In meinem Beitrag zu dieser Debatte möchte ich mich als Nichtmitglied lediglich auf einige zentrale Aussagen allgemeinerer Natur innerhalb des sozialistischen Diskurses beschränken – im Rahmen des offenen Diskussionsforums der DKP auf kommunisten.eu
Ausgangslage
Grundsätzlich verstehe ich die Aufgeregtheit einiger Diskussionsteilnehmer nicht, die angesichts einer lebhaften und teils kontroversen Debatte den Untergang des “sozialistischen Abendlandes” wittern und eine solche für schädlich halten.
Die Arbeiterbewegung hat nach der russischen Revolution u.a. Stalinismus, “Realsozialismus”, Mauerbau, 1989 und schliesslich zwei Jahrzehnte der Selbstreflexion, beim einen mehr, beim anderen weniger, zu verarbeiten gehabt.
Nun kann man sich auf die Position stellen, dass diese Geschichte der Arbeiterbewegung umfänglich aufgearbeitet und verbalisiert wurde und die Ergebnisse in wissenschaftlich fundierte Schriften und Programme etc. eingeflossen sind.
Ist also bereits alles gesagt, haben wir als Marxisten unsere historischen Hausaufgaben hinreichend erledigt?
Ich mache mal eine andere Rechnung auf: Keiner Organisation mit sozialistisch linkem / kommunistischen Selbstverständnis und auch nicht der Klasse als solcher ist es in Deutschland in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten auch nur ansatzweise gelungen, einen Angriff des Kapitalismus auf demokratische und soziale Grundrechte abzuwehren (geschweige denn Verbesserungen zu erkämpfen).
Soweit die nüchterne Faktenlage.
Wie ist es also um unsere vermeintliche Wissenschaftlichkeit bestellt, wenn wir gesellschaftlich und historisch nicht die geringste Rolle spielen, während sich augenscheinlich ein kapitalistisches Imperium formiert – dazu gibt es unterschiedliche Einschätzungen – und ein bislang ungekannter, weltumspannender Klassenkampf (von oben) die verheerendsten Konsequenzen in Bezug auf demokratische, emanzipatorische und soziale Rechte, sowie die globale Ökologie hervorbringt?
Also ich habe Marxismus dem Wesen nach immer so verstanden, dass Kommunisten ihr Wirken in Theorie und Praxis stets entlang der Realität ausrichten, stets analysieren und reflektieren – und ganz wichtig: sich selbst stets kritisch hinterfragen.
Marx, Engels, Lenin und andere sind auch nicht deshalb zu Klassikern des wissenschaftlichen Sozialismus avanciert, weil sie die Antworten zu den Herausforderungen ihrer Zeit in zu Glaubenssätzen erhobenen Diskursen und Schriften gesucht, sondern vielmehr konkrete Antworten auf konkrete Fragen in konkreten Situationen formuliert und erst dann in ihren theoretischen Arbeiten darauf basierend objektive Verallgemeinerungen erarbeitet hatten.
Sie leiteten also die Theorie aus der Praxis ab – und nicht umgekehrt.
Dabei waren ihnen drei zentrale Themenbereiche heutiger Problemstellungen und Herausforderungen entweder gar nicht oder noch nicht in deren, vor allem soziologischer, Tragweite bekannt:
- Hyperpopulation (als 1848 das “Manifest der Kommunistischen Partei” erschien, lebten auf dem Planeten nur rund 1 Milliarde Menschen),
- Mediengesellschaft (strukturelle Veränderung gesellschaftlicher Wahrnehmung und Kommunikation)
- und nicht zuletzt 3. die nachhaltige Diskreditierung des sozialistischen Projekts durch Stalinismus und “Realsozialismus”. (Auch wenn man zu letzterem Punkt inhaltlich unterschiedlich stehen mag, so bleibt doch der Fakt, dass diese historische Erfahrung massiv auf den gesellschaftlichen Diskurs einwirkt)
Sozialistische Demokratie
Hans-Peter Brenner zitiert in seinem Diskussionsbeitrag vom 10.02.2010 aus den “Thesen”:
„Wir wissen, dass sich vermeintliche oder tatsächliche Mehrheitsinteressen nicht durch eine Minderheit durchsetzen lassen“, und erwidert:
„Klingt gut. Aber wie kommen die Autoren der Thesen überhaupt dazu, dass die sozialistische Revolution im Verständnis der Kommunisten eine Minderheitenaktion sein soll.
