B ei gewissen antiimperialistischen Strömungen gibt es nur ein einziges Kriterium: Geopolitik. Diese Methode ist ein Erbe der stalinistischen Sowjetunion, die es ihrerseits von den Eliten von vor 1917 übernommen hat. Für diese Geisteshaltung sind die Massen nichts, nur die Herrscher zählen.
Angesichts der fortgesetzten Überlegenheit des Imperialismus zweifeln unsere Geopolitiker keine Sekunde daran, dass jedwedes Regime, das in Konflikt mit dem imperialen Zentrum kommt, unterstützt werden muss. Sein Verhältnis zu den Massen spielt dabei keinerlei Rolle. Tertium non datur!
Allerdings ergab sich in den letzten zwei Jahrzehnten eine gewisse Deckungsgleichheit zwischen der geopolitischen und der sozialrevolutionären Position. Die imperiale Macht erreichte ihre höchste Entfaltung. Widerstand leistende Regime, die letztlich Errungenschaften lang verstrichener Kämpfe der Massen repräsentieren, wurden mit aller Gewalt niedergemacht.
Die hervorstechenden Beispiele dafür sind Jugoslawien und der Irak. Dort war die breite Masse passiv geblieben und nur die fortgeschrittensten Sektoren der Bevölkerung unterstützen den Widerstand des Regimes gegen den Imperialismus. Jedenfalls spielten die Massen nicht die erste Geige. Von einem antiimperialistischen Gesichtspunkt war die Unterstützung des Widerstands der Regime klar.
Es gab in dieser Periode durchaus auch Widerstand von unten, wie beispielsweise in Palästina, in Afghanistan oder auch dem Irak nach dem amerikanischen Einmarsch. Er richtete sich unmittelbar gegen den Imperialismus oder aber gegen völlig abhängige Marionetten.
Man sollte annehmen, dass die Unterstützung dieser Volkswiderstände durch die Antiimperialisten völlig unbestritten sein müsste. Das war aber mitnichten so, denn es ist scheinbar leichter säkulare autoritäre Regime als islamischen Widerstand von unten zu unterstützen.
Unter den Bedingungen extremen Ungleichgewichts nahmen die Widerstandsbewegungen nicht nur militärische Formen an, sondern wurden militaristisch. Die Volksmassen spielten für sie eine unbedeutende Rolle, auch weil sie tatsächlich passiv blieben.
Eine weitere Deformation war der Kulturalismus, der sich in der Dominanz islamistischen Widerstands äußerte. Es war an diesem Punkt, wo sich der Konflikt mit den Geopolitikern entspann, denn diese waren und sind in aller Regel islamophob. Sie blieben Gefangene des (sowjetischen) Narrativs der Zeit vor 1989/91, nachdem der politische Islam durchgängig ein Werkzeug des Imperialismus sei. In Verschwörungstheorien verstrickt, bleiben sie passive Zuschauer im Angesicht des islamischen Widerstands gegen das Imperium.
Erst langsam sickerte es durch, dass Hamas das Banner des Widerstands weiter trug, während die säkularen Kräfte in Palästina kapituliert hatten. Bis heute bleibt ihnen die antiimperialistische Symbolkraft des Islam, der zum zentralen Feindbild erklärt wurde, verschlossen.
Hinsichtlich der samtenen Revolutionen in Osteuropa ergab sich wiederum eine gewisse Kongruenz. Es kam zwar zu einigen Mobilisierungen, an denen auch untere Schichten teilnahmen, aber die dabei geäußerten demokratischen Forderungen waren direkt an die Kapitulation vor dem Kapitalismus und Imperialismus geknüpft.
Im Unterschied zu den meist Ex-Prosowjetischen verurteilten wir weder die demokratischen Forderungen noch das Recht auf nationale Selbstbestimmung, geschweige denn, dass wir die Repression gut hießen. Doch den Bewegungen wollten wir keine Unterstützung zuteil werden lassen, denn sie waren politisch letztlich reaktionär ungesehen ihrer sozialen Zusammensetzung.
Eine schwierige Episode war die jüngste Grüne Bewegung im Iran, die nicht unter die samtenen Revolutionen subsumiert werden kann. Viele ihrer Forderungen nach politischen Rechten waren legitim, obwohl sie vor allem von den Mittelklassen getragen wurden.
Doch verbündete sich die Bewegung mit dem liberal-kapitalistischen Flügel der Eliten, die für einen Kompromiss und Ausgleich mit dem Imperialismus stehen. Die Unterklassen blieben fest hinter dem antiimperialistischen Flügel des Regimes. Obwohl wir die Unterdrückung verurteilten und selbstverständlich für mehr demokratische Rechte eintreten, kamen wir zu dem Schluss, dass das antiimperialistische Moment im Regime jenes repressive überwog.
Bei dieser Abwägung darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Iran sich in einem scharfen und dauerhaften Konflikt mit dem Imperialismus befindet, ja dessen wichtigste staatliche Herausforderung ist.
Bis an diesen Punkt befanden sich der geopolitische und der revolutionäre Flügel der antiimperialistischen Bewegung zumindest auf der gleichen Seite der historischen Barrikaden, obwohl der Konflikt über den politischen Islam massiv war. Ihr Frankolaizismus machte sie nicht nur blind für die antiislamische Hexenjagd, sondern auch für den antiimperialistischen Widerstand im islamischen Gewand.
Unerträglich auch ihre Apologien für die Regime, auf deren Seite sie sich stellten. Jede denkende Kritik wurde in der Tradition des Despotismus als Dolchstoß betrachtet.
Die arabische Revolte wirbelt nun alles durcheinander. Erstmals seit vielen Jahrzehnten stehen wieder Massenbewegungen im Zentrum der Geschichte. Doch für die Geopolitiker zählen die nicht. Schon sehen sie im arabischen Frühling eine amerikanische Verschwörung gegen Mubarak & Co, oder der neue Lenz wird umgehend zum islamischen Winter.
Dem tut auch die Tatsache keinen Abbruch, das dem Islamismus als Führung des Antiimperialismus etwas die Flügel gestutzt wurde. Zentrum der Problemstellung ist Syrien. Da steht eine säkulare Despotie mit antiimperialistischen Restposten gegen eine demokratische Volksbewegung als Teil der regionalen Auflehnung gegen die alte, imperiale Ordnung. Hier trennen sich die Wege der sozialrevolutionären und der geopolitischen Antiimperialisten.