Er hats schon wieder getan: Gregor Gysi und der Zionismus

Gysi legt in ND und taz nach - Stephan Steins antwortet Gregor Gysi

- von Stephan Steins  -

E in Gutes hat die aktuelle Debatte um “Antizionismus” in und um die sog. “Linkspartei” ja; es kristallisiert sich jetzt zunehmend heraus, worin eigentlich der Kern des Problems und die Quelle für tatsächliche oder vermeintliche Missverständnisse liegen.
Denn originär handelt es sich nicht um einen Diskurs zu “Antisemitismus”, als vielmehr um die Grundsatzhaltung zur nationalistischen Ideologie des Zionismus. Dies wird nicht zuletzt daran deutlich, dass Begriff und Thema von den Initiatoren der Kampagne aktuell zwar in auffälliger Weise vermieden werden, gleichwohl Gregor Gysi an anderer Stelle, wie auf der Veranstaltung “60 Jahre Israel” der sog. “Rosa-Luxemburg-Stiftung” im Jahre 2008 die Marschrichtung vorgegeben hatte. Damals sagte Gysi:

„Der Antizionismus kann für die Linke insgesamt, für die Partei DIE LINKE im Besonderen, keine vertretbare Position sein.“

Die aktuelle Debatte kommt also keineswegs aus dem Nichts, sondern wurde bereits seinerzeit ideologisch vorbereitet. Jetzt allerdings soll diese antisozialistische Position auch zu politischen Konsequenzen führen.

Gregor Gysi steht für diese Kampagne einmal mehr als Frontmann, hinter dessen breitem Rücken sich weitere Akteure in Stellung gebracht haben. Das Bekenntnis zum Zionismus, bzw. die Kolportage zentraler Propaganda und Desinformation des Zionismus, bedeutet auch ein klares Treuebekenntnis zum Grundkonsens der imperialen Rechten (= Kartell der bürgerlichen Parteien pro imperiale NATO/USA/EU).
Letzteres ist auch eine der Voraussetzungen, auf Bundesebene mit Parteien der imperialen Rechten Koalitionsfähigkeit herstellen zu können.

Linkspartei Gregor Gysi zionistische QuerfrontFür die SED/PDS/Linke geht es letztlich um nichts Geringeres, als die Definition ihrer Identität entweder als antifaschistische, oder aber als pro-zionistische und somit rechtsextreme Partei. Denn Antizionismus ist Antifaschismus.

Die Zionisten in der sog. Linkspartei machen sich den Umstand zu Nutzen, dass viele Mitglieder erhebliche Wissenslücken aufweisen; zum einen, was Entstehung und Inhalt der zionistischen Ideologie und Bewegung ab den 1880er Jahren betrifft, zum anderen und damit korrespondierend in Bezug auf Palästina und die Entstehungsgeschichte des zionistischen Projekts Namens “Israel” unter imperialistischer Mitwirkung.

Denn viele Zeitgenossen (in und ausserhalb der Linksparte) glauben (entsprechend der herrschenden Lehre und Mythen), dass die Verteidigung “Israels” synonym für die Verteidigung des Judentums stünde und dass “Israel” aufgrund der Verfolgung von Juden durch das NS-Regime gegründet wurde – dabei ist nichts falscher als das.
Mann muss also so manchem, der sich, ohne es zu wissen, für zionistische Positionen ereifert, zu Gute halten, dass er oder sie aus einer subjektiv humanistischen Überzeugung heraus handelt und einfach falsch informiert ist.

Wer sich ernsthaft an der Debatte beteiligen möchte – und dies sollten die Mitglieder der Linkspartei tun, wollen sie ihre Partei als linkes Projekt retten – sollte sich unbedingt mehr Hintergrundwissen aneignen.
Empfohlen sei bspw. die Filmdokumentation ”Palästina – Al Nakba. Die Geschichte Palästinas und der grossen Katastrophe (Nakba) durch die zionistische (israelische) Vertreibung und Besatzung”.
Diese Dokumentation ist ein MUSS für jeden, der die historischen Ursprünge, bspw. die gewaltsame Niederschlagung der palästinensischen Revolution von 1936 durch den britischen Imperialismus im Dienste des Zionismus, und politischen und völkerrechtlichen Konsequenzen internationaler Politik in Nahen Osten, respektive Palästina verstehen möchte.
→ Filmdokumentation: Palästina – Al Nakba 

