D ie PDS-nahe sozialistische Tageszeitung “Neues Deutschland” (ND) legt in ihrer heutigen Ausgabe die Auswertung aus einer Leser-Befragung vom September vor. Die von ND beauftragte Markt-, Meinungs- und Sozialforschungs- GmbH USUMA hat daraus ein realitätsnahes Abbild gefiltert. Befragungen vergangener Jahre, die in einem repräsentativen Querschnitt der ND-Leserschaft erfolgten, wurden für einen gewichteten Vergleich herangezogen.
Im Ergebnis tritt Desaströses zu Tage, so belegt die Studie u.a.:
„ND hat strukturelle Probleme: Unsere Leserschaft hat einen Altersdurchschnitt von 65 Jahren, 63 Prozent sind Rentner oder im Vorruhestand, nur 26 Prozent sind vollbeschäftigt. Sie ist deutlich männerdominiert (weniger als ein Drittel sind Leserinnen) und verzeichnet wenig Neuzugänge (vier Fünftel haben ND schon vor 1989 gelesen).
In den westlichen Bundesländern bleibt unsere Verbreitung mit rund 5 Prozent der verkauften Auflage marginal.“ [1]
Mit diesen Erkenntnissen belegt die Studie unmissverständlich, dass die PDS bzw. das Neue Deutschland, über ihre aus DDR-Zeiten geerbte Abonnentenschaft hinaus, nach 1990 keine nennenswerte eigene Medienreichweite aus eigener Kraft hat aufbauen können.
In der gesellschaftlichen Darstellung und Wahrnehmung über die eigene Mitgliedschaft hinaus, ist die PDS seit 1990 allein auf die bürgerlichen Medien angewiesen. Interessant wäre hier die Wechselwirkung dieses Umstands auf die PDS selbst eingehender zu untersuchen.
Erstellung und Veröffentlichung der Studie zum jetzigen Zeitpunkt scheinen keineswegs zufällig gewählt. Somit erhalten Spekulationen neue Nahrung, wonach die PDS plane, korrespondierend mit ihrer für Juni kommenden Jahres vorgesehenen Umfirmierung mit Teilen der WASG zur Partei “Die Linke”, auch neue Medienkonzepte und -Projekte anzugehen. Die langsame Aufgabe des Neuen Deutschland zugunsten eines neuen Zeitungsprojekts, in welchem sich auch die neuen Partner um Oskar Lafontaine, Klaus Ernst und Co. wiederfinden, könnte Teil einer neuen Medien- und Marketingstrategie bilden.
Damit könnte die PDS versuchen, der sozialistischen Linken, die – weil von der PDS ausgegrenzt – nicht Teil des PDS-”Parteibildungsprozesses” ist und im Speziellen den Medien-Initiativen der Roten Fahne bei der Umsetzung neuer Projekte zuvor zu kommen. Denn nur um Rentner und Parteimitglieder an Wahltermine erinnern zu können, sind die fürs ND aufgewendeten Ressourcen eher schlecht eingesetzt, diese könnte man sicher sinnvoller verwenden.
Bereits im August 2005 schrieb in der Roten Fahne ihr Herausgeber:
„Die PDS-Zeitung “Neues Deutschland” bspw. hat ihre Berechtigung und angestammte Leserschaft. Aber als Medienformat gilt für sie das gleiche, wie für die PDS als Partei: Sie ist nicht in der Lage über ihre eigene Sozialisation hinaus Akzeptanz zu finden, das ND teilt insofern das Schicksal der PDS. Im Falle der Partei hat man mit dem neuen linken Projekt und der Umbenennung richtigerweise die Konsequenzen gezogen (wenn auch die Umsetzung zu wünschen übrig lässt), im Medienbereich hat sich hingegen gar nichts getan.“ [2]
Zum damaligen Zeitpunkt ging die Linke in Deutschland noch von einem gemeinsamen “historischen Projekt” aus. Erst nach den Bundestagswahlen vom September 2005 wurden die tatsächlichen Absichten der PDS deutlicher und später auch offiziell bestätigt, wie diese im heutigen Projekt PDS+ mit Teilen der WASG, als erneutem Versuch der Westausdehnung der PDS, zum Ausdruck kommen.