Ist nicht die Arbeiterklasse, das werktätige Volk, und seine Verbündeten die übergroße Mehrheit, die den Sturz der Minderheit der Reichen, der Besitzenden der Kapitalisten im Interesse eben dieser absoluten Mehrheit des Volkes durchführen muss?“
Und Robert Steigerwald schreibt/fragt in einem Beitrag:
„Umfangreich ist die Rede von Demokratie, von demokratischem Weg. [...] Was also soll die vernebelnde Formulierung des „demokratischen Wegs“ wirklich bezwecken?“
Das ist eine jener Äusserungen/Fragen, welche mir völlig schleierhaft sind. Also, in der Welt, die ich wahr nehme, fragt mich jeder und jede, unabhängig des subjektiven soziokulturellen Umfelds oder der objektiven Klasse, denen ich den Sozialismus näher bringen will, stets als Erstes: „Klingt gut, aber wie haltet ihr es mit Demokratie?“
Die Autoren der “Thesen”, vermute ich mal, kommen vor allem aus zwei Gründen dazu, auf dieses Thema explizit einzugehen: Dies sind zum einen die historischen Erfahrungen mit Defiziten sozialistischer Demokratie, mit der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, wie die Welt diese im zurückliegenden Jahrhundert erlebt und zutiefst verinnerlicht hat.
Und ferner hatte sich mit dieser Frage Rosa Luxemburg bereits im Jahre 1918 in ihrer Schrift “Zur russischen Revolution” kritisch auseinander gesetzt, als sie schrieb:
„Es ist die historische Aufgabe des Proletariats, wenn es zur Macht gelangt, an Stelle der bürgerlichen Demokratie sozialistische Demokratie zu schaffen, nicht jegliche Demokratie abzuschaffen.
Sozialistische Demokratie beginnt aber nicht erst im gelobten Lande, wenn der Unterbau der sozialistischen Wirtschaft geschaffen ist, als fertiges Weihnachtsgeschenk für das brave Volk, das inzwischen treu die Handvoll sozialistischer Diktatoren unterstützt hat. Sozialistische Demokratie beginnt zugleich mit dem Abbau der Klassenherrschaft und dem Aufbau des Sozialismus. Sie beginnt mit dem Moment der Machteroberung durch die sozialistische Partei.“
Es geht bei dieser Frage also um eine überzeugende Kommunikation der eigenen Interpretation sozialistischer Demokratie, sowie darum, mit der Zielgruppe, dem revolutionären Subjekt Arbeiterklasse, in einen Dialog zu treten und auf Bewusstsein und Ereignishorizont der Rezipienten einzugehen.
Da bringt es rein gar nichts, lediglich auf historische Positionen zu verweisen, begleitet von dem Nachsatz, „wir haben ja schon immer Recht gehabt“, sondern eine konkrete wie virulente gesellschaftliche Frage verlangt nach einer glaubwürdigen Antwort – die offenbar bislang nicht gegeben wurde oder aber nicht hinreichend vermittelt werden konnte.
Beide Defizite – sofern wir diese überhaupt zur Kenntnis nehmen – geben uns Hinweis darauf, dass wir ganz offensichtlich etwas falsch machen. Und dies Wiederum kann für Marxisten nur die Konsequenz bedeuten, das eigene Wirken radikal in Frage zu stellen.