Gregor Gysi hat gestern (Online-Ausgaben) in den Zeitungen “Neues Deutschland” (ND) und “die tageszeitung” (taz) zwei weitestgehend gleichlautende Interviews gegeben.
Wir wollen uns zentrale Punkte in seinen jüngsten Aussagen genauer ansehen und aufzeigen, wo Gregor Gysi falsch liegt.
Zitat Gysi:

„Es gibt bei einigen auch in unseren Reihen zu viel Leidenschaft bei der Kritik an Israel. Die gibt es nicht bei Ägypten, nicht bei Libyen, inzwischen nicht einmal mehr bei den USA – aber sofort, wenn es um Israel und Palästina geht. Das macht mich nachdenklich.“

Würde Gregor Gysi weniger Spiegel und Co. und mehr Rote Fahne lesen, wüsste er, dass dies grober Unfug ist. Dieses “Argument”, das auch gerne von Henryk M. Broder und anderen Berufszionisten vorgetragen wird, impliziert die perfide Unterstellung, man würde sich mit Israel beschäftigen, weil dahinter eine “antisemitische” Einstellung stünde.

Die Wahrheit ist, dass das Palästina/Nahost-Problem und der Themenkomplex Zionismus und Israel nunmehr seit über einem halben Jahrhundert die Weltöffentlichkeit in Atem hält. In der jüngeren Vergangenheit u.a. auch durch das Massaker in Gaza und der noch andauernden völkerrechtswidrigen Blockade.

Zudem das zionistische Regime über Atomwaffen verfügt, das westliche Militärbündnis gerade im arabischen Raum durch militärische Gewalt versucht Volksaufstände unter seine Kontrolle zu bringen und ein möglicher Krieg gegen Iran, mit der Atommacht Israel als Brückenkopf, droht, die Welt in einen atomaren Holocaust zu stürzen.
Zitat Gysi:

„Einstaatenlösung (…) Das würde den Wunsch ausdrücken, dass Israel nicht mehr existiert, also dass Israel und Palästina ein Staat sind. Das dürfen Deutsche nicht fordern. (…) Auch jeder deutsche Linke muss begreifen: Deutsche Geschichte bindet nicht nur Konservative, sondern auch ihn. (…) Wir müssen Grenzen der Kritik an Israel setzen, die mit dem Holocaust zu tun haben. Das hat die Fraktion getan.“

Also ich weiss nicht, in welcher politischen Tradition sich Gregor Gysi sieht, aber deutsche Antifaschisten und Sozialisten dürfen selbstverständlich alles fordern, was ihre Verantwortung vor der Geschichte von ihnen verlangt.
Und sie haben selbstverständlich nicht nur jedes moralische Recht, sondern auch die historische Pflicht – gerade aufgrund der deutschen Geschichte – all das zu formulieren, was ihnen relevant erscheint.

Was für eine absurde Verdrehung der Historie und der politischen Realitäten, wenn ausgerechnet die nationalistische, rassistische Ideologie des Zionismus, die mit dem NS-Regime in Sachen Israel gegen jüdische Interessen kollaborierte [1], Antifaschisten und Sozialisten, die unter dem NS-Regime nicht minder gelitten haben als Juden, glaubt maßregeln zu können.

Religiöse Juden – nicht Zionisten – verwehren sich ebenso vehement gegen diese Geschichtsklitterung. Zionismus ist mit der jüdischen Religion unvereinbar.

Video: Jüdische Rabbiner zum Verhältnis Deutschlands zum Zionismus und Israel

Und das Leiden von Juden während des zweiten Weltkriegs wird durch den Zionismus zur Durchsetzung seiner Ziele schamlos missbraucht.

Zitat Gysi:

„Juden waren über 2.000 Jahre lang in allen Ländern, in denen sie lebten, eine kleine, ausgegrenzte Minderheit.“

Auch das ist derart verallgemeinert historisch falsch. Juden lebten als Religionsgemeinschaft in den meisten Ländern friedlich mit anderen Religionsgemeinschaften und der übrigen Bevölkerung zusammen. Pogrome – auch gegen andere Religionen – gab es in der Geschichte verschiedentlich.
In Palästina jedoch lebten Juden vor der zionistischen Invasion in Eintracht mit der übrigen Bevölkerung. Tatsächlich werden religiöse Juden heute in den besetzten Gebieten Palästinas durch die Zionisten verfolgt.

