E s rauschte heute durch den Blätterwald – die Lebenserwartung ausgegrenzter Schichten ist innerhalb von zehn Jahren um 2 Jahre (West) und 4 Jahre (Ost) gesunken. Seit 1945 hat es das in Deutschland nicht gegeben (allerdings schon in Grossbritannien durch die Thatcher’ schen Sozialreformen). Dazu bedarf es nicht einmal des um das zwanzigfache grösseren Suizidrisikos beim Leben auf Hartz IV, schon die Verelendung durch Hartz IV (inkl. des ausgeuferten Niedriglohnbereiches) genügt.
Gerne werden die Opfer für mitschuldig erklärt ob ihres angeblich geringen Bildungsstandes. Dass der sich innerhalb von zehn Jahren wesentlich abgesenkt hat ist kaum zu erwarten.
Schuld daran ist nicht nur der ab dem zwanzigsten eines jeden Monats zunehmende Stress, das Lebensnotwendige zu beschaffen, auch nicht nur der fehlende Halt, der so manchen weniger Stabilen durch sinnvolle Arbeit gegeben werden kann, Schuld ist auch der durch “Fördern und Fordern” vorgegebene entwürdigende und zerstörerische Umgangsstil der Behörden und ihrer Mitarbeitenden mit den Betroffenen. Schliesslich soll das Leben auf Hartz IV nicht “angenehm” sein.
Dabei unterwerfen sie sich der Vorgabe einer Sanktionsquote – neunhunderttausend werden es in diesem Jahr wohl sein. Manche Menschen werden mehrfach unter das Existenzminimum gesenkt, ihre Angehörigen leiden mit. Hinzu kommen viele Hunderttausende, die einen Teil ihrer Wohnkosten (oftmals widerrechtlich) aus dem Regelsatz bezahlen müssen, und wohl ebenso viele, denen Tilgungen für Anschaffungsdarlehen oder fehlerhafte Überzahlungen monatlich abgezogen werden.
Der von mir mit Bedacht gewählte Begriff “Mittäter_innen” weist eine Nähe zum Begriff “Schreibtischtäter” auf. Und das nicht ohne Grund: wurden doch in Hitler-Deutschland die sogenannten “Asozialen” systematisch umgebracht. Heute darf das natürlich nur indirekt und schleichend geschehen. Einem grossen Teil der Bevölkerung ist das genehm, so die aktuelle Heitmeyer-Studie (www.uni-bielefeld.de/ikg/).
Dem könne einfach der Boden entzogen werden, so die Kolumne “verboten” in der heutigen taz: einfach Hartz IV absenken! Die Zivilgesellschaft inklussive eines grossen Teils der politischen Linken interessiert derartiges seit dem Abnicken des “Asylkompromisses” 1992 ohnehin nicht mehr. Schliesslich sind sie selbst ins Mark getroffen und bedroht vom “Sparkurs”.
Ich nähme eine unzulässige Pauschalierung des Verhaltens der JC-Mitarbeitenden vor, wird mir entgegengehalten in Ermangelung tatsächlicher Argumente. Ein ähnlich geartetes Problem hatte ver.di auf dem Bundeskongress im September mit Anträgen betreffend das Militär und die Polizei. Im Sozialrecht (und anderswo) sind Pauschalierungen zulässig, wenn sie geeignet sind, die Realität wirklichkeitsnahe abzubilden und Raum lassen für Ausnahmen. Beides ist auch hier gegeben.
“Ich solle nicht spalten” sagen mir Gewerkschaftsfreund/innen. Das klingt so, als wenn die Diebin ruft: “Haltet den Dieb!”.
(Norbert Hermann, ehemaliger Lehrbeauftragter für Sozialrecht; Mitglied im Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V.; Mitglied des Deutschen Sozialgerichtstags)
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