Wenn wir eine Debatte also auf diesem Bewusstsein gründen, kann eine solche nie destruktiv sein. Es ist möglich, dass Menschen scheitern, dass nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt werden, jedoch gibt es zum konstruktiven Diskurs keine Alternative.
Besonders absurd empfinde ich Brenners Polemik, bezüglich der Frage nach sozialistischer Demokratie mit folgendem Gleichnis aufzuwarten:
„Ich frage mich, hatten die Kommunisten und Sozialisten in Chile 1973 dann also „zu wenige“ Ansätze für eine „partizipative, demokratische“ Macht eingeräumt, so dass der Konterrevolution schließlich gar nicht anderes übrig blieb als gegen diese „un-partizipative und un-demokratische“ Macht zu putschen?“
Die “Thesen” beantworten diese Frage und Brenner selbst zitiert die entsprechende Passage:
„Um das Errungene zu verteidigen, bedarf es keiner Diktatur, sondern der Entschlossenheit der neuen demokratischen Macht, jeder gewaltsamen Konterrevolution, gestützt auf die Mehrheit der Bevölkerung, mit Gewalt entgegenzutreten.“
Wenn wir, auch im Sinne Rosa Luxemburgs, von sozialistischer Demokratie sprechen, dann konkretisieren wir einen zentralen Bestandteil dessen, was wir unter Befreiung der Arbeiterklasse verstehen, wenn es im Manifest der Kommunistischen Partei heisst:
„Der erste Schritt in der Arbeiterrevolution [ist] die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse, die Erkämpfung der Demokratie.“
Militärische oder individuelle Gewaltanwendung gegen (bürgerliche wie sozialistische) Demokratie ist ein Verbrechen, welches es zu bekämpfen und zu ahnden gilt. Es ist eine widersinnige Absurdität daraus schlussfolgern zu wollen, mann müsse die Demokratie selbst einschränken, um dem Angriff auf diese begegnen zu können.
Was ich selbst abschaffe, kann evidenter Weise auch nicht mehr gegen Angriffe verteidigt werden.
Als 1989 die Arbeiterklasse der DDR das (jedenfalls so empfundene) autoritäre DDR-Regime stürzte, stellte sie faktisch die Frage nach sozialistischer Demokratie. Aber weder die damals Aufbegehrenden, noch das politische und wissenschaftliche Establishment der DDR verfügten über die Gesellschaft (auch nicht die Klasse für sich) überzeugende Antworten.
Das System brach deswegen wie ein Kartenhaus in sich zusammen und konnte in der Folge die DDR annektiert werden, weil es sich nicht auf fest verankerte demokratische Strukturen stützen konnte.
Als die Menschen schliesslich die Möglichkeit der freien Wahl hatten, hatten sie erstmal vom “Sozialismus” – bzw. dem was sie unter diesem Begriff kennen gelernt hatten – mehrheitlich verständlicher Weise die Schnauze gestrichen voll.
Willi Gens schreibt in einem Beitrag:
„Was soll da die Polemik gegen die „Fähigkeit etwas zu erzwingen“? Wird nicht begriffen, dass der Sinn der „Gewaltanwendung“ gerade darin besteht, „etwas zu erzwingen“, nämlich die Niederlage der gewaltsamen Konterrevolution?“
Ich glaube, in diesem Punkt sind wir uns alle einig. Ich kenne niemandem mit marxistischem Selbstverständnis, der dem „Proletariat als herrschender Klasse“ (Kommunistisches Manifest) das Recht absprechen wollte, eine gewaltsame Konterrevolution durch die Anwendung von Gegengewalt niederzuschlagen.
Der Dissens bei diesem Thema dürfte in der Interpretation dessen liegen, was man alles unter “Konterrevolution” subsumieren möchte.
