N icht wenige friedensbewegte Menschen fragen sich, was der Grund für Uneinigkeit und Fragmentierung der Friedensbewegung ist? Sie wünschen sich eine starke, geeinte Friedensbewegung, die in der Lage ist, friedenspolitisch ganz real etwas zu bewegen.
Schliesslich wollen ja alle nur Frieden, richtig? Und so wird auch schon mal an Vernunft und guten Willen appelliert, man möge sich doch endlich mal zusammenraufen.
Leider ist die politische Realität eine gänzlich andere. Und fatalerweise sind nicht subjektive Gründe wie Missverständnisse, persönliche Abneigungen und dergleichen die Quelle der Spaltung, sondern vielmehr knallharte parteipolitische und finanzielle Interessen.
Und diese Interessen zwischen Parteipolitik einerseits und einer unabhängigen Friedensbewegung als breitem Bürgerbündnis andererseits stehen sich diametral und unvereinbar gegenüber.
Die diesjährigen Ostermärsche, ausgerichtet durch die Strukturen der “alten” bzw. “etablierten” Friedensbewegung, haben, angesichts der erneut gesunkenen Teilnehmerzahlen, den vorläufigen Tiefpunkt eben jener Fraktion der Friedensbewegung markiert, die für sich fortgesetzt einen uneingeschränkten Alleinvertretungsanspruch formuliert und durch den Mainstream darin unterstützt wird. Auf die Gründe für diese unheilige Allianz kommen wir noch zu sprechen.
Fanal 2014
Wir erinnern uns: Im Frühjahr 2014 wurde mit den Mahnwachen um Lars Mährholz deutlich, dass die alten Strukturen der Friedensbewegung entweder handlungsunfähig oder -unwillig waren. Der Hauptimpuls für das Entstehen einer neuen Bewegung lag in der NATO-Aggression gegen die Ukraine unter Beteiligung bekennender Faschisten – finanziert mit Milliarden US-Dollar und unter Einsatz von Scharfschützen, unterstützt auch durch die BRD.
Das laute Schweigen der Alten und Etablierten motivierte vor allem auch eine jüngere Generation, ihren Widerstand gegen Imperialismus, Faschismus und Krieg auf die Strasse zu tragen.
Dass in dieser heterogenen Bürgerbewegung auch Widersprüche zu Tage traten, lag in der Natur der Sache. Befeuert durch Desinformanten jeglicher Couleur, die ihrer eigenen kommerziellen und/oder parteipolitischen Agenda folgten, hatte die NATO-Presse leichtes Spiel, frühzeitig ihre Geschütze auf die junge Bewegung auszurichten.
Auf die Exzesse und Niedertracht der imperialen Desinformation waren die “frischen” Friedensaktivisten kaum vorbereitet, ebensowenig auf die Operationen der Dienste aus den eigenen Reihen heraus. Dass sie es versäumt hatten, der Öffentlichkeit frühzeitig ein konkretes, fundiertes und vor allem konsensfähiges Grundsatzprogramm vorzulegen, machte sie angreifbar und diese eigenen Defizite führten alsbald noch vor Jahresfrist zum Auseinanderlaufen der Mahnwachen-Bewegung.
Neuer Aufbruch 2015
Im Frühjahr 2015 waren mittlerweile verschiedene Anläufe und Konzepte aus unterschiedlichen Richtungen zum Neuaufbau der Friedensbewegung gescheitert. Von den etablierten Strukturen der Friedensbewegung, wenn man diese denn überhaupt so nennen will, war auch zu diesem Zeitpunkt noch kaum eine Regung zu vernehmen.
Insbesondere auch nicht von jenen systemnahen Parteien und NGOs, aus denen sich die etablierten Strukturen der alten Friedensbewegung personell und finanziell speisen.
Aus den zu diesem Zeitpunkt noch aktiven Protagonisten aus klassischer und neuer Friedensbewegung unter Beteiligung von Sozialisten/Kommunisten, Humanisten, Freidenkern, und bürgerlichen Demokraten unterschiedlicher Strömungen, bildete sich schliesslich eine runderneuerte Friedensbewegung, die ihr Grundsatzpapier als gemeinsamen Grundkonsens vorstellte.
