D ie grossen Energieversorger E.ON, RWE und Vattenfall kündigen einen massiven Stellenabbau an. Tausende Menschen sind vom Jobverlust bedroht. Aber ist wirklich die Energiewende schuld, wie über die Medien verbreitet wird? Energieexperte Andree Böhling erklärt im Interview, wo die Probleme der Konzerne liegen.
Greenpeace: Die grossen Energiekonzerne RWE, E.ON und Vattenfall haben angekündigt, Stellen abzubauen. Ist die Energiewende daran schuld?
Andree Böhling: Die grossen Energieversorger stehen in erster Linie vor hausgemachten Problemen wie überteuerten Gaslieferverträgen oder übermäßigen Verwaltungsapparaten. Und sie haben die Energiewende in den vergangenen zehn Jahren verschleppt. Sie haben nicht auf Erneuerbare gesetzt und werden mit ihren alten Technologien jetzt zum Auslaufmodell.
Jetzt die Energiewende für alle Probleme – ob höhere Kosten oder Jobverluste – in Haftung zu nehmen, ist für die Konzernspitzen natürlich schön einfach, dann sind sie nicht verantwortlich.
Aber es stimmt einfach nicht. Sie haben ihre Probleme zum grössten Teil selbst verschuldet und gehören dadurch kurzfristig zu den Verlierern der Energiewende.
Greenpeace: Immerhin stehen wir durch die Energiewende tatsächlich vor einem Umbruch …
Böhling: Richtig, aber die Energiewende bringt deutlich mehr Arbeitsplätze als die alte Energiewirtschaft. In Bereich der Atomkraft spricht man zum Beispiel von rund 30.000 Beschäftigten, im Bereich der Windkraft sind es heute schon über 100.000, ebenso im Bereich der Solarenergie.
Hier ist wirklich von einem Jobmotor zu sprechen.
Greenpeace: Was hat der Gaspreis mit den Problemen der Konzerne zu tun?
Böhling: Die Konzerne haben vor Jahren sehr langfristige Gasverträge abgeschlossen. Seitdem sind die Gaspreise rapide gesunken, und nun machen E.ON und Co mit ihren Altverträgen Verluste. Sie verhandeln jetzt heftig nach, unter anderem mit Gazprom, aber das ist nicht einfach …
Greenpeace: 2002 haben die Konzerne den Atomkonsens unterzeichnet, seitdem wussten sie, dass die AKW nach und nach als Stromlieferanten wegfallen würden. Was haben sie unternommen, um ihre Stromproduktion umzustellen?
Böhling: Die Konzerne haben gepokert und auf ihre abgeschriebenen Altanlagen gesetzt. Sie haben von vornherein darauf gesetzt, dass sie die Politik bewegen können, ihnen noch einmal mit Laufzeitverlängerungen unter die Arme zu greifen.
Dieser riskante Kurs ist durch Fukushima an die Wand gefahren und jetzt müssen sie sich viel schneller neu aufstellen als ihnen lieb ist.
Nach dem Atomausstieg droht ihnen mit der klimaschädlichen Kohleverstromung der nächste Unternehmensgau. Wir müssen deutlich runter mit den CO2-Emissionen. Dennoch haben die Energiekonzerne wenig oder nichts unternommen, um von der Kohleverstromung wegzukommen.
Vattenfall zum Beispiel setzt in seinem deutschen Strommix immer noch auf rund 80 Prozent Braunkohle. Hinzu kommen rund 10 Prozent Steinkohle.
In 2009 hatten die vier grossen Energieversorger zusammen einen Anteil an Wind- und Sonnenstrom in Deutschland von gerade einmal 0,5 Prozent. Das zeigt, wie schlecht aufgestellt gerade die Grosskonzerne für die zukünftige Energiewirtschaft sind.
Greenpeace: Die Energiekonzerne haben massiv von der Liberalisierung des Strommarktes 1998 profitiert. Die längst abgeschriebenen alten Atomkraft- und Kohlekraftwerke haben Strom billig produziert, der aber trotzdem teuer verkauft wurde. Wo ist das Geld hingeflossen?
Böhling: Zu den Shareholdern, den Aktienbesitzern. Diese Konzerne waren auf extrem hohe Renditen aus, das ist mit einer nachhaltigen Energieversorgung nicht vereinbar. Verschiedene Studien zeigen sehr gut, dass die Gewinne bei den grossen vier Stromkonzernen allein zwischen 2002 und 2008 auf über 100 Milliarden Euro angewachsen sind.
Parallel dazu ist zwischen 2000 und 2008 auch der Strompreis, unabhängig von staatlichen Abgaben und Instrumenten wie dem EEG, um 50 Prozent angestiegen. Es gibt also einen klaren Zusammenhang zwischen überzogenen Strompreisen und Konzerngewinnen.