Ist die freie Organisation von Arbeitern bspw. in einem Betrieb zu einem Arbeiterrat oder einer Gewerkschaft, die sich jenseits der offiziellen Parteilinie vollzieht, bereits “Konterrevolution” – oder handelt es sich dabei um das emanzipatorische, marxistische Recht der Selbstorganisation?
Die Debatte heute, die in der Linken, in wie ausserhalb der DKP, geführt wird, ist im Grunde nichts Geringeres, als die späte Fortführung des Diskurses des X. Parteitags der KPdSU im Jahre 1921, als es um das Parteien- und Fraktionsverbot ging, welches den verhängnisvollen Paradigmenwechsel in der Geschichte der Arbeiterbewegung einleitete.
Dies war der höchst untaugliche Versuch, eigene Unzulänglichkeiten in Theorie und Praxis und damit korrespondierend der Bewältigung wirtschaftlicher Herausforderungen und Probleme durch autoritär-administrative Maßnahmen Herr werden zu können.
Eine Partei und eine Gesellschaft jedoch, welche ihre intellektuellen Potentiale konditioniert, beraubt sich ihrer eigenen Korrektive und ist zu Stagnation und Verfall verdammt – quod erat demonstrandum durch den historischen Verlauf.
Es gibt in der Frage der sozialistischen Demokratie eine Zäsur durch diesen X. Parteitag von 1921, welche einen Bruch mit dem Marxismus und der bis dahin geltenden sozialistischen / kommunistischen Tradition – und Identität – bedeutete. Und es gehört zur ganzen traurigen Wahrheit, dass Lenin und Trotzki diese Entscheidung, diesen neuen Weg mit zu verantworten hatten. Es handelte sich um eine historische Fehlentscheidung, die wir heute kritisch auch als solche benennen und aufarbeiten müssen.
Nun wird mitunter argumentiert, dass dieses Parteien- und Fraktionsverbot aber Revolution und Sowjetmacht gesichert hätten. Das ist falsch.
Revolution und Sowjetmacht wurden ja ihres emanzipatorischen – ihres marxistischen – Wesens beraubt und gerettet wurde lediglich die äussere Erscheinungsform.
In der Folge etablierte sich ein repressives Regime, dessen erste Opfer nicht etwa Konterrevolutionäre, sondern zentrale Protagonisten der Revolution wie Leo Trotzki wurden.
“Marxismus-Leninismus”
In diesem Kontext wird mitunter von der Verteidigung des “Marxismus-Leninismus” gesprochen. Und wie ich jetzt gelesen habe, steht dieser vermeintliche Begriff sogar im Programm der DKP.
Hier liegt eines der grössten Missverständnisse im theoretischen Verständnis des wissenschaftlichen Sozialismus vor.
Brenner zitiert:
„Sie (die DKP) kämpft für die freie Verbreitung des Marxismus-Leninismus“. (DKP Programm S. 46)
Diese Begriffsbildung vom “Marxismus-Leninismus” stammt aus der Propaganda des Stalinismus ab Mitte der 1920er Jahre – den meisten erzähle ich da sicher nichts Neues. (Der Terminus “Stalinismus” wird hier als politischer Begriff verwendet)
Sie diente dazu, Kritiker des Stalinismus aus dem politischen (kommunistischen) Diskurs auszugrenzen und als Nichtmarxisten, Nichtleninisten und somit schliesslich als Nichtkommunisten, letztendlich als Agenten der Konterrevolution zu diffamieren.
Hier wurde eine Logik etabliert, die über das Parteien- und Fraktionsverbot aus dem Jahre 1921 bis hin zum autoritären Gebaren und Terror des Stalinismus führte und durch einen vermeintlich wissenschaftlichen Begriff legitimiert werden sollte.
Eine umfassende Beleuchtung des Stalinismus wäre ein Thema für sich – wir wollen hier lediglich noch einmal näher auf die vermeintliche “Wissenschaftlichkeit” dieses vermeintlichen “Begriffs” eingehen.
