K ann und wird es in Deutschland eine breite, gemeinsame Friedensbewegung aller Antifaschisten und Demokraten geben? Oder muss politischer Widerstand fragmentiert bleiben und darum wirkungslos in marginalisierten Sekten verpuffen – ganz zur Freude der Herrschenden über Imperialismus und Krieg?
Im Grunde ist diese Frage ganz einfach zu beantworten; eine Klärung und ein integrativer Prozess hin zu politischer Handlungsfähigkeit kann nur im Inhaltlichen liegen, in einer klaren, unzweideutigen Position.
Sie können in Deutschland problemlos für Frieden auf die Strasse gehen. Schliesslich vermarktet sich das US-Kriegskommando NATO selbst als “Friedensbündnis”.
Auch wird es Ihnen gestattet, die Auflösung der NATO zu fordern. Denn all dies kanalisiert politisches Widerstandspotenzial, ohne in realpolitischen Konsequenzen münden zu können.
Probleme werden Sie erst dann bekommen, wenn Ihr politisches Wirken ganz konkret, durch Zeichnung einer realen Handlungsperspektive an den Fundamenten der herrschenden Ordnung rüttelt. Wenn also aus difuser Widerstandshaltung die realpolitische Tat erwächst. Und wenn somit die Machtfrage gestellt wird.
Das ist dann der Moment, in dem Sie zum medialen Abschuss freigegeben werden. Die Desinformation der NATO-Medien und ihrer gedungenen Schreiberlinge wird Sie mit den Stigmen des Bösen schlechthin belegen, mit all den bekannten Schlagwörten und Totschlagkeulen die geiegnet scheinen, von einer inhaltlichen Auseinandersetzung abzulenken.
Es ist ein natürlicher emotionaler Reflex des Menschen, auf Konfliktsituationen mit verschrecktem Rückzug zu reagieren und genau auf diesen zielt die mediale psychologische Kriegsführung ab.
In der modernen Mediengesellschaft ist der mediale Raum der öffentliche Raum. Menschen debattieren nicht mehr auf Marktplätzen und anderen Versammlungsorten von Angesicht zu Angesicht und erschliessen sich die Realität kaum noch in direkter Konfrontation mit ihrer Sozialisation, sondern erfahren ihre Realitätsinterpretation medial vermittelt.
Hierbei spielt die Frage der Hegemonie, der medialen Vorherrschaft die entscheidende Rolle.
Den medialen Raum zu dominieren, heisst den öffentlichen Raum zu beherrschen und lenken zu können. Über diese Hegemonie verfügen jene, denen die Masse ihr Geld gibt.
Ja, so trivial ist das.
Würde also der Bürger sein Geld nicht zu den NATO-Medien tragen, sondern stattdessen zu Deutschlands traditioneller antifaschistischen und Friedenszeitung, hätte die imperiale Hegemonie morgen fertig. Aber für allzeitigies kollektives rationales Handeln ist die Gattung Mensch nicht wirklich bekannt, sonst wäre die Welt nicht so, wie sie ist.
Zurück zur Ausgangsfrage. Den ganz konkreten und mit Abstand grössten Beitrag, den wir in Deutschland für den Frieden und die internationale Solidarität leisten können, ist aus der imperialen NATO auszutreten. Kein anderes friedenspolitisches Projekt ist dringlicher und wirkmächtiger.
Und dieses Ziel ist auch erreichbar, dafür lässt sich mittlerweile eine gesellschaftliche Mehrheit gewinnen. Vielleicht nicht gerade kurzfristig, so doch mittelfristig.
Über die Beurteilung der imperialistischen und kriegstreibenden Rolle der NATO besteht unter Friedensaktivisten die grösste Übereinstimmung – und das nicht erst seit gestern, sondern dies ist das zentrale Thema der Friedensbewegung bereits seit den 50er Jahren.
