D er Alltag im Umgang der Leistungsträger mit Hartz IV-Beziehern ist geprägt von Ungerechtigkeiten, rechtswidrigen Bescheiden oder Versagen von zustehenden Leistungen. Der kleine Ratgeber der Bochumer Arbeitsgemeinschaft prekäre Lebenslagen zeigt Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung von Ansprüchen.
Im Zweifel immer Hilfe suchen: Egal ob bei einem Rechtsanwalt, einer unabhängigen Beratungsstelle oder in Hartz IV-Foren.
SGB I – Allgemeiner Teil des SGB § 13, 14, 15: Aufklärung, Beratung, Auskunft, § 16, 17: Hilfe bei Antragstellung, zügige Leistungsgewährung
Nach § 13 u. 14 SGB I sind alle Sozialleistungsträger verpflichtet, alle Leistungsberechtigten z.B. von Hartz IV, Grundsicherung oder Sozialhilfe über Rechte und Pflichten nach dem SGB aufzuklären und zu beraten. Und zwar „aktiv“ – nicht erst auf Anfrage („Spontanberatung“).
Die Betreuungspflichten nach den § 16 Abs. 3 u. 17 Abs. 1 SGB I (Hilfe bei der Antragstellung und zügige Leistungszuteilung) sollen eine möglichst weitgehende Rechtsverwirklichung gewährleisten. Bei Vermutung bestimmter Umstände muss die Behörde von Amts wegen den Sachverhalt ermitteln (§ 20 SGB X) und darf in solchen Fällen nicht warten, bis Anträge gestellt sind.
Es ist zu beachten, dass Antragstellende mit dem Hauptantrag alle möglicherweise zustehenden Ansprüche geltend machen wollen.
Ist die Beratung unzureichend, so kann dadurch später ein „sozialrechtlicher Herstellungsanspruch“ entstehen: die Leistungsberechtigten sind so zu stellen, als wären sie hinreichend beraten worden und hätten den daraus resultierenden Antrag gestellt.
Das steht in keinem Gesetz, sondern ist Rechtsprechung des BSG (vom 05. August 1999).
Es gilt auch das Meistbegünstigungsprinzip (Meistbegünstigungsklausel); durch Übernahme dieses Prinzips aus dem Zivilrecht für das Sozialrecht (durch Rechtsprechung) ist zu beachten, dass Antragstellende mit einem Antrag alle möglicherweise zustehenden Ansprüche geltend machen wollen:
Bei einer umfassenden und verständigen Würdigung der Interessen Hilfesuchender über den Wortlaut eines Antrages hinaus sollen Anträge zusätzlich als Antrag auf weitere Leistungen interpretiert werden.
§ 16: Antrag bei der falschen Stelle – macht nichts! Gilt als abgegeben – muss weitergeleitet werden!
§ 38, 40, 41: Rechtsanspruch, sofortiges Entstehen des Anspruchs und sofortige Fälligkeit
§ 42, 43: Vorschüsse / vorläufige Leistung wenn die genaue Höhe noch nicht feststeht (mit § 40 II SGB II)
§ 60 ff:Mitwirkungspflichten der Hilfesuchenden (Leistungsversagung nur bzgl. fehlender Nachweise)
Anmerkung der Rote Fahne Redaktion:
Es sind nicht wenige Fälle bekannt, wonach Behörden die sog. “Mitwirkungspflicht” dazu missbrauchen, rechtlich zustehende Leistungen in rechtswidriger Weise zu versagen.
Das wird dadurch erreicht, dass Antragstellern die Beibringung von Dokumenten befohlen wird, die diese gar nicht vorlegen können, weil es sich um Dokumente Dritter handelt. Das kann bspw. der Hauptmietvertrag eines Vermieters sein, bei dem Antragsteller zur Untermiete wohnen.
Verweigern die Hauptmieter in einem solchen Fall die Herausgabe ihrer Dokumente, – wozu sie aus datenrechtlichen Gründen auch gar nicht verpflichtet sind, denn sie stehen ja als eigenständige juristische Personen mit den Hartz IV-Behörden in keinerlei Verbindung – so wird dies als Verletzung der “Mitwirkungspflicht” zur Ablehnung des Leistungsantrags missbraucht.
