D er Deutsche Ärztetag 2012 in Nürnberg greift den Appell von 42 Ärzten und Medizinhistorikern auf und bekennt sich in seiner „Nürnberger Erklärung 2012“ zur wesentlichen Mitverantwortung von Ärzten an den Unrechtstaten der NS-Medizin (NS = Regime des Nationalsozialismus in Deutschland 1933 bis 1945).
Der Ärztetag gedenkt nicht nur den noch lebenden und bereits verstorbenen Opfern sowie ihren Nachkommen, sondern bittet diese auch um Verzeihung und verpflichtet sich, die historische Forschung und Aufarbeitung der NS-Medizin aktiv zu fördern.
„Damit ist 65 Jahre nach dem Nürnberger Ärzteprozess ein historischer Schritt erfolgt, der gerade für die Opfer wichtig und lange überfällig ist.
Auf dieser Grundlage kann sich die Bundesärztekammer jetzt einen würdigen Rahmen überlegen, diese Erklärung gegenüber noch lebenden Opfern konkret auszusprechen“, erklärt IPPNW-Mitglied Stephan Kolb aus Nürnberg, einer der Initiatoren des Appells.
„Im Gegensatz zu noch immer weit verbreiteten Annahmen ging die Initiative gerade für die gravierendsten Menschenrechtsverletzungen nicht von politischen Instanzen, sondern von den Ärzten selbst aus“, heisst es in dem Appell.
Dazu gehörten die Zwangssterilisation von über 360.000 als „erbkrank“ klassifizierten Menschen, die Tötung von weit über 200.000 psychisch kranken und behinderten Menschen sowie die erzwungene, in zahlreichen Fällen tödliche medizinische Forschung an vielen tausend Versuchspersonen.
Ärzte seien auch wesentlich beteiligt gewesen an der Entlassung und Vertreibung „jüdischer“ und „politisch unzuverlässiger“ Ärztinnen und Ärzte und an der Ausbeutung von Zwangsarbeitern in medizinischen Institutionen bis hin zu Universitätskliniken und konfessionellen Krankenhäusern.
Auch nach 1945 seien stigmatisierende und entwertende Begriffe und Handlungsweisen gegenüber kranken und behinderten Menschen in erheblichem Umfang weiter angewendet worden.
Die Erstunterzeichner beklagen zudem, dass eine systematische Reflexion der Voraussetzungen für solche Denk- und Handlungsweisen jahrzehntelang nicht stattgefunden habe. Die Thematisierung der Medizin im Nationalsozialismus sei in den Nachkriegsjahrzehnten vielmehr als bedrohlich für die Reputation des Ärztestandes gesehen worden.
Appelle an die verfasste Ärzteschaft zur finanziellen Unterstützung zentraler historischer Forschungs- und Publikationsprojekte seien noch in den 1990er Jahren abgelehnt worden.
Die Beispiele für Verdrängung und Beschönigung der NS-Vergangenheit von Ärztefunktionären reichten bis in die Gegenwart.
→ Appell und Unterzeichner (PDF)