Hält man Stalin und seine Ergüsse für “Wissenschaft”, wäre eine solche Argumentation im Detail zu erörtern. Da die DKP Stalin nicht zu den sozialistischen Klassikern zählt und sich auch sonst nirgends auf diesen beruft, setze ich im Weiteren Übereinstimmung darin voraus, dass Stalin und sein “Werk” keinen relevanten Bezugspunkt bilden.
Wo, ausser in der Propaganda des Stalinismus oder daraus resultierend, finden wir dennoch einen klassischen Bezugspunkt, der diesen “Begriff” rechtfertigen würde?
Hans-Peter Brenner führt in Bezug auf die Frage nach den “Klassikern” einige Namen bekannter Kommunistinnen und Kommunisten, Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung auf und formuliert dann:
„Wir würden sagen: das sind alles herausragende Kommunistinnen und Kommunisten gewesen. Dennoch sind sie nicht vom selben Range wie Marx, Engels und Lenin. Das gilt dann aber auch für R.-Luxemburg und A. Gramsci. Sie gehören zur gleichen Kategorie wie die anderen genannten Namen.“
Hier wird also ein Koordinatensystem, eine Hierarchie aufgemacht, die proletarische Intellektuelle, Wissenschaftler des Sozialismus in “Ränge” kategorisiert.
Damit habe ich deshalb grundsätzlich Bauchschmerzen, u.a. weil hierbei normale Sterbliche ikonisiert und der Kritik entzogen werden, was dem Selbstverständnis der Betroffenen nicht gerecht wird.
Marx, Engels, Lenin – alles Genies, keine Frage. Aber rangiert bspw. Rosa Luxemburg in ihrer intellektuellen Leistung wirklich “unter” Lenin? Oder in ihrer historischen Bedeutung? Ich habe da meine Zweifel und halte dies für zumindest diskussionswürdig.
Generell vermag ich in einer solchen Betrachtungsweise Sterblicher weder einen wissenschaftlichen Beitrag, noch eine Versachlichung oder Zweckdienlichkeit zu erkennen.
Jede Zeit hat ihre Intellektuellen und Aufgabe dieser ist es, in ihrer Zeit, unter den herrschenden Bedingungen und Möglichkeiten ihrer Zeit, die Fackel so gut es geht ein Stück weiter zu tragen.
Verklärungen, Überhöhungen und Ikonisierungen versperren letztlich den Blick auf das eigentliche Werk und erschweren die sachliche Auseinandersetzung. Schlimmstenfalls droht die Vereinnahmung durch Personen, denen sich das zentrale Wesen des intellektuellen, wissenschaftlichen Werks nicht erschliesst, bis hin zu Religionsbildung und Missbrauch – wie im Falle des “Marxismus-Leninismus” unter Stalin.
Als Sozialisten / Kommunisten nehmen Linke, nicht nur die DKP, politischen und historischen Bezug auf die KPD und ihre Mitgründer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.
Jedoch weder in den Protokollen des Gründungsparteitages der Kommunistischen Partei Deutschlands (vom 30. Dezember 1918 bis 01. Januar 1919), noch im Programm der Kommunistischen Partei Deutschlands zu diesem Gründungsparteitag finden sich die Begriffe “Marxismus”, “Leninismus” und natürlich erst recht nicht “Marxismus-Leninismus”.
Selbstverständlich ist es legitim, zum Begriff des “Marxismus-Leninismus” vorzutragen oder die Notwendigkeit eines solchen begründen zu wollen.
Nicht legitim ist es jedoch, zu behaupten, diesem käme eine identitätsstiftende, gar historische Bedeutung in der originären Definition kommunistischer Identität zu. Denn dies entspricht schlichtweg faktisch nicht der Wahrheit.
Sofern also nach dem Ableben von Marx, Engels, Liebknecht, Luxemburg, Lenin und anderen posthum ein Wissenschaftsverständnis nebst normativem Begriffsinstrumetarium konstituiert wurde, so muss darauf verwiesen werden, dass ein solches der Interpretation nachgeborener Denker entsprungen ist.