Die Rote Fahne bzw. deren Herausgeber hatte seinerzeit die Kooperation und Überführung der Roten Fahne in das neue, gemeinsame – vermeintlich historische – Projekt der Linken angeboten und darüber hinaus Vorschläge für eine zeitgemäße und angemessene Medienarbeit unterbreitet. Die PDS zeigte sich nicht interessiert, so wie sie auch in der Folgezeit, ganz im Widerspruch zu ihrer Propaganda und Rhetorik stehend, die sozialistische Linke, soziale Bewegungen und alles, was nicht ihrer direkten Kontrolle unterlag, begann vom neuen Projekt auszugrenzen.
In Bezug bspw. auf das Online-Magazin Die Rote Fahne war man bei der PDS offensichtlich der Meinung, sich konsequente Ignoranz leisten zu können. Die Vorstellungskraft der PDS-Oberen reichte nicht dazu aus, ins Kalkül zu ziehen, dass es Projekten wie der Roten Fahne möglich sei, jenseits der bürgerlichen Medien, in den gesellschaftlichen Prozess um das Projekt einer neuen Linken eingreifen zu können.
Man schien bei der PDS allen Ernstes der Meinung gewesen zu sein, dass man mit dem Schwindel um ein “Historisches, gemeinsames, bundesweites Projekt der Linken” – in Wahrheit lediglich dem Vorhaben PDS Plus – in der Linken und der Öffentlichkeit durchkäme.
Dann geschah etwas Bemerkenswertes und für die PDS völlig Überraschendes. Am 30. Januar 2006 hielt der Bundesvorstand der PDS im Berliner Karl-Liebknecht-Haus eine Pressekonferenz ab. Auf Nachfrage des Korrespondenten der Roten Fahne musste PDS-Vorsitzender Bisky vor laufenden Kameras die Hosen runter lassen. [3]
Lothar Bisky bestätigte nun offiziell: „Die Beteiligung andere Linker, insbesondere anderer Parteien, halte ich für den Parteibildungsprozess für sehr gefährlich.“ Auf Nachfrage der Roten Fahne, ob jenseits anderer Parteien auch Linke und Bewegungen ohne Parteistatus von dem neuen Projekt der Linken nach Auffassung der PDS ausgeschlossen bleiben sollen, antwortete Bisky: „Wir haben von Anfang an klar gemacht, dass es sich um einen Prozess allein aus den Parteien WASG und PDS handelt.”
Man muss sich an dieser Stelle in Erinnerung rufen, dass bis zu diesem Zeitpunkt die PDS noch in der öffentlichen Propaganda, insbesondere im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2005, das “breite, historische” Projekt ALLER (demokratischen) Linken kommuniziert hatte.
Noch am selben Tag veröffentlichte Die Rote Fahne die Aussagen Biskys. Damit war der Schwindel aufgeflogen.
Damit war aber auch die Frage geklärt, wer jenseits bürgerlicher Medien und Mainstream über die grössere Medienkompetenz und -Verbreitung verfügt. Die Ignoranz der PDS gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen, wie im Medienbereich, und die daraus resultierende Inkompetenz, hatten sich sträflichst gerächt.
Da half es der PDS auch nicht mehr, Die Rote Fahne, die nichts anderes getan hatte, als wahrheitsgemäß zu berichten und den PDS-Vorsitzenden zu zitieren, für die Zukunft von den Pressekonferenzen der PDS auszuschliessen. (Nebenbei bemerkt drängt sich da die Frage auf, wie würden diese Leute wohl mit kritischer Presse umgehen, falls sie mal wieder an die Macht gelangen sollten?)
