J eder, der in Deutschland ein Einkommen hat, zahlt auf das Einkommen Steuern. Bei Selbstständigen nennt sich diese Steuer Einkommenssteuer und wenn die Steuer direkt vom Arbeitgeber an den Staat abgeführt wird, nennt sie sich Lohnsteuer. Die Lohnsteuer ist eine Erhebungsform der Einkommenssteuer. Folglich gilt alles, was über die Einkommenssteuer gesagt wird (mit Ausnahme der Art der Erhebung) auch für die Lohnsteuer.
Vereinfacht gesagt macht das Finanzamt am Ende des Jahres eine simple Rechnung auf. Von dem Betrag, der insgesamt verdient wurde, werden die anerkannten Aufwendungen abgezogen.
Mit diesem Betrag geht es in eine Tabelle mit Prozentsätzen, wodurch der zu zahlende Steuerbetrag berechnet wird. Dann wird die Differenz gebildet zwischen den schon geleisteten Zahlungen und dem Steuerbetrag. Ist die Differenz positiv, dann bekommt man Geld zurück. Ist die Differenz negativ, so schickt einem das Finanzamt eine Nachforderung.
Hat man das Pech und verliert seinen Arbeitsplatz, dann kann es passieren, dass man nach Hartz-IV abrutscht und jetzt kommen wir zu dem interessanten Punkt: Die Differenz war positiv und das Finanzamt überweist einem Geld.
Das ist eigentlich erfreulich, doch wenn das Jobcenter davon erfährt (und das tut es), dann sagt es, dass es sich bei diesem Geld um Einkommen handelt und dieses Einkommen muss natürlich mit den Zahlungen des Jobcenters verrechnet werden; meist wird es auf mehrere Monate umgelegt.
Hierbei beruft sich das Jobcenter auf das Urteil vom Bundessozialgericht vom 13. Mai 2009, Aktenzeichen: B 4 AS 49 / 08 R. Jetzt ist es so, dass das Bundessozialgericht das höchste Gericht ist, das sich mit sozialen Angelegenheiten beschäftigt.
Und wenn das Bundessozialgericht ein Urteil gefällt hat, dann ist es nicht mehr anfechtbar. Hiervon gibt es eine einzige Ausnahme: wenn man nachweisen kann, dass es sich erstens um ein Fehlurteil handelt und dies zweitens dazu führt, dass gegen die Verfassung verstoßen wird, dann kann man das Urteil beim Bundesverfassungsgericht anfechten.
Da das Jobcenter auch mir eine Erstattung vom Finanzamt konfisziert hat, habe ich mir das Urteil von Lexetius.de herunter geladen und es mir sehr intensiv angesehen.
Das Ganze wird jetzt ein wenig juristisch und da ich kein Jurist bin, darf dies auch nicht als juristische Beratung in irgendeiner Form angesehen werden. Ich habe mir nur verschiedene Gesetze angesehen und mir die Mühe gemacht, alle Querverweise aus dem Urteil zu verfolgen, und plappere jetzt munter vor mich hin, wobei ich auch einen Paragraphen aus der Abgabenordnung (also dem Gesetz fürs Finanzamt) zitieren werde.
In dem Urteil B 4 AS 49 / 08 R finden sich folgende Querbezüge:
1. B4 AS 29 / 07
2. B4 AS 48 / 07
3. B14 AS 26 / 07
4. B4 AS 57 / 07
5. BVerwGE 108, 296
1. und 2. enthalten meiner Meinung nach Informationen darüber, ob eine Steuererstattung Einkommen sein könnte oder zurück gegebenes Vermögen ist; ich halte sie jedoch nicht für wesentlich für die Beurteilung dieses Urteils. 3., 4. und 5. enthalten meiner Meinung nach keine Informationen, die zur Klärung dieser Frage beitragen könnten. Wen diese Urteile interessieren, möge selbst googeln.
Da der Urteilstext recht lang ist, habe ich nur die Passagen kopiert, die mir absolut wichtig zu sein scheinen bei der Klärung, ob es sich um ein Fehlurteil handelt oder nicht. Die zitierten Passagen sind kursiv dargestellt.
Tatbestand: Die Beteiligten streiten im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende darüber, ob eine Einkommensteuererstattung als Einkommen bei der Berechnung von Grundsicherungsleistungen zu berücksichtigen ist..
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen (Urteil vom 4. 3. 2008) und zur Begründung ausgeführt: …Die Steuererstattung sei rechtlich als Einkommen zu werten. Für das Grundsicherungsrecht sei auf den Zufluss abzustellen….
Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und rügt eine Verletzung des § 11 SGB II, § 96 SGG. Er ist der Auffassung, dass die Steuererstattung weder ganz noch teilweise als Einkommen zu berücksichtigen sei. Schließlich habe er auf den Zeitpunkt der Steuererstattung und den Auszahlungstermin keinen Einfluss gehabt…..
Leider ist die Begründung des Klägers sehr unglücklich, denn ob er Einfluss auf den Zeitpunkt der Auszahlung hatte oder nicht, kann nicht entscheidend dafür sein, ob es sich bei dem Geldbetrag um die Rückgabe von Eigentum handelt oder um Einkommen.