Und dieser Umstand macht entsprechende Interpretationen, mögen diese auch einer seriösen wissenschaftlichen Forschung entstammen, zum verhandelbaren Gegenstand des allgemeinen gesellschaftlichen Diskurses – und sind eben kein konstituierendes Moment originärer sozialistischer / kommunistischer Identität.
Sozialistische / Kommunistische Identität
Dieses aus meiner Sicht falsche wissenschaftliche Verständnis zieht sich durch weite Teile der Diskussion.
So äussert sich Hans-Peter Brenner u.a. zum Thema kommunistischer Identität (lassen wir mal ganz beiseite, dass er diese offenbar grundsätzlich lediglich auf Mitglieder der DKP beschränkt sieht):
„Was die Identität der DKP ist, das ist seit dem Kommunistischen Manifest klar: Die “Statuten des Bundes der Kommunisten”vom Dezember 1847, für die K. Marx / F. Engels das Parteiprogramm geschrieben haben, das “Manifest der Kommunistischen Partei” sagen: » Art. 1. Der Zweck des Bundes ist der Sturz der Bourgeoisie, die Herrschaft des Proletariats, die Aufhebung der alten, auf Klassengegensätzen beruhenden bürgerlichen Gesellschaft und die Gründung einer neuen Gesellschaft ohne Klassen und ohne Privateigentum. «
So einfach ist das eigentlich mit der Bestimmung der kommunistischen Identität.
Die Partei der „kommunistischen Identität“ ist die auf dem wissenschaftlichen Sozialismus, der von Marx, Engels und Lenin entwickelt wurde, basierende revolutionäre Partei der Arbeiterklasse mit den im “Manifest” und im “Statut des Bundes” beschriebenen historischen Zielen, das ist ihre “Identität”. Punkt. Aus. So ist es!!“
Nachdem ich die doppelten Ausrufezeichen verdaut habe, antworte ich Hans-Peter Brenner in ähnlich bestimmten Ton: Thema verfehlt!
Brenners gedanklicher Fehler liegt in der Art und Weise des Umgangs mit historischem Material, hier namentlich in der mangelnden Interpretation des konkreten Kontexts.
Selbstverständlich ist die zitierte Aussage aus dem Jahre 1847 auch weiterhin gültig. Aber sie beantwortet heute die Frage nach der kommunistischen Identität keineswegs hinreichend.
Als Marx und Engels das Kommunistische Manifest veröffentlichten, formulierten sie ein Initial und definierten – soweit hat Brenner Recht – kommunistische Identität (Programmatik).
Dies jedoch – und das sieht Brenner nicht – erfolgte im Bezugsrahmen jener Tage, entlang der konkreten gesellschaftlichen Fragestellungen ihrer Zeit. Es ging um die zentrale Frage des gesellschaftlichen Eigentums, welcher damals wie heute für Kommunisten identitätsstiftender Charakter zukommt und welche in dieser Form in jener Zeit durch die zitierten Schriften auf den damals aktuellen Stand des gesellschaftlichen Diskurses eine Antwort gab.
„Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben wird. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt“, schrieben Karl Marx und Friedrich Engels in “Die deutsche Ideologie”, MEW 3, S. 35, 1846/1932.
Hier wird einmal mehr deutlich, dass sich Marx und Engels selbst nicht als Begründer einer auf Lehrsätzen beruhenden Disziplin, als vielmehr als Teil eines dynamischen gesellschaftlichen Prozesses begriffen.
In den vergangenen 160 Jahren wurde die Menschheit Zeuge, erst der politischen Organisation, dann des Versuchs und seines Scheiterns, wissenschaftlichen Sozialismus in gesellschaftliche Realität umzusetzen.