Lassen Sie sich nicht von Desinformanten einreden, man müsse die Auflösung der NATO fordern, weil dies ja viel weiter ginge, als “nur” ein Austritt. Das ist deswegen falsch, weil wir hier in Europa die NATO garnicht auflösen können. Die NATO ist ein Kommando des US-Kriegsministeriums Pentagon und kann nur durch die USA aufgelöst werden. Sie müssten also schon darauf warten, dass entweder die USA zusammenbrechen oder sich in den USA eine Revolution vollzieht. Das sind jedoch für eine deutsche Friedensbewegung Themenfelder weit ausserhalb ihres Wirkungsbereichs.
Nur in der Überwindung ihrer Fragmentierung durch inhaltlichen Konsens entlang einer konkreten friedenspolitischen Orientierung wird es der Friedensbewegung möglich, dem demokratischen Deutschland in seiner Gesamtheit ein friedenspolitisches Angebot zu unterbreiten.
Die Frage von Krieg und Frieden kann schlechterdings nicht den Partikularinteressen von Parteien/Gruppen, Einzelpersonen oder gar persönlichen Animositäten überlassen werden.
Daher rufe ich Sie, liebe Friedensfreunde, auf, die nachstehende “Friedensbewegung – Charta 2015″ als Handlungsorientierung zu beherzigen, zu unterschreiben und zu verbreiten.
Vereinen Sie sich unter einer deutlichen inhaltlichen Position und Losung. Kommunizieren Sie im gesellschaftlichen Diskurs unmissverständlich, wofür die Friedensbewegung konkret steht.
Und zwar so, dass es jeder versteht: Raus aus der NATO!
Friedensbewegung – Charta 2015
Krieg ist erneut zum dominierenden geostrategischen Element in den internationalen Beziehungen geworden. Und 100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges eskaliert diese Entwicklung weiter.
Unter den heutigen globalen Wirtschafts- und Herrschaftsverhältnissen sterben jeden Tag zigtausende Menschen an Hunger. Kriege um Rohstoffe und Ressourcen gehören mittlerweile wieder zum Alltag der internationalen Politik. Das internationale Völkerrecht wird zunehmend mit Füssen getreten.
In den vergangenen Jahrzehnten haben rund um den Globus Krieg, Massenmord, Terror, Folter, sowie Totalüberwachung ebenso wie Hunger und soziales Elend zugenommen. Von Irak über Jugoslawien, von Afghanistan über Libyen weiter nach Syrien und in der Ukraine, um nur die markantesten Konfliktregionen zu nennen, hat der Krieg zivile Konfliktlösungen verdrängt und die Menschen sollen an diese unheilvolle Entwicklung gewöhnt werden.
So lässt sich heute eine klare Frontlinie identifizieren; unabhängig von allen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen im Detail stehen die Staaten und ihre Bürger heute am Scheideweg zwischen globalem Imperialismus und Krieg – oder Rückbesinnung auf eine Politik des Friedens und Verteidigung der Normen des internationalen Völkerrechts.
Die Entwicklung der NATO zum aggressiven Kriegskommando mit globalem Machtanspruch ist hierbei vorrangig von Bedeutung. Den ganz konkreten und mit Abstand grössten Beitrag, den wir für den Frieden und die internationale Solidarität leisten können, ist aus der imperialen NATO auszutreten. Kein anderes friedenspolitisches Projekt ist dringlicher und wirkmächtiger.
Daher fordern wir, die Unterzeichner der Friedensbewegung – Charta 2015, alle Antifaschisten und Demokraten auf, sich unter der zentralen Forderung und Losung
Raus aus der NATO!
zu einer breiten, gemeinsamen Friedensbewegung zusammenzuschliessen. Den Austritt aus der NATO verfolgt die Friedensbewegung als realpolitisches Anliegen, um der Eskalation des imperialen Krieges entgegenzuwirken.
Der Publizist Stephan Steins ist seit 1992 Chefredakteur des sozialistischen Magazins Die Rote Fahne, der traditionellen deutschen antifaschistischen und Friedens-Zeitung. Steins nahm in der 60er Jahren mit seinem Vater erstmals an den Ostermärschen der Friedensbewegung teil und ist seit den 70er Jahren u.a. gegen Imperialismus und Krieg aktiv.