A uf den ersten Blick der Ereignisse von 2011 in Lybien erscheint es, dass die Entscheidung das Land anzugreifen erst im Februar oder März getroffen wurde. Eine Zahl von Fakten und offizielle Dokumente scheinen dies zu bestätigen. Im Januar 2011 bereitete die UN die Diskussion der Menschenrechte in Lybien vor. Kein einziger Staat äusserte Bedenken, und die Führung des Landes wurde über alle Maße gelobt für die ausserordentlichen Ergebnisse, die sie auf diesem Gebiet erzielt hatte.
Was war es, was die Hauptfeinde Lybiens in jenen Tagen gesagt haben, dieselben in Bereitschaft/Vorbereitung nach wenigen Wochen anzugreifen?
Qatar, zum Beispiel, sagte nicht nur nichts Kritisches, sondern lobte ausdrücklich die gesetzliche Grundlage für die Verteidigung der Menschenrechte in Lybien… sowie die Garantien, diese in die Praxis umzusetzen. Qatar machte gerade einmal eine Empfehlung fortzufahren das Leben und das materielle Wohlergehen der Bevölkerung zu verbessern, sobald die 1990 verhängten Sanktionen nicht mehr wirksam seien.
Die USA schlugen vor, Lybien sollte dem Protokoll der Konvention zum Status von Flüchtlingen der Vereinten Nationen von 1997 beitreten. Ein recht verwunderlicher Vorschlag! Niemand kann von einem Staat verlangen, diesem oder jenem internationalen Abkommen beizutreten, speziell wenn dies von dem Land stammt, das sich von einer grossen Anzahl von internationalen Abkommen fernhält, einschliesslich jener Abkommen bezüglich der Menschenrechte (bis heute ist die USA kein Mitglied der Konvention der Rechte des Kindes der Vereinten Nationen).
Insgesamt brachte der Wortlaut der meisten Empfehlungen ihre Anerkennung der Lybischen Regierung für ihre Verdienste für die erzeilten Fortschritte auf dem Gebiet der Menschenrechte, indem sie z.B. damit begannen, „mit Bemühungen fortzufahren“, „weitere Anstrengungen zu unternehmen“, „weitere Fortschritte zu erzielen“, usw. Sudan ging mit seinem Vorschlag noch weiter, die Lybische Arabische Jamahariya zu bitten, ihre Erfahrungen auf dem Gebiet der Schaffung eines angemessenen Lebensstandards für Familien mit niedrigem Einkommen besonders durch das zur Verfügungstellen von Investitionsmöglichkeiten mit anderen Ländern zu teilen.
Einige Wochen vor der militärischen Intervention hatte der französische Präsident Gaddafi noch mit allen ihm gebührenden Ehren empfangen.
Aber es gibt Tatsachen komplett verschiedener Natur die ausreichend Anlass geben zu sagen, dass ein abgekartetes Spiel gespielt wurde, um die Wachsamkeit der lybischen Führung einzuschläfern. Und der Sudan war Teil davon.
Das Buch mit dem Titel Sarkozy sous BHL/Sarkozy unter BHL das soeben erschienen ist, wurde vom früheren Aussenminister Roland Dumas und dem bekannten Anwalt Jacque Verges geschrieben.
Es gibt detaillierte Einsicht in die Verantwortung des französischen Präsidenten für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in Lybien durch das französische Militär begangen wurden. Insbesondere wirft es Licht auf die Möglichkeit, den amtierenden Präsidenten vor Gericht zu bringen (im Wissen der französischen Mitgliedschaft zu den Statuten des Internationalen Strafgerichtshofes und der Annahme eines speziellen Gesetzes zur Übernahme der Statuten in französisches Recht). R. Dumas und J. Verges machen N. Sarkozy verantwortlich für die Bombardierung lybischer Städte, einschliesslich öffentlicher und Wohngebäude, Einrichtungen zur täglichen Versorgung der Bevölkerung sowie von Kulturschätzen.
Sie führen Dokumente an, die die offiziellen NATO Behauptungen widerlegen, dass es keine Schäden an Zivilpersonen gab.
Die Schlussworte eines Kapitels sagen, Monsieur Sarkozy ist weder Erbe von General de Gaulle, Giscard d’Estaing noch Francois Mitterand. Dies ist eine sehr wichtige historische Bestätigung. Dies konnte ich verstehen, nachdem ich vor einigen Wochen Roland Dumas und Jacque Verges während einer aussergewöhnlichen Konferenz in Paris getroffen hatte.
9. Dezember: französische Anwälte, Gelehrte und Medienvertreter trafen sich, um internationale rechtliche Aspekte des Angriffs auf Lybien im Herzen des Landes zu diskutieren, das der Hauptinitiator des Krieges war.