Aus diesem historischen Prozess sind historische Erfahrungen erwachsen, welche wiederum unseren heutigen populär gesellschaftlichen wie wissenschaftlichen Bezugsrahmen determinieren.
Die Eigentumsfrage, die damals zu formulieren bereits als revolutionärer Akt galt, ist mittlerweile heute auch im bürgerlichen Diskurs verankert (intellektuell, in den bürgerlichen Wissenschaften, natürlich nicht als politische Forderung).
Die Frage, welche uns heute (nach 160 Jahren und den historischen Erfahrungen) beschäftigt – eben auch gerade in der Definition kommunistischer Identität – geht also darüber hinaus und befindet sich an jenem Punkt, an welchem es u.a. zu definieren gilt, wie die grundsätzlichen Beschreibungen aus dem Kommunistischen Manifest und mit diesem korrespondierende Schriften in gesellschaftlich verhandelbare Strukturen gegossen werden können.
Und zentrale konkrete Frage hierbei ist, da schliesst sich der Kreis, jene nach der Definition und Gewährleistung sozialistischer Demokratie.
Es reicht eben heute nicht mehr aus, auf wissenschaftliche Statements zu verweisen, sondern ist vor allem die glaubwürdige Kommunikation der eigenen Haltung dazu ausschlaggebend.
In der Frage nach Definition oder Neudefinition kommunistischer Identität sehe ich vor allem das Bestreben, nicht der Revision, als vielmehr der Präzisierung, sowie deren Kommunikation.
Dies unter Würdigung der gesellschaftlichen Realität, dass die Arbeiterbewegung, respektive die sozialistische / kommunistische Bewegung, in einer Phase virulenter kapitalistischer Widersprüche, ohne jeglichen Einfluss auf politische Prozesse ist, mehr noch, gesellschaftlich so gut wie gar nicht wahr genommen wird. Ich spreche hier erneut nicht allein von der DKP, sondern von all den Organisationen und Projekten mit sozialistischem / kommunistischen Selbstverständnis.
Wenn also heutiges Verständnis sozialistischer / kommunistischer Identität keinerlei Rezeption in der Realität und gesellschaftlichen Prozessen findet, dann gilt es, nach Defiziten in eben jener Identität zu suchen.
Wobei sich Identität, respektive deren wissenschaftliche Grundlagen, aus drei auf die Realität anzuwendende Elemente zusammensetzt:
1. Analyse
2. Kritik
3. Kommunikation
Scheitert Identität, erfährt diese also keine gesellschaftliche Rezeption, so liegen Defizite in der Qualität mindestens eines dieser Elemente vor.
Hans-Peter Brenner fährt fort:
„Fragen des Verhältnisses Mensch-Natur, die Kritik am Imperialismus und am kapitalistischen Weltmarkt sind von Marx ,Engels und Lenin thematisiert und analysiert worden, bevor irgend ein anderer “Theoretiker” der “Globalisierungs- und Umweltbewegung” das Licht der Welt erblickt hatte.“
Das ist richtig. Aber das heisst noch lange nicht, dass jene, die sich in ihrem Wirken auf die genannten Klassiker bezogen, auch in der Lage waren, wissenschaftliche Erkenntnisse vollumfänglich zu begreifen und/oder daraus die richtigen Konsequenzen für die Praxis zu ziehen.
Unbestritten dürfte bspw. wohl sein, dass die Staaten des “Realsozialismus” keineswegs als ökologische Vorbilder galten, eher war das Gegenteil der Fall.
Die Frage ist doch: Wenn wir davon ausgehen, dass alles Wesentliche bereits durch die Klassiker des wissenschaftlichen Sozialismus formuliert und aufgeschrieben wurde, wieso findet dies dann keinen Niederschlag im gesellschaftlichen Handeln oder zumindest Resonanz in einem breiten gesellschaftlichen Diskurs?
Genau darum geht es in der Debatte um die Definition sozialistischer / kommunistischer Identität.