Da die Urteilsbegründung aber nicht explizit auf den Antrag zugeschnitten ist, sondern die Frage allgemein klärt, spielt das keine größere Rolle.
Die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen nimmt das SGB II selbst nicht vor. Wie der Senat im Urteil vom 30. 9. 2008 (B 4 AS 29/ 07 R), zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; vgl auch BSG, Urteil vom 16. 12. 2008 – B 4 AS 48/ 07 RB 4 AS 48/ 07 R) dargelegt hat, ist Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte.
Diese Definition zur Unterscheidung von Vermögen und Eigentum kann als generell akzeptiert gelten.
Und schon sind wir bei der Urteilsbegründung angekommen. Und hier kommt gleich eine Passage, die es einem erlaubt zu verstehen, warum der Senat aufgrund von Unwissen völlig in die Irre ging.
Mit dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) ist vielmehr davon auszugehen, dass der Erstattungsgläubiger, mithin der Kläger, die zu hoch entrichtete Steuer nicht freiwillig (und zinslos) “angespart”, sondern schlicht nicht früher erhalten hat (vgl. BVerwGE 108, 296BVerwGE 108, 296 , 301).
Die Phrase “die zu hoch entrichtete Steuer“, zeigt eindeutig, dass keiner aus dem Senat des BSG auch nur Grundkenntnisse im Steuerrecht hatte. Zentral an diesem Punkt ist § 233a der Abgabenordnung.
Den ganzen Paragraphen gelesen zu haben macht nicht dumm, uns interessiert jedoch hauptsächlich Absatz 3.
§ 233a Abgabenordnung
Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen
(1) Führt die Festsetzung der Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Umsatz- oder Gewerbesteuer zu einem Unterschiedsbetrag im Sinne des Absatzes 3, ist dieser zu verzinsen.
Dies gilt nicht für die Festsetzung von Vorauszahlungen und Steuerabzugsbeträgen.
Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist. Er beginnt für die Einkommen- und Körperschaftsteuer 21 Monate nach diesem Zeitpunkt, wenn die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft bei der erstmaligen Steuerfestsetzung die anderen Einkünfte überwiegen.
Er endet mit Ablauf des Tages, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird.
(2a) Soweit die Steuerfestsetzung auf der Berücksichtigung eines rückwirkenden Ereignisses (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2) oder auf einem Verlustabzug nach § 10d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes beruht, beginnt der Zinslauf abweichend von Absatz 2 Satz 1 und 2 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten oder der Verlust entstanden ist.
(3) Maßgebend für die Zinsberechnung ist die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die bis zum Beginn des Zinslaufs festgesetzten Vorauszahlungen (Unterschiedsbetrag).
Bei der Vermögensteuer ist als Unterschiedsbetrag für die Zinsberechnung die festgesetzte Steuer, vermindert um die festgesetzten Vorauszahlungen oder die bisher festgesetzte Jahressteuer, maßgebend. Ein Unterschiedsbetrag zu Gunsten des Steuerpflichtigen ist nur bis zur Höhe des zu erstattenden Betrags zu verzinsen; die Verzinsung beginnt frühestens mit dem Tag der Zahlung.
Wir schauen uns mal Absatz drei an (auf die Verzinsung kommen wir gleich noch, hier geht es zunächst nur um die Vorauszahlung). Der Senat geht fälschlich davon aus, dass die Beträge, die der Arbeitgeber für einen an das Finanzamt abgeführt hat, schon die Steuer sei.
Aber nein, es sind Vorauszahlungen.
Als praktisch denkender Mensch könnte man jetzt berechtigterweise sagen, dass das doch letztlich keinen Unterschied macht. Aber leider handelt es sich beim Senat des BSG nicht um praktisch denkende Menschen, sondern um Juristen.
Was vom Arbeitgeber ans Finanzamt gezahlt wird, sind also Vorauszahlungen auf die später festzusetzende Steuerschuld. Es sind also definitiv keine Teilzahlungen der Steuer und das macht den entscheidenden Unterschied aus.
Gerade die fehlende Verzinsung des nicht ausbezahlten Einkommens zeigt, dass es sich bei der Steuererstattung nicht um “Vermögensaufbau” handelt….
Jetzt schauen wir noch einmal auf den letzten Satz von § 233a Absatz 3 Abgabenordnung. Dort steht klipp und klar, dass ein Unterschiedsbetrag zu Gunsten des Steuerpflichtigen zu verzinsen ist.
Der Senat des BSG erfindet also mal eben so nebenbei ein Steuerrecht, wie es ihm gefällt, und baut dann (nicht besonders) logisch darauf auf.
Aber wichtig ist jetzt ein Punkt, der im ersten Moment gar nicht so auffällt, nämlich die Frage, was denn die juristische Grundbedingung dafür ist, dass das Finanzamt diese Zinsen zahlt.
Die Grundbedingung ist, dass das Finanzamt den Differenzbetrag zu Gunsten des Steuerzahlers als dessen Eigentum ansieht. Wäre es anders, dann dürfte das Finanzamt gar keine Zinsen zahlen.