Dagegen können die Opfer dieser Willkür zwar theoretisch gerichtlich vorgehen, die Hartz IV-Behörden zögern auf diese Weise jedoch die Gewährung und Auszahlung von Leistungen mindestens über Monate, wenn nicht über ein Jahr hinaus. Kommt es dann zur Gerichtsverhandlung, wird bspw. argumentiert, dass die Antragsteller ja noch leben und daher gar kein Leistungsanspruch bestünde.
Zusammen mit ähnlichen Schikanen erreichen die Hartz IV-Behörden dadurch in den meisten Fällen, dass Antragsteller keine Leistungen erhalten und mitunter in die Überlebenskriminalität oder den Tod getrieben werden.
Damit haben sich für das Regime dann die Probleme final erledigt und die Statistik wurde auch noch geschönt.
2. SGB IV: Gemeinsame Vorschriften – hat v.a. Bedeutung für die Kranken- und Rentenversicherung
3. SGB X: Verfahrensrecht
§ 13 Beistände: Wir können zu Verhandlungen oder Besprechungen mit Beiständen erscheinen. Anzahl nicht begrenzt; Beistände können nur bei „Unfähigkeit zum sachlichen Vortrag“ zurückgewiesen werden, Familienangehörige auch dann nicht; sie brauchen ihre Personalien nicht anzugeben und müssen über keinerlei Qualifikation verfügen.
Von Beiständen Vorgetragenes gilt als von den Betroffenen selbst vorgebracht, sofern diese nicht unverzüglich widersprechen.
Mehr dazu: (1)
§ 20: die Behörde muss von sich aus alle Umstände ermitteln; Anträge dürfen niemals abgelehnt werden
§ 33 Verwaltungsakt: Bestimmtheitsgebot (unklare Aussagen und Behördenangaben sind unzulässig)
§ 34 Zusicherung: Schriftform nötig (mündliche Zusagen haben keinen Wert!)
§ 36 Rechtsbehelfsbelehrung: konkret vorgeschrieben (sonst sind Sanktionen usw. nichtig!)
§ 37 Verwaltungsakt: gilt am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als zugestellt – die Fristen beginnen
§ 44: Antrag auf Rücknahme eines rechtswidrig nicht begünstigenden Verwaltungsaktes sozusagen der „verspätete Widerspruch“: bis vier ganze Kalenderjahre rückwirkend (plus dem bereits vergangenen Teil des laufenden Jahres) können zu Unrecht nicht erbrachte Leistungen nachgefordert werden.
Im SGB II ist die Rückwirkung neuerdings auf ein ganzes Kalenderjahr begrenzt (plus das Angefangene).
SGG – Sozialgerichtsgesetz:
§ 84 Widerspruchsfrist: ein Monat;
§ 86 a/b Eilantrag (EA): Verfahren auf einstweilige Anordnung im einstweiligen Rechtsschutz (ER);
§ 87 Klagefrist: ein Monat;
§ 88 Untätigkeitsklage (nach Erinnerung): Frist sechs Monate für den Antragsbescheid und drei Monate für den Widerspruchsbescheid ausser wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. (Z.B. wenn die Miete nicht mehr bezahlt werden kann oder keine Mittel zur Ernährung zur Verfügung stehen.
§ 144 ff: Berufung an das Landessozialgericht (bei Ablehnung von Prozesskostenhilfe heisst das: Beschwerde)
§ 160 Revision an das BSG
4. Schweigepflichtentbindung: Im Einzelfall kann es sinnvoll oder sogar rechtlich notwendig sein, im Hinblick auf die Arbeitsfähigkeit Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Dabei geht es aber nur um den aktuellen Gesundheitszustand. Eine Verpflichtung des Arztes, aufgrund der Schweigepflichtentbindung der Bundesagentur für Arbeit umfangreiche Behandlungsunterlagen zur Auswertung zu überlassen, besteht nicht.
