E dward Snowdens Verbrechen ist eines im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit. In der heutigen Zeit besteht Macht nicht nur aus Militärstiefeln, Panzern und Raketen. Was er tat, indem er die NSA und deren gigantische Überwachungsoperation blossstellte, war in grossem Ausmass gegen das US-amerikanische Image – die Marke Amerika – gerichtet, mit dessen unwiderstehlicher Kombination von Macht und Recht.
Das ist die Natur seines “Verrats“. Das Geheimnis, das er preisgab, war in etwa das, mit dem der kleine Bub in Hans Christian Andersens Märchen herausplatzte: „Der Kaiser hat keine Kleider!“
Das heisst, die Sicherheitsindustrie der Regierung widmet sich nicht mit gutartiger Rechtschaffenheit dem Schutz der US-amerikanischen Öffentlichkeit. Stattdessen ist sie wie besessen irrational, scharf darauf, Daten zu sammeln über jedes Telephongespräch, das wir führen.
Sie ist eine wildgewordene Bespitzelungsmaschine scheinbar ohne einen vernünftigen Zweck. Wie peinlich.
Zum Beispiel erklärte die Regierung von Hongkong, während sie sich weigerte, Snowden auf das Auslieferungsansuchen von Obamas Administration hin auszuliefern, in ihrem Ablehnungsschreiben, dass sie „formell an die Regierung der USA das Ersuchen gerichtet hat, eine Klärung in Bezug auf die Berichte über das Hacking der Computersysteme in Hongkong durch Behörden der US-Regierung herbeizuführen. Sie werde die Angelegenheit weiter verfolgen, um die Rechte der Menschen in Hongkong zu schützen.“
In anderen Worten: tut uns leid, nacktes Imperium. Wir werden nicht tun, was du von uns verlangst, und im Übrigen gibt es einiges an deinem Verhalten, das wir gerne diskutieren möchten.
Das ist nicht die Art von Unverschämtheit, welche die einzige Supermacht der Welt hören will, und das ist die Schuld von Snowden, gemeinsam mit anderen Whistleblowern, die seine Vorgänger waren, von denen einige wie Bradley Manning harte Konsequenzen erleiden dafür, dass sie die Wahrheit gesagt haben. Alles Verräter – zumindest aus der Sicht der Regierung, da sie die Maske der Public Relations beiseite gestreift haben, die dem höchsten Interesse der Regierung dient, nämlich der Machterhaltung.
Und jeder, der diesem zuwiderhandelt, und sei es auch, oder besonders aufgrund von Grundsätzen, ist ein “Sicherheitsrisiko”.
Unglaublich ist, dass ein so grosser Teil der Vierten Gewalt (der Medien) mitmacht und sich damit hinter die rohen unausgesprochenen Interessen der Macht stellt – mit der Annahme, dass Sicherheit den Status Quo bedeutet.
Die Behandlung der Affäre Snowden in den Mainstream-Medien geht davon aus, dass ein Verbrechen begangen worden ist und hat kein weiteres Interesse an dem anderen Aspekt der Geschichte: ein Verbrechen ist ein Verbrechen.
Die unausgesprochene Annahme ist, dass uns die Regierung mit allem beschützt, was sie tut, und dass wir die Details nicht wirklich wissen müssen. Wir müssen nur die Missetäter einfangen und der Justiz übergeben, weil das im Gegensatz zum Hochhalten irgendwelcher von roher Gewalt unabhängiger Prinzipien das ist, was das “nationale Interesse” bildet.
Die privilegierte gesellschaftliche Stellung der Medien beruht auf der Vorstellung, dass sie in erster Linie und an oberster Stelle dem Prinzip verpflichtet sind und der Macht die Wahrheit entgegenstellen, anstatt aalglatt mit der Macht zu kollaborieren, aber diese alte Auffassung ist im Lauf der Jahrzehnte dahingeschwunden.
Es ist wie mit den vielen anderen Dingen, die unter die Räder der Konsumkultur gekommen zu sein scheinen. (Zum Beispiel scheint auch niemand sich mehr Gedanken darüber zu machen, dass “Weihnachten zu kommerziell geworden ist”.)
