N ach dem NATO-Putsch in der Ukraine und als im Mai 2014 Antifaschisten im Gewerkschaftshaus von Odessa bestialisch massakriert wurden, beobachteten wir in der deutschen Gesellschaft zwei miteinander korrespondierende Phänomene: Das Entstehen einer eher amorphen, diffusen aber neuen Friedensbewegung und auf der anderen Seite das Schweigen etablierter Parteien, Organisationen und Strukturen, die entweder handlungsunwillig oder handlungsunfähig waren.
Seit dem tobt das Ringen um die Definition dessen, was eigentlich eine Friedensbewegung ausmacht, wem diese “gehört”, wer dazu gehören darf und wer unbedingt auszugrenzen sei.
Diesen, offenbar nicht enden wollenden, Diskurs führend, haben sich in den vergangenen vier Jahren die unterschiedlichen Strömungen klassischer und neuer Prägung gegenseitig gelähmt und den (Wieder-)Aufbau einer geeinten Friedensbewegung erschwert. Wer daran in erster Linie ein Interesse hat, kann sich jedes Kind ausmalen.
Lassen wir mal die äussere Einflussnahme durch CIA und Co. beiseite, dann stoßen wir auch auf hausgemachte Probleme; zwei grundlegende Konzeptionen von Friedensbewegung stehen sich diametral gegenüber.
Zum besseren Verständnis dieser Entwicklung müssen wir in der Geschichte zurück gehen, zu den Anfängen der Friedensbewegung.
Von der Ablehnung der Kriegskredite zum Bonner Hofgarten
Im Dezember 1914, gut vier Monate nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, veröffentlichte der Sozialdemokrat Karl Liebknecht eine Flugschrift des gerade entstehenden Spartakusbundes. Liebknecht führte darin aus:
„Meine Abstimmung zur heutigen Vorlage begründe ich wie folgt: Dieser Krieg, den keines der beteiligten Völker selbst gewollt hat, ist nicht für die Wohlfahrt des deutschen oder eines anderen Volkes entbrannt.
Es handelt sich um einen imperialistischen Krieg, einen Krieg um die kapitalistische Beherrschung des Weltmarktes, um die politische Beherrschung wichtiger Siedelungsgebiete für das Industrie- und Bankkapital.“ [1]
Mit seiner Erklärung begründete der Reichstagsabgeordnete Liebknecht seine Ablehnung der Kriegskredite, denen seine Partei SPD zustimmte. Dieser Vorgang markiert die historische, politische Zäsur der Spaltung von Sozialdemokraten und Kommunisten, die schliesslich im Dezember 1918 zur Gründung der Kommunistischen Partei (KPD) führte.
Friedenspolitik war ein wesentliches konstituierendes Moment für Philosophie und Politik der Kommunisten. Daraus resultiert historisch, welch enge Bindung auch heute noch Linke unterschiedlichster Strömungen zur Friedensbewegung empfinden.
In dieser friedenspolitischen Tradition stehend, mobilisierte die KPD auch 1932 zu den Reichspräsidentenwahlen unter dem Slogan, der als bekannteste Losung seiner Zeit in die Geschichte einging:
„Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler,
wer Hitler wählt, wählt den Krieg.“
Auch nach der Spaltung Deutschlands durch die Siegermacht des Zweiten Weltkriegs USA und Gründung der NATO 1949, war es in Westdeutschland erneut die KPD, welche konsequent den Aufbau der Friedensbewegung vorantrieb, gegen die NATO-Mitgliedschaft, die Wiederaufrüstung und für einen Friedensvertrag mobilisierte. Dies auch noch nach dem Verbot der Partei im Jahre 1956 in der Illegalität und in den 60er Jahren auch in der neuen Partei DFU (Deutsche Friedens-Union).
In den 70er und 80er Jahren schliesslich dominierte die 1968 in Westdeutschland neu gegründete Partei DKP die Friedensbewegung, was ihr aufgrund der engen Bindung an die DDR und die daraus resultierenden erheblichen finanziellen Zuwendungen ermöglicht wurde. In der Friedensbewegung erzielte die DKP ihre mit Abstand grössten Erfolge, die ihr bei Wahlen allerdings verwehrt blieben.
Ausgestattet mit enormen Summen, vermochten es die linken Friedensaktivisten, relevante mediale und gesellschaftliche Reichweite zu erzielen und somit ein breites Friedensbündnis aufzubauen, heute bekannt als “DIE Friedensbewegung”.
Dies führte schliesslich zu den grossen und in der Retrospektive als legendär beschriebenen Friedensdemonstrationen gegen die NATO-Aufrüstung in den 80er Jahren. So konnten u.a. 1981 zum Bonner Hofgarten mehrere hunderttausend Menschen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Spektren mobilisiert werden.