Die „Strukturprinzipien“ der Sozialhilfe (Rothkegel)
In der Sozialhilfe hatte sich ein „Nebenrecht“ durchgesetzt, das nicht durch materielles Recht abgedeckt war, sondern sich aus Praxis, Rechtsprechung und Kommentaren entwickelt hatte. Das Gemeinste davon lautete: „Gelebt ist gelebt“ – und wenn Du nicht verhungert bist, warst Du auch nicht bedürftig. Für die Vergangenheit wurde nicht geleistet, es galt das reine Gegenwartsprinzip.
Daraus entwickelte sich das, was in der Literatur „Sozialamtsbetrug“ genannt wurde: das Amt leistete widerrechtlich nicht, wurde aber später verurteilt (bzw. gab zuvor dem Antrag/Widerspruch statt), aber geleistet wurde trotzdem nicht, weil die fragliche Notlage längst vorüber war.
Durch die Pauschalisierung der Leistung in allen Grundsicherungsbereichen und gewisse (unterschiedliche) Vermögensfreigrenzen ist aber die Möglichkeit des Haushaltens und der Überbrückung gegeben.
Daher haben die Sozialgerichte zunächst für den Rechtskreis SGB II, dann auch für den Rechtskreis des gesamten SGB XII die Anwendbarkeit des § 44 SGB X bejaht – bis hin zum BSG. Das wird jetzt teilweise wieder zurückgenommen.
Dazu folgender Text:
Auszug aus einem Bericht zum Praktiker-Workshop „Aktuelle Probleme des SGB II“ des Dt. Sozialgerichtstages am 16. Januar 2008 in Hannover:
Der zweite Teil des Workshops behandelte die „Rolle von „Prinzipien“ in der Rechtsprechung der Sozialgerichte. Den Impuls hierzu gab Herr RiLSG Dr. Jens Blüggel, Essen. Dieser beschäftigte sich mit den folgenden zwei Fragestellungen:
1.) Haben die Sozialgerichte die von den Verwaltungsgerichten und der Literatur zum BSHG entwickelten Prinzipien
aufgenommen? Und:
2.) Sollten sie dies tun?
Dr. Blüggel benannte zunächst beispielhaft die zum BSHG entwickelten Prinzipen der Bedarfsdeckung, den Individualisierungsgrundsatz, den Grundsatz der Nichtgewährung von Leistungen für die Vergangenheit und den Gegenwärtigkeitsgrundsatz.
Sodann stellte er heraus, dass Prinzipien keine Gesetzesqualität besitzen und bloße Ordnungsmuster darstellen. Dennoch hätten die Verwaltungsgerichte die von ihnen entwickelten Prinzipien wie Rechtsnormen angewandt.
Im Weiteren vertrat Dr. Blüggel die These, dass es nicht Aufgabe der Gerichte sei, eigenständig Prinzipien zu entwickeln. Diese sollten die geltenden Gesetze vielmehr mittels der anerkannten Methoden der Auslegung interpretieren. Die Suche nach Prinzipien helfe bei der Gesetzesanwendung nicht weiter.
Es bestünde insbesondere die Gefahr, dass die Richter an Stelle des Gesetzgebers eigene Wertevorstellungen in die Rechtsanwendung einfliessen liessen. Letztlich sei es schwierig, aus abstrakten Prinzipien konkrete Vorgaben abzuleiten.
Die Herleitung und Anwendung von Prinzipien könne daher in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung vernachlässigt werden. In der Diskussion wurden zum einen die Schwierigkeiten einer Übertragung der zum BSHG entwickelten Prinzipien auf das SGB II bzw. SGB XII, welche wohl durch die den Neuregelungen zu Grunde liegende andere Systematik bedingt sind, betont.
Vertreten wurde ferner die Ansicht, dass im deutschen Rechtssystem Prinzipien durch die Grundrechte vorgegeben seien und daher eine grundrechtliche Verankerung der in der Rechtsprechung zu beachtenden Prinzipien gefordert werden müsse.