Video: Don’t Use the Holocaust to Justify Zionism

Zitat Gysi:

„Es geht nicht, dass Deutsche nach dem Holocaust Juden das Recht auf einen jüdischen Staat streitig machen.“

“Israel” ist kein jüdischer Staat. Israel ist ein zionistisches Projekt und Zionismus ist mit dem Judentum unvereinbar. Die Behauptung der Zionisten und des zionistischen Regimes, sie würden weltweit das Judentum repräsentieren, ist vollständig absurd.
Darauf weisen uns religiöse Juden und jüdische Gemeinden immer wieder hin:

„Deutschland und vor allem die Menschen hier in der deutschen Hauptstadt Berlin müssen von der Tatsache in Kenntnis gesetzt werden, dass die Unterstützung des Zionismus und des Staates, der sich “Israel” nennt, dem jüdischen Volk und dem Judentum nicht hilft.
Im Gegenteil. Diese Art der Unterstützung trägt nur dazu bei, die tragische und offenkundig ausweglose Situation und das damit verbundene nicht enden wollende Blutvergießen im Nahen Osten zu verewigen und Juden überall auf der Welt Gefahren auszusetzen. (…) De facto ist es so, dass der Zionismus der ursächliche Grund für die weltweite Zunahme von Antisemitismus darstellt.
Den Staat “Israel” nicht zu unterstützen, ihn zu kritisieren oder abzulehnen, dies alleine macht niemanden zum Antisemiten oder zu einem schlechteren Freund des jüdischen Volkes. (…)
Unsere Heilige Thora verbietet es ausdrücklich, einen eigenen Staat wo auch immer auf der Welt während dieser Zeit des Exils zu errichten oder mit Gewalt gegen ein anderes Volk vorzugehen. Vor allem jedoch nicht in Palästina!

Die zionistisch-nationalistische Ideologie ist nicht nur eine Leugnung der fundamentalen Lehren der Thora bezüglich unseres Exils sowie der Erlösung der gesamten Menschheit.
Nein, diese Ideologie in all ihren Schattierungen drückt auch ein Frontalangriff auf das Judentum als solches aus und gleichgültig wer diese Ideologie und ihren Staat unterstützt oder fördert, macht sich an der Vernichtung der jüdischen Religion und somit des jüdischen Volkes mitschuldig.
Ständige Spannungen mit anderen Nationen braucht der Zionismus, um sich rechtfertigen und vor der Welt legitimieren zu können.
Zionismus und Antisemitismus sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.“ [2]

Zitat Gysi: (Frage: Und wer zum Boykott israelischer Waren aufruft, ist der ein Antisemit?)

„Da gibt es in Deutschland zumindest eine Nähe zum Antisemitismus. Derartige Aufrufe erinnern an die Nazi-Losung »Kauft nicht bei Juden!«
Es gibt bestimmte Themen und Formulierungen, die sind aufgrund der deutschen Geschichte ein Tabu.“

Ach, ist das so? Wer sind eigentlich die Wächter über unsere deutsche Sprache, wer legt fest, was und warum gesagt/gefragt, wie formuliert werden darf und was nicht?
Herr Gysi, als Intellektueller deutscher Sprache sage ich Ihnen, dass Sie da einmal mehr Blech reden. Wir benötigen keine imperialen Tugendwächter, die uns sogar unsere Sprache diktieren und somit über unser nationales Geistesleben herrschen wollen. Gerade als Sozialist weise ich das Ansinnen zurück, über den manipulativen Missbrauch von Historie Herrschaftsgewalt ausüben zu wollen.
Nehmen Sie und ihre imperialen Freunde zur Kenntnis, dass eine neue Generation aufgestanden ist, auch hierzulande die imperiale Fremdherrschaft abzuschütteln. Und in diesem Sinne stehen wir auch international an der Seite aller Unterdrückten und Opfer von Krieg, Faschismus, Kapitalismus und der imperialen Entwicklung.

  1. Buchvorstellung: Zionismus und Faschismus – von Lenni Brenner
  2. Berliner Manifest des wahren und religiösen Judentums, 09.01.2010

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