H amburg, Berlin – Klaus Ernst, seines Zeichens einer der beiden Vorsitzenden der SED/PDS/Linke, hielt am Samstag auf dem Hamburger Landesparteitag seiner Partei eine Rede, die zumindest ihrem Geist nach eine offenere und offensivere Debatte um linke Grundsatzfragen verheisst.
Ernst liess sich u.a. wie folgt ein:
„Ich werde von nun an die Debatte als das führen, was sie ist: eine politische Kursdebatte, in der es darum geht, ob DIE LINKE der SPD und den Grünen in die politische Beliebigkeit folgt …“ [1]
Seit rund zwei Wochen rumort und poltert es in der Medienlandschaft und innerhalb der Partei. Wesentlich mit dazu beigetragen hat auch das Interview, welches Sahra Wagenknecht der Roten Fahne gegeben hatte. [2]
Wobei weniger das was sie sagte für Aufmerksamkeit gesorgt haben dürfte, als vielmehr der Umstand, dass sie dies in der Roten Fahne tat. Denn mit Wagenknecht hatte jetzt erstmals eine führende Repräsentantin der Partei der sozialistischen Presse ein Interview gewährt. Offenbar Grund genug in den unterschiedlichen innerparteilichen Strömungen, als auch der Mainstream-Presse die Alarmglocken läuten zu lassen.
In seiner Rede spricht Klaus Ernst viel Wahres aus und scheut sich auch nicht, über den üblichen belanglosen und unverbindlichen „Funktionärs-Sprech“ hinaus zu gehen. Allerdings ist an der Kritik auch nichts wesentlich Neues, was man nicht bereits in den vergangenen Jahren in der Roten Fahne so oder ähnlich lesen konnte.
Die andere Parteivorsitzende, Gesine Lötzsch, warnte am 10.04. noch in der ARD-Sendung “Bericht aus Berlin” vor einer Spaltung der Partei:
„Eine Spaltung würde die Partei nur schwächen. Es geht nur gemeinsam und nicht getrennt.“
Tatsächlich liegen die Probleme der Linkspartei in der grundsätzlichen Definition ihrer politischen Identität. Das hat auch Klaus Ernst erkannt und führte in seiner Rede aus:
„Es ist deshalb schwierig aber notwendig, dass wir jetzt eine grundsätzliche Verständigung über den künftigen Kurs der LINKEN einleiten.“
Ob es ohne eine Trennung der unterschiedlichen politischen Lager in zwei verschiedene Parteien gehen kann, ist aktuell allerdings mehr als fragwürdig und im Wesentlichen abhängig von den innerparteilichen Kräfteverhältnissen.
Diese derzeit zuverlässig einschätzen zu können ist deshalb kaum möglich, da teilweise Positionen zu Einzelfragen quer durcheinander gehen.
Zu den grundsätzlichen Herausforderungen gehört vor allem jene nach der politischen und damit korrespondierend strategischen Positionierung der Partei. Dies beginnt bereits mit der Interpretation der auch als “Globalisierung” beschriebenen internationalen Entwicklung.
Wer Koalitionen mit der SPD anstrebt und dies auch noch als Leitmotiv kommuniziert, strebt damit auch einen Platz an der Seite der imperialen Rechten an, also jenem Parteienkartell, pro NATO, pro Kriege (imperiale Kriege um Geostrategie und Ressourcen zur Aufrechterhaltung der in ökonomische Klassen strukturierten Konsum-Moderne), pro Totalüberwachung und internationalem Terror, für globalen Kapitalismus und seine imperiale Finanzoligarchie, vor allem auch unter Missachtung des Völkerrechts und Auflösung jeglicher bürgerlicher Freiheits- und Rechtsnormen zugunsten von, den republikanischen Nationalstaaten übergeordneten, Institutionen. [3]
Sozialistische Politik hingegen schliesst die Kollaboration mit der imperialen Rechten aus. Diese beiden grundsätzlichen Positionen stehen sich antagonistisch gegenüber.
Die aktuell verstärkt hochkochenden Probleme der Partei gründen in der Ignoranz, im Aussitzen dieser historischen und politischen Grundsatzfrage – wobei verhängnisvoll ist, dass dieser Diskurs gleichwohl in der Gesellschaft, nicht nur in Deutschland, sondern europaweit, intensiv geführt wird.
Dass die deutsche Linkspartei sich diesem Diskurs völlig verweigert, hat wiederum Auswirkungen auch auf die Glaubwürdigkeit in politischen Alltagsfragen. Bspw. ist es wenig überzeugend, wenn angesichts der Öffnung der Grenzen für Billiglohnarbeiter aus Osteuropa zwar richtigerweise ein gesetzlicher Mindestlohn gefordert wird – jedoch das eigentliche Problem, der Verlust nationaler Souveränitätsrechte zugunsten des undemokratischen EU-Zentralismus, allenfalls als Randnotiz Beachtung findet.
Nach 1989/90 und 2004-2006 steuert die SED/PDS/Linke nunmehr ein drittes mal auf eine Grundsatzdebatte zu Identität und Charakter der Partei zu. Moderne sozialistische Partei oder linker Flügel der Sozialdemokratie im Kartell der imperialen Rechten – um nichts Geringeres geht es im Kern.
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→ Die Rote Fahne ruft Beirat zum Parteibildungsprozess an, 22.01.2006
- Klaus Ernst: Für einen neuen sozial-ökologischen Gesellschaftsvertrag, 16.04.2011 ↩
- Sahra Wagenknecht im Rote Fahne Interview, 05.04.2011 ↩
- Zur politischen Topographie des 21. Jahrhunderts, 02.04.2011 ↩