Ausserhalb des Mainstream gab es natürlich exzellente kritische Analysen sowohl der Enthüllungen Snowdens als auch der höhnischen Zurückweisung derselben durch die Mainstream-Medien, aber es überrascht mich, dass eine Hypothese weitgehend ungeprüft bleibt: dass die US-Regierung im Grunde genommen die Macht hat, zu tun, was immer sie will, ohne Rücksicht auf die Bürger, die in ihrem Herrschaftsbereich leben, und dass unsere Entscheidungsmöglichkeiten darauf beschränkt sind, entweder dabei mitzumachen oder wütend dagegen zu schimpfen.
Aber vielleicht stehen uns auch andere Optionen offen.
Gene Sharp, der aussergewöhnliche Historiker und Theoretiker der gewaltlosen Macht, schreibt in Power and Struggle: The Nature and Control of Political Power (Macht und Kampf: Die Natur und Kontrolle von politischer Macht):
„Im Grunde scheint es zwei Sichtweisen der Natur der Macht zu geben. Die eine betrachtet die Menschen als abhängig vom guten Willen, den Entscheidungen und der Unterstützung ihrer Regierung oder eines anderen hierarchischen Systems, dem sie angehören.
Oder man kann es im Gegensatz dazu so sehen, dass Regierung oder System abhängig sind vom guten Willen, den Entscheidungen und der Unterstützung der Menschen.
Man kann die Macht einer Regierung sehen als ausgehend von den wenigen, die an der Spitze stehen. Oder man kann sehen, dass die Macht in allen Regierungssystemen kontinuierlich aus vielen Bereichen der Gesellschaft hervorgeht. Man kann die Macht auch sehen als sich selbst erhaltend, beständig, nicht leicht oder rasch kontrolliert oder zerstört.
Oder politische Macht kann gesehen werden als zerbrechlich, ihre Stärke und Existenz immer abhängig von der Nachfüllung ihrer Quellen, durch die Kooperation einer Vielfalt von Institutionen und Menschen – eine Kooperation, die weitergehen oder nicht weitergehen kann.“
In der Tat haben Snowden, Manning und andere Whistleblowers mit ihren Handlungen die Zerbrechlichkeit von Regierungsgewalt demonstriert. Daher die reflexartige Reaktion der Regierung: Sie sind Verräter!
Sie haben nicht gehorcht und müssen bestraft werden, weil jedes inoffizielle Durchsickern von Regierungspolitik an sich schon schlecht ist für die Sicherheit.
Natürlich ist die Sicherheit, um die es da geht, die Sicherheit derjenigen, die an der Macht sind. Der Glaube, dass ihre Sicherheit unsere Sicherheit ist, ist die Verbindungsstelle, die zerbrochen werden muss.
Wie Sharp ausführt, sind wir denen an der Macht nicht automatisch unseren guten Willen schuldig.
In einem exzellenten Artikel, in dem er die NSA-Enthüllungen in einen Zusammenhang stellt, schreibt Tim Wise: „Vielleicht ist es Zeit, uns daran zu erinnern, dass die Dinge, die schlimmer sind als die, welche diese Regierung und ihre verschiedenen Behörden im Geheimen betreiben, diejenigen sind, die sie unverhohlen, offen betrieben haben, aber nur für einige, schon seit langem.“
Von einem Ausrottungskrieg gegen die Ureinwohner des Kontinents über die Einrichtung der Sklaverei bis Jim Crow … bis zu Vietnam, Agent Orange, die Überfälle auf Afghanistan und den Irak, Angst und Schrecken-Bombardierungen, Folter, Umweltvernichtung, Drohnenkrieg … bis zu den Millionen Menschen, die in unserem Gefängnis-Gulag gefangen sind … die Agenda des Imperiums ist, mit bedingungsloser öffentlicher Unterstützung, schon viel zu lange gegangen.
Was das Imperium am meisten fürchtet, ist der Tag, an dem es sich dieser Unterstützung nicht mehr sicher sein kann.
Dieser Tag naht.
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