Die vier Sprecher am Runden Tisch waren: H. Kirchler, Österreicher, R. Merkel (Deutschland), beide Professoren für Internationales Recht, Russland war vertreten durch den Autor dieses Artikels, und Frankreich – durch den früheren Aussenminister R. Dumas.
Der letzte der genannten Personen zeichnete sich durch seine aussergewöhnlich und unerwartet offene Rede aus, die einer besonderen Aufmerksamkeit bedarf.
R. Dumas sagte, alles begann 1983. Als Mitglied des Parlamentes sei er von Präsident Mitterand mit einer geheimen Mission beauftragt gewesen, gute Beziehungen zu Lybien herzustellen. Zu diesem Zwecke besuchte er das Land mehrere Male, worüber selbst der französische Botschafter in Tripolis nicht informiert war.
Aber nachdem er Aussenminister geworden war, unternahmen die USA intensiven Anstrengungen, damit Frankreich sein Kurs ändere. Eine Delegation des Pentagon besuchte Frankreich 1985, um ihn davon zu überzeugen, Gaddafi sei im Besitz von chemischen Waffen. Sie versuchten ihn (und entsprechend auch Präsident Mitterand) davon zu überzeugen, dass Frankreich Lybien zu bombardieren hätte, da Gaddafi zu einer Gefahr für den Westen wurde. R. Dumas wurde wütend und fragte, ob dem so sei, weil US Bürger visafreien Zugang nach Lybien genössen und sich dort im Ölgeschäft betätigten. …
1988 erhielt der französische Premierminister J. Chirac ein Gesuch der USA, 100 Flugzeugen den Überflug über den französischen Luftraum zu gewähren, um Lybien anzugreifen. Dumas vertrat den Standpunkt, dies abzulehnen. Er dachte, dies sei genau, was der Präsident von ihm erwartete, und er hatte Recht, der Präsident lehnte das Gesuch ab.
Obwohl Chirac anderer Meinung war, akzeptierte er die Entscheidung des Präsidenten. Die französische Weigerung, die Erlaubnis für die Durchquerung des französischen Luftraumes zu erteilen verhinderte nicht die Luftschläge gegen Lybien, sondern verzögerte die Operation lediglich um 20 Stunden…
Seitdem widerstand Frankreich all diese Jahre dem US Druck, einen Angriff gegen Lybien durchzuführen, und jetzt gab es nach. Mehr noch, es führte die Operation an.
Natürlich waren die Kriegsvorbereitungen gegen Lybien vor Februar 2011 offensichtlich, aber ich glaube, es war das erste Mal, dass jemand, der direkt daran beteiligt war, so ehrlich und offen darüber sprach.
Die Enthüllungen Roland Dumas gaben nicht nur Hinweise zu allen Vorgängen im Laufe des Politikformulierungsprozesses der NATO, sondern hinterliessen auch keine Zweifel, dass alle Unruhen in den arabischen Ländern eine gut und lang geplante Operation waren…
Die Überlegungen für die andauernden Bemühungen, den syrischen Staat auszulöschen sollten nicht auf den „Arabischen Frühling“ begrenzt bleiben, sondern in einem wesentlich weiteren Kontext der letzten Dekaden gesehen werden, einschliesslich der Etablierung des Internationalen Strafgerichtshofes, der über 140 Länder in Abhängigkeit gebracht hat.
Trotzdem hatten einige wenige Länder den Mut sich zu weigern, dieser „freiwilligen“ Re-Kolonisierung beizutreten.
Zum Beispiel trat Lybien nie diesem Abkommen bei. Deshalb mussten die UN-Instrumente aktiviert werden (die lybische Situation an den ICC zu delegieren). Syrien war flexibler. Es unterzeichnete das ICC Abkommen/Statuten im Jahre 2000, aber hat dieses bisher nicht ratifiziert.
Möglicherweise verstand der Westen die syrische Unterschrift als ein Ablenkungsmannöver und begann deshalb andere Instrumente zu nutzen. Jetzt lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen, dass der Anschlag auf R. Hariri, den libanesischen Premierminister, mit dem Zweck verübt wurde, ein „internationales“ Instrument zu schaffen, um kurzen Prozess mit Syrien zu machen.
Zu Beginn wurde ein „internationales“ Ermittlungskomitee aufgebaut, danach das Spezielle Tribunal für den Libanon.
Aber das Hauptziel des Tribunals ist nicht das libanesische Volk als solches, sondern mehr die pro-syrischen Kräfte im Libanon. Man kann Syrien treffen, indem man diese angreift.
Es sollte keine Illusion bestehen – Syrien ist heute das Hauptziel. Wie viele Dekaden müssen vergehen, bis wir von Zeugen wissen, welche üblen Machenschaften bei den Vorbereitungen zur Zerstörung des Landes benutzt werden?