I n einem Brief an die LA Times rechtfertigt Kathryn Bigelow die Darstellung von Foltermethoden im Film Zero Dark Thirty, die Regierungsagenten anwandten, um Osama Bin Laden festzunehmen und zu töten, folgendermaßen:
„All diejenigen unter uns, die im künstlerischen Bereich arbeiten, wissen, dass Darstellung an sich nicht gleich Billigung bedeutet.
Wäre das der Fall, dürfte kein Künstler diese unmenschlichen Praktiken malen, kein Schriftsteller über sie schreiben und kein Filmemacher könnte sich den heiklen Themen unserer Zeit annehmen.“
Wirklich? Man muss kein Moralist oder gegenüber der Dringlichkeit gegen terroristische Angriffe anzukämpfen ahnunglos sein, um der Meinung zu sein, dass das Foltern von Menschen an sich etwas in solchem Grade Erschütterndes ist, dass die neutrale Darstellung desselben – das heisst, die erschütternde Dimension zu neutralisieren – an sich schon eine Art Billigung ist.
Stellen Sie sich beispielsweise einen Dokumentarfilm vor, der den Holocaust kühl und mit Desinteresse als einen grossen industriellen Logistikbetrieb darstellt, der die technischen Probleme in den Vordergrund rückt (Transport, Entsorgung der Leichen, Vermeidung von Panik unter den Gefangenen bevor sie vergast werden).
So ein Film würde entweder eine zutiefst unmoralische Faszination mit dem Thema zum Ausdruck bringen oder sich auf seine obszöne Neutralität verlassen, um Bestürzung und Schrecken beim Zuschauer zu erzeugen.
Wie steht Bigelow zu dem?
Sie steht zweifelsfrei auf der Seite der Normalisierung von Folter. Wenn Maya, die Protagonistin des Films, zum ersten Mal die Foltermethode “Waterboarding” miterlebt, bei der dem Gefolterten das eigene Ertrinken simuliert wird, ist sie zwar erst etwas schockiert, hat aber schnell den Bogen raus, denn später im Film erpresst sie einen hochrangigen arabischen Gefangenen mit der Drohung: „Wenn du nicht mit der Sprache rausrückst, liefern wir dich an Israel aus.“
Jegliche moralische Bedenken werden durch ihre fanatische Jagd auf Bin Laden neutralisiert. Ihr Partner – ein junger, bärtiger CIA-Agent, der ein Meister darin ist, aalglatt von Folter zu Freundlichkeit überzugehen, sobald der Wille des Opfers gebrochen ist (er zündet ihre Zigaretten an und reisst Witze) – ist noch viel bedrohlicher.
Seine Wandlung vom Foltermeister in Jeans zum gut gekleidetem Bürokraten später im Film ist zutiefst verstörend.
Es handelt sich hierbei um Normalisierung in ihrer reinsten und effektivsten Form: Folterung ist zwar etwas unbehaglich, verletzt aber eher die Gemüter als ethische Bedenken, denn die Aufgabe muss ja erledigt werden.
Die Aufmerksamkeit, die auf die verletzte Sensibilität des Folterers als (hauptsächlichem) menschlichem Preis der Folter gerichtet wird, soll den Film davor bewahren, zur billigen rechtsextremen Propaganda zu werden: Die dargestellte psychologische Komplexität dient dem reuelosen Filmgenuss, auch für Liberale.
Eben deswegen ist Zero Dark Thirty noch viel schlimmer als 24, wo Jack Bauer wenigstens beim Serienfinale endlich zusammenbricht.
Die Debatte darum, ob Waterboarding eine Art von Folter darstellt oder nicht, sollte als offensichtlich unsinnig fallengelassen werden: Warum sonst, wenn nicht wegen der Schmerzen und der Angst vor dem Tod, sollte Waterboarding abgehärtete verdächtige Terroristen zum Reden bringen?
Das Ersetzen des Wortes “Folter” mit “verbesserte Verhörmethoden” ist eine Erweiterung der politisch korrekten Logik.
Die brutale Gewalt, die von der Regierung ausgeübt wird, wird gesellschaftsfähig gemacht, sobald die Sprache geändert wird.
Die obszönste Verteidigung des Filmes aber ist die Behauptung, dass Bigelow einen billigen Moralismus ablehne und die Realität des “Anti-Terror-Kampfes” nüchtern präsentierte, dadurch schwierige Fragen stellen und uns somit zum Denken anregen würde (einige Kritiker fügen hinzu, dass sie weibliche Klischees “dekonstruiert” –
Maya zeigt keine Sentimentalität, sie ist hart und widmet sich, wie die Männer, ganz der Aufgabe).
Aber wenn es um Folter geht, sollte man nicht “denken”. Eine Parallele zu Vergewaltigungen zwingt sich hier auf: Was wäre, wenn ein Film eine brutale Vergewaltigung auf dieselbe neutrale Weise darstellen würde mit der Behauptung, man sollte den billigen Moralismus vermeiden und anfangen, sich über die ganze Komplexität der Vergewaltigung Gedanken zu machen.
Unser Bauchgefühl sagt uns, dass hier etwas fürchterlich falsch ist.
Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der Vergewaltigung einfach als inakzeptabel angesehen wird, damit jeder, der dafür argumentiert, als exzentrischer Idiot gilt, anstatt in einer Gesellschaft, in der man dagegen argumentieren muss.
Das gleiche gilt für Folter: Ein Zeichen des ethischen Fortschritts ist die Tatsache, dass Folter “dogmatisch” als abstoßend abgelehnt wird, ohne diese Tatsache ausdiskutieren zu müssen.
Was antwortet man aber auf das Argument sogenannter “Realisten”: Folter gibt es schon immer, also ist es doch besser, wenn man wenigstens öffentlich darüber spricht.
Das ist genau das Problem. Wenn es Folter schon immer gegeben hat, warum erzählen uns diejenigen an der Macht erst jetzt öffentlich davon?
Es gibt nur eine Antwort: um sie zu normalisieren und unsere ethischen Werte zu senken.
Folter rettet Leben? Mag sein, aber sie verspielt garantiert Seelen und ihre obszönste Rechtfertigung ist die Behauptung, dass ein wahrer Held dazu bereit sei, seine Seele für das Leben seiner Landsleute aufzugeben.
Die Normalisierung der Folter in Zero Dark Thirty ist ein Zeichen des moralischen Vakuums, dem wir uns allmählich annähern.
Wenn es überhaupt Zweifel daran gibt, versuchen Sie sich einen Hollywood-Film vor 20 Jahren vorzustellen, der Folter auf eine ähnliche Weise darstellt. Es ist unvorstellbar.
Slavoj Žižek (Jahrg. 1949 in Ljubljana) ist ein aus Slowenien stammender Philosoph, Kulturkritiker und nichtpraktizierender Psychoanalytiker. Bekannt geworden ist er insbesondere durch seine einflussreiche Übertragung und Weiterentwicklung der Psychoanalyse Jacques Lacans in das Feld der Populärkultur und der Gesellschaftskritik. Er wird in der Regel der Strömung des Poststrukturalismus zugerechnet, tritt dabei jedoch auch als marxistisch inspirierter Denker auf. Er ist internationaler Direktor des Birkbeck -Instituts für Geisteswissenschaften, London.
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