Die “grüne Intifada” – mit Umweltschutz gegen die Besatzung

Die Umweltaktivisten der Organisation Bustan Qaraanqa leiten Palästinenser an, durch nachhaltiges Wirtschaften gegen die Besatzungspolitik Widerstand zu leisten

- von Presseticker  -

I m Westjordanland hat sich eine neue Form des friedlichen Protests gegen die israelische Besatzung entwickelt: die grüne Intifada. Umweltschutz statt Steine werfen.
Viele Aktionen des israelischen Militärs und der Siedler zielen darauf ab, den Palästinensern im Westjordanland den Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen wie Wasser und Land zu nehmen, um sie auf diese Weise kontrollieren oder vertreiben zu können. Die Umweltaktivisten der Organisation Bustan Qaraanqa leiten Palästinenser an, durch nachhaltiges Wirtschaften gegen die Besatzungspolitik Widerstand zu leisten.
Mit minimalen Ressourcen auszukommen, um damit neuen Handlungsspielraum zu gewinnen und das Land für die kommenden Generationen bewohnbar zu halten – das ist die Idee der grünen Intifada.

Aqbat Jabr, ein Beduinendorf bei Jericho, neben dem gleichnamigen Flüchtlingscamp. Neun Beduinenfrauen mit langen Röcken und bunten Kopftüchern stehen um drei Plastikwannen gefüllt mit roten Steinen herum. Kleinkinder in staubigen Trainingsanzügen hängen an ihren Rockschößen.
Skeptisch blicken die Frauen auf die Wannen – es sollen ihre zukünftigen Gemüsebeete werden. Die Umweltaktivistin Laureen Viladomat sucht mit ihnen die Saat aus.
„Hier kann fast alles wachsen”, erklärt ihr Partner Phil Jones: „Salat, Spinat, Tomaten, Auberginen, Paprika, Bohnen, Wassermelonen.“ Und das mitten in der Wüste, ohne Zugang zu fliessendem Wasser.

Das Geheimnis des Systems steht gleich neben den Wannen: ein schulterhoher bauchiger Wassertank, in dessen dunklem Wasser Fische schwimmen. Mikroorganismen verwandeln den Fischkot in natürlichen Dünger, der die Pflanzen in den Gemüsebeeten wachsen lässt.
„Das Wasser aus dem Fischtank fliesst durch einen Abfluss in die drei Gemüsebeete“, erklärt Laureen Viladomat, „Jedes Beet hat einen Siphon. Wenn das Wasser das Siphonlevel erreicht, fliesst es durch ein Rohr in ein Sammelbecken und von dort wird es zurück in den Fischtank gepumpt.“

Ein Kreislauf aus Fischtank und Gemüsebeet: Aquaponic heisst das System. Es ermöglicht, mitten in der Wüste, ohne Zugang zu fliessendem Wasser, gleichzeitig Gemüse anzubauen und Fische zu züchten – wie im Beduiendorf Aqbat Jabr bei Jericho im Westjordanland.
Die neun Familien, die hier in einfachen Baracken leben, sind Palästinenser, das Gebiet untersteht der Palästinensischen Autonomiebehörde. Doch das meiste Wasser in der Gegend gehört den Israelis, sagt Umweltaktivist Phil Jones:

„Es gibt eine grosse Ungleichheit beim Wasserverbrauch, besonders zwischen den israelischen Siedlungen und den palästinensischen Gemeinden in der Westbank. Hundert Meter von hier kannst du auf dem Berg die Siedlung Vered Yeriho sehen, zu der all das Agrarland in der Gegend gehört.
Die haben reichlich Wasser um zwei, dreihundert Meter von uns entfernt ihre blühende Agrarindustrie zu entwickeln, mit Grundwasser oder mit Wasser, dass vom Jordanfluss zu den israelischen Agrarprojekten gepumpt wird.“

Wasser ist die zentrale Ressource im gesamten Nahen Osten. Laut UN haben die Palästinenser rund fünfmal weniger Wasser zur Verfügung als die Israelis. Israel weist solche Vorwürfe zurück und veröffentlicht eigene Zahlen, denen zufolge sich der Wasserverbrauch von Israelis und Palästinensern inzwischen angeglichen hat.

Unabhängige offizielle Zahlen gibt es nicht. Fest steht: Die wichtigsten Quellen, Brunnen, Flüsse und Leitungssysteme in der Region sind in der Hand des staatlichen israelischen Wasserversorgers Mekkorot.
Wer das Wasser kontrolliert, kontrolliert auch die Menschen, sagen die Umweltaktivisten von Bustan Qaraaqa. Sie sind eine internationale Gruppe von Entwicklungshelfern, die mit einer Reihe von Projekten wie den Aquaponics eine Grünen Intifada in Gang bringen will.