Die öffentliche Präsentation erfolgte am 27. Juni 2015 anlässlich der ersten Ramstein-Demonstration. Aus dieser Initiative ging die Friedensbewegung bundesweite Koordination (FbK) als konkrete Organisationsstruktur hervor.
Nun könnte man meinen, dass mit diesem breiten Grundkonsens die Kuh vom Eis gewesen wäre – aber weit gefehlt.
Im darauf folgenden Monat, genau gesagt am 12. Juli 2015, fand in Kassel eine Konferenz statt, bei der es u.a. darum ging, die Überbleibsel aus einem anderen, bereits beendeten Projekt namens “Friedenswinter” mit der klassischen/neuen Friedensbewegung zu vereinen. Wäre dieser Schritt vollzogen worden, gäbe es heute nicht faktisch zwei Friedensbewegungen in Deutschland.
Aber es kam anders. Zur Überraschung unserer Friedens-aktivisten verweigerte sich die Gruppe aus dem “Friedenswinter” der Vereinigung. Leute, die selbst durch Antideutsche und NATO-Presse als “rechtsoffen”, “Querfrontler” und dergleichen denunziert wurden (damit meint der Imperialismus die demokratische Öffentlichkeit), griffen ihrerseits zur selben Methode der Desinformation und Stigmatisierung, um ihr Vorgehen zu rechtfertigen.
Die FbK hat diese Spaltung sehr bedauert, weil dies einen tiefen Riss in die Friedensbewegung getragen hat, ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als die Vereinigung bereits unterschriftsreif war.
Casus knacksus: NATO-Austritt
Für viele Beobachter aber auch Aktive ist bis heute unverständlich, was eigentlich der konkrete Hintergrund dieser Entwicklung war und bis heute noch ist. Hinter all den Nebelkerzen, der Desinformation, der Hetze, der Denunziation kommt der Kern der politischen Auseinandersetzung zum Vorschein; es ist der mögliche Austritt Deutschlands aus der NATO.
Dieser Punkt ist für das System und den militärisch-industriellen Komplex deshalb von zentraler Bedeutung, weil diese friedenspolitische Orientierung eine tatsächliche realpolitische Handlungsperspektive aufzeigt. Im Gegensatz bspw. zur “Auflösung” der NATO, die ohne die USA und deren Kriegsministerium Pentagon als Oberkommando gar nicht durch andere Staaten beeinflusst werden kann.
Die Mitgliedsstaaten der NATO haben allein die Option auszutreten. Alle anderen vermeintlichen Forderungen wie auch bspw. „für eine Zukunft ohne NATO“ und dergleichen sind wohlklingende Marketing-Phrasen von Parteien und Organi-sationen, die ihre Klientel unter friedensengagierten Menschen wissen.
Die Forderung „für Frieden“ klingt gut, steht allerdings auch schon seit jeher auf den Wahlplakaten jeder Kriegspartei. Daran können wir erkennen, dass abstrakte Forderungen allein sicher noch keine Friedensbewegung konstituieren.
Den ganz konkreten und mit Abstand grössten Beitrag, den wir in Deutschland für den Frieden und die internationale Solidarität leisten können, ist aus der imperialen NATO auszutreten. Kein anderes friedenspolitisches Projekt ist dringlicher und wirkmächtiger. Und dieses Ziel ist auch erreichbar, dafür lässt sich mittlerweile eine gesellschaftliche Mehrheit gewinnen. Vielleicht nicht gerade kurzfristig, so doch mittelfristig.
Es ist wichtig zu verstehen, dass der Austritt Deutschlands aus der NATO und der damit korrespondierende Abzug der US-Truppen den sofortigen Stopp des imperialen Krieges in seiner heutigen Form bedeutet. Die BRD ist das Hauptzentrum der imperialen Kriegslogistik zwischen den USA und Mittelasien.
Ohne die US/NATO-Militärbasis BRD kein Krieg in Syrien und dem Nahen Osten, kein Krieg in der Ukraine und keine militärische Bedrohung Russlands in Osteuropa.
Linkspartei und NATO-Medien tröten ins selbe Horn: Rassisten, Reichsbürger, Querfront und Co.