Zudem verdeutlichen die steuerrechtlichen Dispositionsmöglichkeiten, sei es durch Eintragung eines Freibetrages oder durch die Wahl einer anderen Steuerklasse, dass die Steuererstattung kein Rückfluss von Vermögen ist. Der Erstattungsbetrag bleibt, was er bei einer anderen Wahl der Steuerklasse gewesen wäre, nämlich Einkommen.
Wie wir gerade anhand des § 233a der Abgabenordnung gesehen haben, können natürlich Aufwendungen als Minderung des Einkommens geltend gemacht werden, aber Steuerklassen haben gar keinen Einfluss auf die Höhe der zu zahlenden Steuern (auf die Höhe der Vorauszahlungen schon).
Auch hier argumentiert der Senat des BSG mit frei erfundenem Steuerrecht. Und das als höchstes Sozialgericht des Staates Deutschland. Peinlich!
Um die Argumentation gegen dieses Urteil wirklich wasserdicht zu bekommen, müssen wir noch eine Frage klären, und zwar ab wann denn das Geld, das vom Finanzamt in Verwahrung genommen wurde, das Eigentum des Steuerzahlers war. Hier hilft ein Blick ins Steuerrecht.
Und zwar ist der Arbeitnehmer letztlich der Verantwortliche dafür, dass seine Vorauszahlungen pünktlich geleistet werden. Der Arbeitgeber ist an dieser Stelle nur ein Erfüllungsgehilfe. Er nimmt den Teil, den der Staat als Vorauszahlung haben will, vom Einkommen weg und überweist den Betrag ans Finanzamt.
Es ist also nicht Geld des Arbeitgebers, das das Finanzamt in Verwahrung nimmt, nein, es ist das Geld des Arbeitnehmers. Und folglich war dieses Geld schon in dem Augenblick sein Eigentum, als der Arbeitgeber sein Eigentumsrecht daran aufgab. Wir erinnern uns an den Unterschied zwischen Vermögen und Einkommen und es ist ganz klar, dass der beim Finanzamt geparkte Betrag schon lange zum Vermögen gehörte, bevor der Antrag auf Sozialleistung gestellt wurde.
Jetzt kommen wir zu dem Kernpunkt der ganzen Exkursion: Das Finanzamt sieht die gezahlten Beträge für die Lohnsteuer als Vorauszahlungen an, als in Verwahrung genommenes Eigentum des Steuerzahlers.
Wäre dies nicht so, so dürfte das Finanzamt auf Differenzen zu Gunsten des Steuerzahlers keine Zinsen zahlen. Wenn jetzt das Jobcenter sagt, das, was das Finanzamt als dein Eigentum ansieht, sehen wir, wenn es zurück gegeben wird, als Einkommen, das wir mit den Sozialleistungen verrechnen, dann erfolgt eine Enteignung.
Das Eigentum steht unter dem Schutz des Grundgesetzes. Wenn ich als Bürger mein Eigentum nicht mehr jemand anderem (und sei es dem Staat) leihen kann, weil ich befürchten muss, dass es bei der Rückgabe als Einkommen verrechnet wird (wenn ich mich zwischenzeitlich beim Jobcenter anmelden musste), dann fehlt der Schutz des Eigentums und mein Grundrecht auf Eigentum wird ohne rechtliche Grundlage eingeschränkt.
Wir haben also die beiden notwendigen Faktoren für eine Klage beim Bundesverfassungsgericht beisammen:
1. Es handelt sich um ein Fehlurteil
2. Die Konsequenzen aus dem Urteil bedingen einen Verfassungsbruch.
Aktuell klage ich gegen das Jobcenter in Kiel und hoffe, das mir das Sozialgericht Kiel in Kürze den Weg frei macht zum Bundesverfassungsgericht. Und das bringt mich jetzt zu einem kleinen Schmankerl, das mich bewogen hat, endlich diesen Artikel zu schreiben.
Meine Klageerhebung wurde natürlich vom Sozialgericht an das Jobcenter durch gereicht. Folglich weiß man dort, zumindest in Grundzügen, was ich vor habe. Am 31. Januar 2012 erreichte mich ein Schreiben vom Sozialgericht, im Anhang ein Schreiben des Jobcenters an das Gericht.
“Im Rechtsstreit Jürgen Henning ./. Jobcenter Kiel wird beantragt,
1. die Klage abzuweisen und
2. zu entscheiden, dass Kosten gemäß § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht zu erstatten sind.”
Ich bin der Meinung, das Jobcenter Kiel hat etwas gemacht, das gegen die Verfassung verstößt und strebe daher eine verfassungsrechtliche Klärung an. Und das Jobcenter Kiel fordert das Sozialgericht auf, genau diese Klärung zu verhindern. Da kommt man doch glatt ins Grübeln. Wenn ein Jobcenter versucht zu verhindern, dass sein Tun auf Übereinstimmung mit der Verfassung überprüft wird, wird das Jobcenter dadurch zu einer verfassungsfeindlichen Organisation? Aber eines gilt auf jeden Fall: Ein Schuft, wer Böses dabei denkt!