„Intifada ist ein gängiger Ausdruck für den Volksaufstand gegen die israelische Besatzung“, sagt Phil Jones, „Die grüne Intifada will die Besatzung durch das Engagment für Umwelt-Aktionen herausfordern. Wir werfen keine Steine auf Soldaten und unterstützen das auch nicht.
Aber es gibt viele Möglichkeiten, sich auf dem Land zu behaupten und Widerstand gegen die Besatzung zu leisten, und dabei gleichzeitig etwas ökologisch Sinnvolles und Nachhaltiges für die eigene Zukunft zu tun.“

So wie zum Beispiel mit den Aquaponics. Sie sollen den Menschen ermöglichen, sich auf minimalem Raum, mit minimalen Ressourcen eigenständig zu ernähren. Ohne künstliche Bewässerung ist das Land im Jordantal nur Stein und Staub.

Umweltprojekt des antizionistischen Widerstandes in Palästina

Umweltprojekt des antizionistischen Widerstandes in Palästina

Um zu überleben bleibt den Beduinen bisher nichts anderes übrig, als auf den Feldern und Farmen der israelischen Siedlungen zu arbeiten.

„Es ist sehr schwierig, unsere Männer können nicht mehr als 40 Shekel pro Tag verdienen“, sagt Mariam, eine der Beduinenfrauen, „die Miete ist teuer, das Essen ist teuer, die Schulausbildung. Von dem, was unsere Männer verdienen, können wir nicht überleben.“

40 Shekel, das sind umgerechnet 8,- Euro. Jede der neun Familien im Dorf Aqbat Jabr hat vier, fünf Kinder. Arbeiten gehen dürfen die Frauen in der traditionellen Stammesgemeinschaft nicht.

„Wenn die Fische und das Gemüse wachsen, müssen wir sie nicht mehr kaufen. Mehr noch: wir können das, was wir nicht brauchen sogar verkaufen“, freut sich Mariam und ihre Freundin fügt hinzu: „Ich bin glücklich! Es ist das erste mal, das wir Beduinenfrauen alle etwas zusammen machen. Noch nie hatten wir Pflanzen zu Hause. Wir haben viel Freizeit, jetzt können wir uns um die Pflanzen und um die Fische kümmern.“

Die Beduinenfrauen sollen in der Lage sein, das komplette System selbst zu managen – die Umweltaktivisten von Bustan Qaraaqa wollen Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Deswegen müssen die Beduinenfrauen auch etwas Biochemie lernen.
Eine der Beduinenfrauen hält ein Test-Röhrchen in den Wassertank, liesst die Werte ab und trägt sie in eine Tabelle ein: Amoniak-Test, Wassertempereatur, Nitrat- und Alkaligehalt, Wasserhärte, PH Wert. Laureen Viladamat schaut ihr über die Schulter, erklären müsse sie nichts mehr, sagt sie.
„Die Frauen machen das ganz alleine, ich komme nur um zu gucken, ob sie es richtig verstanden haben, weil es sehr wichtig ist, dass die Werte stimmen. Wir machen das jetzt seit einer Woche zusammen und sie machen es perfekt!“

Sechs Aquaponics, jedes bestehend aus drei Gemüsebeeten, haben die Umweltaktivisten von Bustaan Qaraaqa zusammen mit den Beduinenfrauen innerhalb der vergangenen drei Wochen gebaut. In 40 Tagen können die Beduinen-Frauen das erste Gemüse ernten, die Fische brauchen ein halbes Jahr.

1.000 Euro kostet eine Anlage und benötigt für den laufenden Betrieb nur so viel Strom wie ein Glühbirne und etwas Fischfutter. Bisher sind die Aquaponics noch ein Pilotprojekt, doch Phil Jones glaubt, dass es sich schnell verbreiten wird.

Schon in den nächsten Wochen werden die Aktivisten von Bustaan Qaraaqa Aquaponics in einem Flüchtlingslager bei Bethlehem bauen. Für Flüchtlingslager eignet sich das System besonders, da es dort extrem wenig Raum und natürliche Ressourcen gibt.

Einen Aquaponic hingegen kann man leicht auf einem Hausdach installieren, sagt Phil Jones. Gerade hier sieht er enormes Potenzial. „Bisher ist das nur ein Tropfen auf den heissen Stein, aber je mehr Leute sich dafür interessieren, und je mehr Projekte wir hinkriegen, desto mehr Aufmerksamkeit bekommt es. Es ist nur die Spitze des Eisbergs!“

RF/PNN

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