.
Gysi sprach davon, dass sich Teile der Partei ggf. trennen müssten – erläuterte allerdings nicht, welche Teile der Partei diese verlassen sollten, welche Richtung ein solcher Klärungsprozess nehmen solle.
Die Frage blieb also offen, wem nach dem Zerfall der Partei das Karl-Liebknecht-Haus der KPD und andere Vermögenswerte in die Hände fallen sollen.
Oskar Lafontaine appellierte an die Delegierten und die gesamte Partei, nicht von „Spaltung“ zu sprechen. Damit bewirkte er allerdings auch ein Abwürgen der virulenten Problem-Debatte.
Das neue Rezept ist auch wieder das alte: Vermeintliche Erfolge und die gesellschaftliche Notwendigkeit der Linkspartei hervorheben, das Parteiprogramm nicht in Frage stellen und alle (Strömungen) sollen an einem Strang ziehen.
Damit wird das zentrale Problem erneut vor sich hergeschoben: Sozialisten einerseits und Sozialdemokraten und Zionisten anderseits können nicht in ein und derselben Partei vereint werden.
Die Unterordnung der sog. Linkspartei in Programmatik und politischer Praxis unter die imperiale Hegemonie wurde in der Debatte durch die Delegierten nicht thematisiert. Stattdessen ging man allgemein einmal mehr davon aus, dass “DIE LINKE” bereits die Antwort auf die Herausforderungen der Zeit sei – und es lediglich der besseren Vermittlung dieser verheissenden Botschaft bedürfe.
Die Debatte bzw. einzelnen Redebeiträge auf dem Parteitag waren ohne jeglichen Bezug zur gesellschaftlichen Rezeption der Partei und zum breiten Diskurs über die eigene Sozialisation hinaus. Der Eindruck verfestigte sich, dass die Mitglieder der sog. Linkspartei in einem eigenen, von der Gesellschaft abgeschotteten kulturellen Wahrnehmungsraum leben.
Die Rote Fahne und der von dort ausgehende Diskurs mit Breitenwirkung, siehe die jüngsten Landtagswahlen, wurde mit keinem Wort erwähnt. Sozialistische Intellektuelle und Aktivisten von ausserhalb der Partei wurden nicht eingeladen oder kamen nicht zu Wort.
Man schmorte also einmal mehr im eigenen Saft. Mit der Folge, keine Korrektive der eigenen, egozentrischen Perspektive zur Kenntnis zu nehmen.
Eigentlich ist über die SED/PDS/Linke bereits in der Vergangenheit wiederholt alles gesagt worden. Neue Aspekte hat auch dieser Parteitag vom Wochenende in Göttingen nicht hervorgebracht.
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