Liesse die NATO durch ihren Pressesprecher verkünden, die Friedensbewegung sei pöhse … pöhse …, so würde dies kaum jemanden beeindrucken. Um wirksame Propaganda gegen die Friedensbewegung im Interesse einer Spaltung glaubwürdig rüberbringen zu können, bedarf es der Kollaboration von vermeintlich unverdächtigen Kreisen innerhalb der Friedens-bewegung.
Das war bereits 1999 so, als der NATO-Überfall auf Jugoslawien der Öffentlichkeit medial verkauft werden musste. Damals übernahmen die Sozialfaschisten von SPD und Grüne die Rolle der Rattenfänger. Diese Parteien sind natürlich heute als Friedenskräfte längst verbrannt.
Lassen wir mal die Null-Prozent-Kleinstparteien beiseite, die lediglich eine untergeordnete Rolle spielen, dann bleibt in der Friedensbewegungs-Szene die sog. Linkspartei als handelndes Subjekt mit Reichweite.
Und genau jene Linkspartei ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich dadurch aufgefallen, dass ihre Kritik am Neuaufbau der Friedensbewegung in Haltung und Diktion identisch ist mit den Denunziationen durch Mainstream und NATO-Medien.
Bereits 2014 anlässlich des faschistischen NATO-Putschs in der Ukraine war von der Linkspartei kaum etwas zu hören und noch weniger zu sehen. Auch im Mai des selben Jahres, als im Gewerkschaftshaus in Odessa Antifaschisten auf bestialische Weise massakriert wurden, schwiegen Katja Kipping und Co.
Dies aus kalter politischer Berechnung, weil die Pseudolinken ihr Regierungsbeteiligungsprojekt mit den Hartz IV-, NATO- und Kriegs-Parteien SPD und Grüne nicht gefährden wollten.
Systemnahe Strukturen im Umfeld der Friedensbewegung, darunter vor allem auch die Linkspartei, haben kein Interesse daran, die Forderung nach Austritt aus der NATO realpolitisch zu verfolgen. Der Grund dafür ist die materielle Abhängigkeit von der herrschenden Ordnung.
Im Falle der Linkspartei ist das ganz konkret festzumachen an ihren Plänen zur Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen. In den vergangenen Monaten hat die Vorsitzende Katja Kipping erneut wiederholt erklärt: „Wir definieren einen NATO-Austritt nicht als Stopplinie für Rot-Rot-Grün.“ [1]
Die sog. Linkspartei will sich ihre Koalitionsfähigkeit mit den Sozialfaschisten auf Bundesebene erhalten und steht also vor zwei Optionen bzw. Problemen, falls sich wieder eine echte Friedensbewegung unter ihrer klassischen zentralen Losung Raus aus der NATO! bildet:
1. Entweder sie schliesst sich dieser konsequenten Friedens-bewegung an, dann würde die Linkspartei aus den Massenmedien, TV-Shows etc. und in der Folge aus dem kommerziellen bürgerlichen BRD-Politbetrieb verbannt,
2. sie schliesst sich nicht der Friedensbewegung an, dann würde die Partei einen erheblichen Teil ihrer Wählerschaft einbüßen.
In beiden Fällen würde “Die Linke” bundesweit unter 5 Prozent fallen und der Funktionärskader seine gut bezahlten Jobs verlieren. Vergessen wir nicht, dass die Führungsfunktionäre der Linkspartei in den vergangenen Jahrzehnten Millionen in ihre Taschen stopfen konnten. Das verändert die eigene Sicht auf die Welt und korrumpiert viele Menschen.
So oder so für die Linkspartei ein Dilemma, welches nur dadurch aufgelöst werden kann, dass nominell eine Friedensbewegung entsteht, welche die Leute zwar beschäftigt und auf Trapp hält, jedoch ohne reale politische Handlungsperspektive bleibt.
Es geht also einmal mehr darum, politischen Widerstand ins Nirgendwo zu kanalisieren.
In diesem Kontext beleuchtet wird deutlich, warum um die Forderung nach Austritt aus der NATO so verbissen gestritten wird. Diese friedenspolitische Orientierung begründet den tiefen Riss, der durch die Friedensbewegung verläuft. Andere Gründe sind lediglich vorgeschoben, um vom eigentlichen Sachverhalt abzulenken.