Überteuerte Strompreise versteckten sich teilweise in überhöhten Netzentgelten. Das wurde dann durch die Politik erst 2006 mit der Netzregulierung korrigiert, als der Bundesnetzagentur die Kontrolle der Netzinfrastruktur übertragen wurde.
Die Zeit, in der mit Altkraftwerken überhöhte Renditen einzufahren waren, ist langsam vorbei. Wenn die Konzerne Player im Energiemarkt bleiben wollen, müssen sie sich auf den Kapitalmärkten mit höheren Krediten versorgen, um ihr Unternehmen zügig umzugestalten.
Da drücken natürlich auch noch andere Lasten wie die neu hinzugekommene Brennstoffsteuer. Vor diesem Hintergrund wird es nicht einfach sein, den versäumten Umbau im notwendigen Tempo voranzutreiben.
Greenpeace: Heisst das, der Strompreis könnte weiter steigen?
Böhling: Die Strompreise, das sagen alle Experten, werden in jedem Szenario, ob mit oder ohne Atomkraft, mit oder ohne Kohle, in den nächsten rund 20 Jahren steigen. Das liegt einfach daran, dass wir einen hohen Erneuerungsbedarf im Kraftwerkspark haben. Viele überalterte Kraftwerke müssen ersetzt werden. Und auf den Weltmärkten werden die Ressourcen für den Kraftwerksneubau teurer, Stahl zum Beispiel.
Hinzu kommt, dass wir auch einen Teil an Mehrinvestitionen brauchen für eine klimafreundliche und zukunftssichere Energieversorgung, also für Erneuerbare Energien. Die sind zum Teil heute noch etwas teurer, aber spätestens ab 2020 werden sie die Garanten für stabilere Strompreise sein. Die Kosten sinken schon heute sehr schnell. Im Bereich der Photovoltaik zum Beispiel gab es in den letzten Jahren Preissenkungen, die niemand für möglich gehalten hat.
Der dritte Faktor ist, dass die Netze modernisiert werden müssen. Auch dort ist in den letzten zehn Jahren sehr wenig passiert und das wird sicherlich in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren zu höheren Preisen führen.
Greenpeace: Die Versorger sollen auch Probleme haben, weil vor allem im Sommer sehr viel Solarstrom eingespeist wird. Sie werden also ihren Atom- und Kohlestrom nicht mehr los?
Böhling: Der Ausbau und Vorrang der Erneuerbaren bei der Einspeisung ins Netz führt dazu, dass die Grosskraftwerke in Zukunft nicht mehr so stark ausgelastet sein werden. Sie haben eine geringere Volllaststundenzahl und spielen weniger Einnahmen ein. Manche Kraftwerke werden sich gar nicht mehr rechnen. Durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien werden die konventionellen Kraftwerke tendenziell also unwirtschaftlicher.
Greenpeace: Womit wir wieder bei den hausgemachten Problemen sind. Für die Menschen, die durch den Atomausstieg ihren Arbeitsplatz verlieren, ist diese Erkenntnis allerdings kein Trost.
Böhling: Das ist wahr. Der Jobverlust betrifft vor allem das Wartungs- und Bedienungspersonal in den AKW. Den Betroffenen muss natürlich geholfen werden, um die Situation zu überbrücken. Der Rückbau der AKW führt aber andererseits dazu, dass ein hoher Anteil der Beschäftigten dort noch jahre- oder jahrzehntelang Arbeit finden wird.
Andererseits erwarten wir durch die Energiewende, im Bereich der Energiewirtschaft, nicht nur mehr Jobs als in der Vergangenheit in den Grosskraftwerken. Die Jobs werden auch ganz anders verteilt sein. Bisher waren die Arbeitsplätze sehr stark regional konzentriert: AKW vor allem im Süden, Kohlekraftwerke im Ruhrpott, je nach Standortbedingungen eben.
Durch die Erneuerbaren können wir eine bessere Verteilung hinbekommen, wir können auch im ländlichen Raum mehr Arbeitsplätze schaffen. Das sieht man heute schon. In Regionen, die in den letzten Jahren kaum mehr Chancen boten, zum Beispiel Werftstandorten wie Rostock oder Bremerhaven, gibt es jetzt neue Perspektiven durch die Offshore-Windkraft. In den ostdeutschen Regionen wie Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt gibt es hervorragende Perspektiven durch die Solarindustrie.
Das heisst: Die Energiewende bedeutet Umbruch, ja, und sie wird hier und da auch Konsequenzen für die Arbeitsplätze in bestimmten Unternehmen haben. Aber sie ist nicht die Ursache für den massiven Stellenabbau bei E.ON, RWE oder Vattenfall. Sie ist im Gegenteil eine riesige Chance für die ganze Gesellschaft und für kommende Generationen, auch in Bezug auf neue Jobs.
Greenpeace: Vielen Dank für das Gespräch!