M oskau – Für einigen Wirbel sorgt der seit vergangenem Jahr in Moskau vergebene Kandinsky-Preis für russische Gegenwartskunst. In der Hauptkategorie “Kunstprojekt des Jahres” mit 40.000 Euro dotiert, soll damit die internationale Sichtbarkeit der russischen Kunst erhöht werden.
Sponsor ist die Deutsche Bank, Veranstalter die Moskauer Kunstzeitschrift ArtChronika. In Russland selbst hatte der rollende Petrorubel in den nun vergangenen fetten Jahren zu einer ansehnlichen Kapitalisierung des Kunstmarkts geführt, für die Moskauer Hautvolee gilt aktuelles Kunstschaffen plötzlich als besonders schick.
Der Preis für den Künstler des Jahres ging am 11. Dezember für 2008 an den Russen Alexei Beljajew-Gintowt für das Werk Töchter der Heimat.
Bei der Verkündung der Sieger im Moskauer Winsawod-Zentrum kam es zu Protesten seitens des Publikums.
Die Besucher sahen eine High-End-Inszenierung, mit einer Performance der serbischen Künstlerin Marina Abramović, einem Auftritt der chinesischen Künstlerbrüder Gao und einem Vortrag des Philosophen Boris Groys. Die Preisvergabe selbst aber bot weniger Grund zur Freude.
Schon nach Bekanntgabe der Finalisten hatte es im liberalen und linken Segment der Moskauer Kunstszene ein lautes Murren gegeben. Denn neben Boris Orlow, einem Klassiker der im sowjetischen Underground praktizierten Sozart, und dem marxistischen Künstler Dmitri Gutow war von der Jury auch Aleksej Beljaew-Gintowt nominiert worden.
Weniger dessen konkretes Kunstschaffen, etwa das Gemälde Brüder und Schwestern, das völlig unironisch eine Stalin lauschende Menschenmenge zeigt, löste Protest aus.
Vielmehr war von Beljaew-Gintowts politischem Engagement die Rede. Denn der Künstler ist führender Aktivist und “Stilist” der nationalistischen “Eurasischen Jugendunion”. Diese Jugendorganisation des nationalen Ideologen Aleksandr Dugin träumt von einem neuen russischen Imperium. Eine Ansicht, die sich zuletzt im aktuellen Russland deutlich dem Mainstream angenähert hat: 2007 feierte die Organisation die ob ihrer Agressivität besonders umstrittene Münchener Rede von Wladimir Putin mit einer Kundgebung.
„Das Verdeckte tritt an die Oberfläche“, kommentierte der prominente Moskauer Kunstkritiker Andrej Kowalew die Nominierung Beljaew-Gintowts. „Die zunehmende Faschisierung der herrschenden Klasse ist offensichtlich. Das erinnert sehr an das Jahr 1933 in Deutschland“, so Kowalew.
Als Beljaew-Gintowts Werk vergangene Woche dann auch zum “Kunstprojekt des Jahres” erklärt wurde, kam es zum Eklat. Der Vorjahressieger Anatoli Osmolowski skandierte minutenlang “Schande!”, der unterlegene Dmitri Gutow will seine Arbeiten nicht mehr für eine im Ausland geplante Preisträgerausstellung zur Verfügung stellen.
Moskaus Kunstkritiker beurteilten die Entscheidung der Jury, drei Russen, drei Ausländer, sehr unterschiedlich, von “nichts dabei” bis “höchst problematisch”.
Aussergewöhnlich ruhig agiert indes der Sponsor in Deutschland. Auf die Frage, wie die Deutsche Bank auf die Verleihung an einen Künstler reagiere, der in seiner politischen Tätigkeit offen Faschistoides propagiere, meint Unternehmenssprecher Klaus Winkler, dass keinerlei Einfluss auf die Nominierung genommen werde. „Der Preis würdigt in erster Linie ein Werk und nicht die Person oder das gesamte künstlerische Schaffen von Beljaew-Gintowt“.
Immerhin hatte Friedhelm Hütte, der Bank-Vertreter in der Jury, laut russischen Medienberichten für den umstrittenen Künstler gestimmt.