Die PDS wurde so gezwungen, in den folgenden Monaten kleinere Brötchen backen zu müssen. In der Linken – vor allem jenseits der PDS – setzte nun eine immer weiter Raum greifende Diskussion um die Art und Weise, den breiten und demokratischen Charakter des neuen linken Projekts ein. Die PDS war mit der, die Öffentlichkeit täuschenden, Kampagne gescheitert und musste nun beginnen, um ihr Vorhaben Westausdehnung als PDS+ noch ohne weitere grössere Gesichtsverluste durchführen zu können, Plan B – das Konzept der Turbofusion mit der Koalition der Willigen aus der WASG – durchzuziehen.
Für die Linke positiv an diesen Vorgängen zu werten ist, dass der wahre Charakter und politische Absichten der PDS durch den verstärkten Diskurs zeitig offen zu Tage traten. Nicht zuletzt schliesslich bei der Frage der Regierungsbeteiligung im Bundesland Berlin zeigt die PDS einmal mehr, worin sie ihre politische Zukunft in den nächsten Jahren sieht: an der Seite der Hartz IV-Partei SPD.
Nun, was bedeutet dies alles für die Medienfrage? Die PDS hat zu ihrer eigenen Überraschung lernen müssen, dass sie zwar einerseits erfolgreich vom Mainstream durch Talkshows gereicht wird und somit auch bedingte gesellschaftliche Wahrnehmbarkeit von des Klassengegners Gnaden erzielt, jedoch jenseits dessen und damit vor allem in der Linken die Medienhoheit längst an andere, wie Die Rote Fahne, verloren hat. Die PDS/WASG verfügt über keinerlei Medienreichweite aus eigener Kraft heraus, ihre Publikationen werden fast ausschliesslich von Mitgliedern und Stammwählern konsumiert und wirken somit nicht über das eigene soziokulturelle Umfeld hinaus.
Sie ist aber auf Meinungsbildungsprozesse und Resonanz in der Linken angewiesen, weil die Vermittlung ihrer Politik humaner Katalysatoren bedarf. Glaubwürdigkeit linker Politik ist immer noch abhängig von linken Diskursen und der Teilnahme einer linken Öffentlichkeit.
In diesem Lichte könnte oben genannte Studie gewertet werden, als Einstimmung der konservativen Klientel der PDS auf bevorstehende Veränderungen nicht nur in Sachen Neues Deutschland.
Für die sozialistische Linke bedeutet dies, ihre eigenen Anstrengungen in der Medienfrage weiter zu konkretisieren und zu verstärken, ihren derzeitigen Vorsprung zu wahren und auszubauen.
Aufgabe bleibt, die Linke für dieses wichtige Thema zu sensibilisieren. Es sind die verschiedenen linken Medien, Aktivisten und Aktivistinnen aus dem Medien- und Pressebereich aufgerufen, endlich mit der Arbeit zu beginnen und sich über die Bildung einer strömungsübergreifenden MedienGruppe zu verständigen. Konkret müsste als erster Schritt eine informelle Diskussion zum Thema begonnen werden, in welcher die verschiedenen Auffassungen zu einem solchen Projekt dargelegt und erörtert werden.
Natürlich diskutiert die sozialistische Linke angesichts der aktuellen Entwicklung derzeit intensiv, wie es politisch und organisatorisch überhaupt weiter gehen soll. Dies führt in den verschiedenen Strömungen zu vorsichtigem taktieren bis hin zum Abwarten. Aber unabhängig von der Klärung dieser Fragen und der weiteren Entwicklung in PDS/WASG, demnächst wohl “Die Linke” genannt, gehört zu dieser Diskussion eben auch die kritische, konstruktive Erörterung der Medienfrage, die durchaus Teil der politischen Diskussion ist. Revolutionäre überstürzen nichts, warten aber auch nicht ab, bis alles gelaufen ist.
- Ein Zeugnis für Neues Deutschland, ND 09.12.2006 ↩
- Neue Linke oder doch nur wieder die alte SED?, 15.08.2005 ↩
- Pressekonferenz: “PDS plus” statt neue Linke, 30.01.2006 ↩