D er frühere italienische Staatspräsident Alessandro Pertini, der ein grosser Kämpfer gegen den italienischen Faschismus war, immer geraucht hat und 94 Jahre alt geworden ist, hat einmal gesagt:
„Toleranz kann man von den Rauchern lernen, denn noch nie hat sich ein Raucher über einen Nichtraucher beschwert.“
Was hat sich da verändert?
Unter den gegenwärtigen neoliberalen Bedingungen zieht sich der Staat immer weiter aus gesellschaftlichen Belangen zurück.
Die Bevölkerung lebt so im ständigen Gefühl, vom Staat im Stich gelassen zu werden: Soziale Ressourcen werden privatisiert, das gesellschaftliche Feld den Stärkeren überlassen. Hier entsteht ein stark wachsendes Bedürfnis nach mehr Schutz durch den Staat.
Wenn es aber darum geht, die Finanzmärkte besser zu kontrollieren, dafür zu sorgen, dass mehr Menschen an die Universität kommen können, dass die Pensionen garantiert sind, dass niemand Angst haben muss, seinen Arbeitsplatz zu verlieren, findet die Politik zurzeit keine Mittel.
Anstatt dieses Scheitern einzugestehen, wendet sie sich dann Nebenschauplätzen zu und wird dort hyperaktiv.
Die Rauchverbote sind ein Beispiel dafür. Dort tut die Politik dann so, als würde sie die Menschen beschützen. Ich nenne das Pseudopolitik.
Pseudopolitik?
In einem Wiener Witz sagt der bekannte Graf Bobby, der seine verlorene Geldbörse sucht, er habe diese zwar hinter der Oper verloren, er suche sie aber lieber vor der Oper, weils dort heller sei. So könnte man Pseudopolitik auch gut beschreiben.
Das Rauchverbot schützt doch immerhin das Personal und die Nichtraucherinnen und Nichtraucher in den Lokalen
Oh nein! Die Politik will in Wirklichkeit niemanden schützen, sondern sie will Kosten privatisieren. Das Rauchverbot ist ein Schritt hin zum Ende des Solidaritätsprinzips bei den Krankenkassen.
Man will sicherstellen, dass in Zukunft Krankheit als etwas Selbstverschuldetes begriffen werden kann und auch selbst bezahlt werden muss.
Wenn im öffentlichen Raum nicht mehr geraucht wird, und Sie kriegen Lungenkrebs, wird Ihre Krankenkasse irgendwann sagen, dass Sie wohl zu Hause geraucht haben. Sie wird sagen: „Sie sind doch selber schuld, und wir bezahlen ihre Krankheit nicht oder nur zu einem kleinen Teil.“
Das ist der Skandal dabei: Das sehr berechtigte Bedürfnis der Menschen nach staatlichem Schutz wird ausgenützt, um die Menschen wieder einmal staatlicher Solidarität zu berauben.
ganzer Artikel → WOZ – Die Wochenzeitung (Zürich)
Robert Pfaller (47) ist Professor für Philosophie an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.
Gast professuren in Amsterdam, Berlin, Chicago, Oslo, Strassburg, Toulouse, Zürich.
Gründungsmitglied der Wiener Forschungsgruppe für Psychoanalyse Stuzzicadenti.
2007 ausgezeichnet mit dem Preis «The Missing Link» des Psychoanalytischen Seminars Zürich.
Unter anderem hat Pfaller folgende Bücher veröffentlicht: «Ästhetik der Interpassivität» (philo fine arts. Hamburg 2009), «Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft. Symptome der Gegenwartskultur».(S. Fischer. Frankfurt am Main 2007), «Die Illusionen der anderen. Über das Lustprinzip in der Kultur» (Suhrkamp. Frankfurt am Main 2002).
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