D ie US-Geheimdienste haben erstmals konkret dargelegt, was sie von einer Rückkehr von Wladimir Putin in den Kreml erwarten, berichtet die Tageszeitung Kommersant in ihrer heutigen Ausgabe. US-Geheimdienstchef James Cappler und CIA-Chef David Petraeus stellten dem Senat einen Bericht über Bedrohungen für die Sicherheit der USA vor, in dem Russland ein bedeutender Teil gewidmet ist.
Nach Ansicht der US-Geheimdienste sind von Putin „keine Reformen und keine Liberalisierung“ zu erwarten. In der Aussenpolitik werde es zwar nicht zu einem „sofortigen Rollback“ kommen, für die USA werde es aber „komplizierter“, die Beziehungen mit Moskau zu entwickeln.
Experten sehen im Bericht „eine Bestätigung für die Verhärtung der Linie des Kongresses gegenüber Russland“.
Die wichtigste Schlussfolgerung besteht darin, dass Amerika kein einheitlicher Gegner mehr bedroht, wie dies in den Zeiten des Kalten Krieges der Fall gewesen war.
Nun sind die USA mit multiplen Bedrohungen konfrontiert, zu denen General Clapper Terrorismus, eine Erweiterung des Al-Qaida-Netzes, die unkontrollierte Verbreitung von Nukleartechnologien, die Atomprogramme des Iran und Nordkoreas sowie die wachsende Gefahr eines Cyberkriegs zählt, schreibt Kommersant.
Im Oktober 2011 ist der Nationale Abwehrdienst der USA zu dem Schluss gekommen, dass bei einer überwältigenden Mehrheit der Cyberattacken auf die amerikanischen Computernetze die Spuren nach Russland und China führen.
„Geheimdienste und offizielle Strukturen dieser Länder schliessen sich zunehmend dem Computerkrieg an“, stellt Clapper fest. Ausserdem „betreiben Russland und China eine aggressive und erfolgreiche Wirtschaftsspionage gegen die USA“.
Das Hauptaugenmerk im “Russland-Kapitel” des Berichts gilt dem prognostizierten Kreml-Comeback von Wladimir Putin.
„In der Innenpolitik wird Putin höchstwahrscheinlich das bestehende politisch-ökonomische System bewahren und trotz wachsender Probleme, die eine ernsthafte Prüfung für das System der ‘gelenkten Demokratie’ und des von der chronischen Korruption befallenen Kapitalismus darstellen, keine Reform wie auch keine Liberalisierung initiieren“, teilte General Clapper den Senatoren mit.
„Höchstwahrscheinlich wird sich Putin auf die Wiederherstellung der Geschlossenheit der Eliten, den Schutz der angehäuften Reichtümer und die Gewährung neuer Möglichkeiten für die Bereicherung der Eliten konzentrieren… Zugleich wird er bemüht sein, ein Lebensniveau zu gewährleisten, das die Massen beruhigen kann.
Die wachsenden Forderungen nach Veränderungen lassen sich dabei angesichts des bescheidenen Wachstumstempos in Russland immer schwieriger kontrollieren.
Was die Aussenpolitik anbelangt, so wird Putins Comeback kaum zu einem unverzüglichen, ernsthaften Rollback in den Beziehungen Russlands zu den USA führen. Aber eventuell könnte es immer komplizierter werden, die bilateralen Beziehungen zu entwickeln“, führte Clapper aus.
Obwohl Putin die positiven Ergebnisse des “Neustarts” anerkenne, könne sein Misstrauen zu den USA die Beziehungen zwischen den beiden Ländern beeinträchtigen, so der US-Geheimdienstdirektor.
Clapper zufolge könnten die Meinungsverschiedenheiten zwischen den USA und Russland zur Raketenabwehr dazu beitragen, dass Russland umso weniger gewillt sein werde, einer weiteren Reduzierung der Kernwaffen zuzustimmen.
Moskau werde ausserdem kaum reale Hilfe bei der Lösung des Syrien-Problems und der Problematik des iranischen Atomprogramms erweisen.
„Russland wird kaum zusätzliche Sanktionen gegen den Iran unterstützen, die, wie es fürchtet, einen Regimewechsel zum Ziel haben“, hiess es weiter.
Bei der Bewertung der Militärreform in Russland hob der US-Geheimdienstdirektor hervor: „Obwohl die Russische Föderation die Aufstellung moderner, mit neuester Kampftechnik ausgerüsteter Streitkräfte anstrebt, verkompliziert sich der Reformprozess durch mangelnde Finanzierung, bürokratische und kulturelle Barrieren sowie durch die Notwendigkeit, beträchtliche Mittel für die Modernisierung der konventionellen Streitkräfte bereitzustellen.
Reform und Modernisierungsprogramme werden zu Verbesserungen führen, die es den russischen Streitkräften ermöglichen werden, schneller die Oberhand über die kleineren Nachbarländer zu gewinnen und die Vorherrschaft im postsowjetischen Raum beizubehalten.
Aber sie werden nicht zu ernsthaften Angriffsoperationen gegen die NATO im Ganzen führen und sind auch nicht dafür gedacht.“
Nach Ansicht von Juri Rogulew, Direktor des Franklin-Roosevelt-Fonds für USA-Studien der Moskauer Universität, veröffentlicht der US-Geheimdienst „nicht selten nur das, was man von ihm hören möchte“.
„Der jüngste Bericht kann als eine Bestätigung für die Festigung einer härteren Linie gegenüber Russland im US-Kongress dienen“, meinte er.
Zugleich räumte der Experte ein: „Das, was im Aussenamt gesagt wird, kann nicht mit dem Standpunkt der Geheimdienste übereinstimmen, weil sie miteinander konkurrieren.“