Die Dienste und Medien der NATO schlagen aus dieser Gemengelage natürlich ihr Kapital. Im Februar erlebten wir durch die Süddeutsche Zeitung einen Generalangriff auf die Friedensbewegung, bei dem sich ein alter Münchner Friedensaktivist als vermeintlicher Kronzeuge instrumentalisieren liess. [2]
Und erst vergangene Woche das selbe Spiel, diesmal in der ARD/RBB und Schauplatz Berlin. Hier diente eine alte Dame aus der Linkspartei zur Beglaubigung der NATO-Desinformation. [3]
Man muss den Trick verstehen, der in diesen Fällen zur Anwendung kommt: Diese Leute denunzieren andere Friedensaktivisten bspw. als “Rassisten” und mit “Rassisten” könne man nunmal nicht zusammenarbeiten. Und es gibt naive Menschen, die dem reflexartig zustimmen, ohne weiter zu hinterfragen; moment mal, stimmt das denn überhaupt?
Der Punkt dabei ist, dass die Definition solcher Schmähbegriffe allein durch ihre Anwender festgelegt wird.
Wer also bspw. die Unterstützung der Linkspartei für die imperialistische und merkelsche Flüchtlingspolitik kritisiert, ist nach diesem Muster bereits ein “Rassist” – weitere Diskussion nicht erforderlich.
So erklärt sich denn auch der Gleichklang von NATO-Medien und Linkspartei bei solch umstrittenen Themen. Zudem bedeutet dies nichts anderes, als dass die sog. “Linke” den Eintritt zu “ihrer” Friedensbewegung von der Zustimmung zu ihrer eigenen Parteipolitik abhängig macht.
Angesichts des bedrohten Weltfriedens ein Absurdum aller erster Güte.
Konklusion
Parteien ist die Instrumentalisierung der Friedensbewegung zu eigenen politischen und/oder kommerziellen Zwecken wichtiger, als der Aufbau einer breiten, pluralen Bürgerbewegung für den Frieden, die sich ihrer Kontrolle entzieht.
Diese knallharten parteipolitischen und finanziellen Interessen determinieren die Haltung systemnaher Strukturen zu jeglicher Form systemkritischen Widerstands. Eine vereinte Friedensbewegung ist mit diesen Leuten nicht möglich. Darauf zu hoffen, heisst warten auf Godot.
Mir ist bewusst, dass dies in den Ohren vieler Menschen sehr desillusionierend und enttäuschend klingt.
Mein Anliegen ist, das Bewusstsein für diese Realität zu schärfen. Friedensbewegung das heisst, einem milliardenschweren und auf höchstem professionellen Niveau strukturierten und arbeitenden militärisch-industriellem Komplex gegenüber zu treten.
Leider ist dies regelmäßig auch damit verbunden, die eigene Komfortzone verlassen zu müssen.
Für Resignation besteht aber kein Grund. Auch die jüngsten Reaktionen der NATO-Medien auf die erstarkende Friedensbewegung (nein, damit sind nicht die alten Strukturen gemeint) zeigt uns deutlich, das wir konzeptionell bereits auf dem richtigen Weg sind.
Damit die klassische/neue Friedensbewegung auch zu einer Massenbewegung anwachsen kann, bedarf es der konkreten Organisation eines jeden Einzelnen. Wer dabei auf das Wunder einer Vereinigung mit allen wartet, wird zwangsläufig enttäuscht werden.
Entscheiden Sie über ihr Engagement auf der Grundlage ganz konkreter Inhalte. Diese Entscheidung kann ihnen niemand abnehmen.
Hier finden Sie u.a. den Grundkonsens/Grundsatzpapier der Friedensbewegung bundesweite Koordination (FbK):
→ Friedensbewegung
- Nato-Austritt keine Vorbedingung für Rot-Rot-Grün, Katja Kipping, WirtschaftsWoche 23.02.2017 ↩
- Der NATO letztes Aufgebot im Medienkrieg, Die Rote Fahne 17.02.2017 ↩
- ARD/RBB hetzt gegen die Friedensbewegung im Vorfeld der Ostermärsche, Die Rote Fahne 13.04.2017 ↩