Die klassische Friedensbewegung definiert sich neu
Die jungen Friedensaktivisten der 70er und 80er Jahre sind heute die alten, quasi die Silberrücken und Autoritäten, die über das Erbe der Friedensbewegung zu wachen als ihre Aufgabe betrachten. Neulich sah ich das Photo einer Konferenz “der Friedensbewegung” in Kassel, auf welchem die Abgebildeten ein Durchschnittsalter von rund 70 Jahren aufweisen.
So verständlich und gut gemeint die Attitüde ist, “Ihre” Friedensbewegung vor Schaden bewahren zu wollen, so ahistorisch und kontraproduktiv gerät diese, wenn sie sich gegen die objektive gesellschaftliche Entwicklung stellt.
Aber es ist bei weitem nicht lediglich ein Generationenkonflikt, der sich lähmend über den Aufbau einer breit aufgestellten Friedensbewegung legt. Es ist darüber hinaus auch das Versäumnis über drei Jahrzehnte hinweg, der internationalen geopolitischen Entwicklung angemessen zu folgen.
Ein dominierender Teil der klassischen Linken, der früheren Träger der klassischen Friedensbewegung hat es verpasst, sich mit einer aktualisierten Analyse der Epoche des Imperialismus auseinanderzusetzen. Nicht wenige haben bis heute nicht einmal den Zusammenbruch des sog. Realsozialismus Ende der 80er Jahre verarbeitet. Das Wesen der darauf folgenden imperialen Entwicklung ist ihnen fremd geblieben.
Währenddessen hat die neue Mainstream-Linke den Weg der Assimilation in das System eingeschlagen. Man muss sich vor Augen halten, welch relativen Reichtum die führenden Funktionäre der Linkspartei in den vergangenen Jahrzehnten durch den kommerziellen Politbetrieb angehäuft haben. Das verändert Menschen. Es verändert ihre Sicht auf die Realität und lässt sie ggf. die eskalierenden Lebenssituationen der Lohnabhängigen ausblenden.
An die Annehmlichkeiten der neuen sozialen Stellung hat man sich schnell gewöhnt und empfindet diese mittlerweile als selbstverständlich. Warum also konsequent und mit Nachdruck „Raus aus der NATO“ fordern und damit die eigene soziale Existenz zur Disposition stellen, wenn doch genau dies die zentrale realpolitische Forderung ist, welche die Herrschenden fürchten wie der Teufel das Weihwasser.
In dieser Gemengelage versucht sich die Friedensbewegung neu zu definieren. Dabei geht es im Kern gar nicht mal um klassisch versus neu, sondern einerseits um konkrete, realpolitische Inhalte, sowie auch um das konzeptionelle Selbstverständnis dessen, was eine Friedensbewegung eigentlich ist und heute sein muss.
Die beschriebenen historischen Rahmenbedingungen sind längst Tempi passati. Unsere Gesellschaft hat sich heute in multipler Weise gewandelt und zwar in den vergangenen Dekaden in bislang ungekannter Geschwindigkeit und Brachialität.
Ahistorisch ist die Auffassung, die Friedensbewegung müsse ein Abbild linker Parteipolitik sein. Das war die Friedensbewegung bereits schon nicht zu Zeiten der KPD, wenngleich auch Friedenspolitik stets zentraler Gegenstand sozialistischer Philosophie und Politik war. Und das war die Friedensbewegung auch ganz sicher nicht später in den 80er Jahren. Es ist nicht die Aufgabe der Friedensbewegung, als erweitertes Spielfeld zur Kompensation erfolgloser Parteipolitik herhalten zu müssen und es ist nicht ihre Aufgabe, die soziale Revolution anzustoßen.
Eine derart überfrachtete Friedensbewegung würde augenblicklich ins Stottern geraten.
Friedensbewegung ist deswegen keine Partei, weil ihre originäre Funktion eine völlig andere ist. Ihre einzige Existenzberechtigung besteht darin, Krieg und Hochrüstung zu beenden und somit Menschenleben zu retten.
Um dies bewerkstelligen zu können, ist die Friedensbewegung bestrebt, eine gesellschaftliche Mehrheit zu formieren. Diese gesellschaftliche Mehrheit ist evidenter Weise so strukturiert, wie die gesamte Gesellschaft nunmal strukturiert ist. Wer meint, er müsse zuerst die Gesellschaft politisch bilden, bevor eine Friedensbewegung zu entstehen habe, der hat Friedensbewegung konzeptionell nicht verstanden.
Friedensbewegung bedeutet den gemeinsamen Dienst aller an der historischen Verantwortung, unabhängig von individuellen Weltanschauungen. Weder ist die Friedensbewegung der Ort für Parteipolitik noch für soziokulturelle Grüppchenbildung.
Die Gesellschaft auf ein konkretes friedenspolitisches Ziel fokussieren, nicht mehr und nicht weniger ist heute unser aller Aufgabe.